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Archiv-Artikel

Nicht mehr nur spielen

PROJEKTE SCHMIEDEN Was es heute heißt, jung zu sein: Das Programm „Junge Pächter“ vergibt in fünf Berliner Bezirken Räume für mehrere Monate kostenlos an Jugendliche und junge Erwachsene. Der Andrang ist groß

Junge Menschen als Pioniere, um die kulturelle Ödnis zu beleben, das gefällt auch den Älteren

VON JESSICA ZELLER

Was wäre passiert, wenn man meinen Freunden und mir vor 15 Jahren einen kostenlosen Raum angeboten und gesagt hätte: Nun mach mal! Denk dir ein Kulturprojekt aus! Schreib ein Konzept und setz es um! Ich glaube, es wäre daran gescheitert, dass keiner von uns gewusst hätte, was denn eigentlich ein Konzept ist. Die Idee ist gut, aber die Welt noch nicht bereit.

Heute ist das anders. Als im vergangenen Jahr das Jugendkunst- und Kulturhaus „Schlesische27“ in Kreuzberg seinen Aufruf startete und in fünf Berliner Bezirken für einen begrenzten Zeitraum Räume kostenfrei an „junge Pächter“ vergab, war der Andrang groß. Fast hundert Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 23 Jahren nahmen Ende September an einer zweitägigen „Projektschmiede“ teil. Dort hörten sie Vorträge von Menschen, die ihre Ideen bereits erfolgreich in die Tat umgesetzt hatten, und erfuhren in Kurzreferaten, was einen guten Projektantrag ausmacht. Am Ende des Wochenendes reichten die Jugendlichen ihre Ideen ein und bewarben sich um die leer stehenden Kneipen, Häuser und Läden. Seit November und noch bis Juni sind die „jungen Pächter“ in Köpenick, Spandau, Pankow, Wedding und Neukölln am Werk. Sie machen Fotostudios und Improvisationstheater, organisieren eine Tauschbörse und eine Fahrradwerkstatt.

„Was die Jugendlichen und jungen Erwachsenen genau anbieten, ist uns eigentlich egal. Hauptsache, sie finden ihren eigenen Weg“, erzählt Steph Steinkopf, die gemeinsam mit Nils Steinkrauss für die Gesamtkoordination zuständig ist. Der Projektträger unterstützt lediglich bei der Abrechnung des kleinen Budgets, das jeder Pächtergruppe zur Verfügung gestellt wird, und vermittelt „Mentoren“, also erwachsene Kulturprofis, die den Pächtergruppen bei Bedarf Ratschläge geben. Finanziert wird das Ganze vom städtischen Projektfonds „Kulturelle Bildung“.

Der Mentor von Carlotta, Johannes, Ines, Philip, Celine und Martha ist die Tanzwerkstatt „Dock 11“. Seit drei Monaten wohnen die sechs jungen Leute im ehemaligen Kutscherhaus auf dem Gelände der Probebühne EDEN***** mitten in Pankow.

„Wir wollten einfach mal was anderes sehen, und Pankow kannten wir noch nicht“, erzählt Carlotta, die sonst in Kreuzberg zu Hause ist. Die anderen kommen aus Neukölln und Friedrichshain. Ihre Idee: Leute einladen und zusammen Kunst machen. Gemeinsam abhängen und nicht nach Hause gehen. Die Probleme: der lange Weg von Pankow zu Schule und Uni und die mühselige Kohlenheizung in dem alten Gebäude. Da weiß auch das DOCK 11 nicht weiter.

Als ich die Gruppe besuche, sitzen alle, in Mantel, Schal und Mütze gepackt, herum, trinken Tee und zeigen mir ihre Fotos von Pankow. Ein paar Facebook-Freunde sind auch da. Es ist entspannt und unspektakulär. Wenn das ein Konzept ist, denke ich, dann hätte ich das auch noch hingekriegt.

In der Spandauer Neustadt ist die Stimmung an diesem Freitagabend anders. Alle sind hektisch, laufen umher und haben irgendwas zu tun. Einmal im Monat präsentieren die „jungen Pächter“, die sich hier „kreative Köpfe“ nennen, ihr Projekt der Öffentlichkeit. Etwa 50 Besucher sind gekommen – der Abend wurde auch in Kiezzeitungen angekündigt. Viele junge Menschen sind da, aber auch viele „jung Gebliebene“, Erwachsene, die tagsüber im Quartiersmanagement oder in einem Jugendzentrum dieses Berliner „Problemkiezes“ arbeiten. Junge Menschen als Pioniere, um die kulturelle Ödnis zu beleben, das gefällt auch ihnen. Heute gibt es hier brave Gitarrenmusik, Improvisationstheater, und Gedichte werden vorgetragen.

Die 19-jährige Caroline-Sophie, die später mal Kulturmanagerin werden will, moderiert den Abend mit Mikrofon und Powerpoint-Präsentation. Punk ist das nicht. Absolut nichts erinnert an politische Ansätze aus den siebziger und achtziger Jahren, an besetzte Häuser und autonome Jugendzentren.

Doch wer will den „jungen Pächtern“ einen Vorwurf machen? Betrachtet man das Projekt von außen, ist es sicherlich eine der sympathischsten Ideen seit Langem, um den jungen Leuten in Berlin Kunst und Kultur zu vermitteln – ohne Schule, Sozialarbeiter oder Museumspädagogen. Sich selbst organisieren, eine Idee in die Tat umsetzen: das kann man nicht früh genug lernen.

Und doch bleibt ein schaler Beigeschmack, wenn man sich manche Jugendliche aus der Nähe anguckt. Viel zu oft geht es ihnen darum, „etwas für die Zukunft zu lernen“ und das Projekt später einmal unter „ehrenamtliche Tätigkeit“ in den Lebenslauf zu schreiben. Wer stattdessen nur zusammen rumhockt und Tee trinkt, hat vielleicht die Jugend verstanden, aber noch nicht begriffen, was es heute heißt, erwachsen zu werden.

■ Infos und aktuelle Termine unter: www.schlesische27.de/wp/junge-pachterjunge-ladenhuter