: Was recht und billig ist
UNTERHALT Geschiedene Alleinerziehende sollen Vollzeit arbeiten, sobald das Kind drei Jahre ist. Über einen längeren „Betreuungsunterhalt“ wird nach „Billigkeit“ entscheiden
VON OLE SCHULZ
In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen „Ein-Eltern-Familien“. Dabei sind es bis heute in den allermeisten Fällen Frauen, die sich nach Trennung oder Scheidung als „Alleinerziehende“ um die Kinder kümmern. Nach der Reform des Unterhaltsrechts von 2008 muss nun das geschiedene Elternteil, das die Kinder betreut, im Regelfall Vollzeit arbeiten, sobald das Kind drei Jahre alt ist.
Eine solche Erwerbspflicht Alleinerziehender wurde im Vorjahr durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) bekräftigt: Demnach stehe auch die Betreuung eines Grundschulkindes einer Vollzeittätigkeit nicht entgegen (Az.: XII ZR 94/09). Gibt es eine Nachmittagsbetreuung, kann ein Vollzeitjob verlangt werden. Dass das dem Kindeswohl keinesfalls schaden müsse, belegen Veröffentlichungen, nach denen Kindergarten- oder Hortbetreuung dem Sozialverhalten diene.
Die Berliner Rechtsanwältin Ingeborg Rakete-Dombek nennt die Neuregelung des „Betreuungsunterhalts“ eine Anpassung an veränderte gesellschaftliche Umstände: „Es gibt viele junge Mütter, die gut ausgebildet sind und arbeiten wollen.“ Zudem sei die Reform eine „Reaktion auf gestiegene Scheidungsraten“ – mittlerweile endet fast jede zweite Eheschließung in einer Scheidung. Es werde mehr Eigenverantwortung von den geschiedenen Alleinerziehenden verlangt, so die Fachanwältin für Familienrecht, um dem Unterhaltspflichtigen durch hohe Unterhaltsforderungen nicht die Chance auf eine zweite Ehe zu nehmen.
Doch Rakete-Dombek räumt ein, dass es für Alleinerziehende – in rund 90 Prozent der Fälle ist das die Mutter – weiterhin nicht immer einfach sei, die Dreifachbelastung von Beruf, Kind und Haushalt zu meistern. „Anders als in Berlin gibt es gerade in der bundesdeutschen Provinz Orte, wo eine Versorgung mit ausreichend Kitaplätzen nicht gegeben ist.“ Der „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ (VAMV) fordert darum neben flexibleren Arbeitsformen auch eine bessere Kinderbetreuung, um eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten. „Eine flächendeckende, flexible und qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung für Kinder muss endlich umgesetzt werden“, sagt dazu VAMV-Bundesvorsitzende Edith Schwab.
Was Betroffene aber wissen müssen: „Es handelt sich beim Betreuungsunterhalt um Einzelfallrechtsprechung“, so Anwältin Rakete-Dombek, es werde nach „Billigkeit“ entschieden. Alleinerziehende können also auch länger als drei Jahre Betreuungsunterhalt erhalten – zum Beispiel, wenn eine „Hausfrauenehe“ geführt wurde und der Exgattin mehr Zeit eingeräumt werden muss, Arbeit zu finden. Im Gesetz heißt es dazu: „Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht.“
Die Unterhaltsberechtigten müssen in jedem Fall vor Gericht beweisen, dass eine Verlängerung der Zahlungen aufgrund besonderer Umstände notwendig ist – und das ist laut Rakete-Dombek eine „mühsame Darlegungslast“, zumal das Unterhaltsrecht von „unbestimmten Rechtsbegriffen durchsetzt“ sei, die „der Auslegung bedürfen“.
Eindeutig ist hingegen, dass das frühere von den Gerichten entwickelte „Altersphasenmodell“ durch das neue Unterhaltsrecht und mehrere BGH-Entscheidungen verworfen wurde – etwa dass Geschiedene bis zum sechsten Lebensjahr generell gar nicht arbeiten müssten.
Sowohl Familienanwältin Rakete-Dombek als auch der VAMV begrüßen die Abkehr von diesem starren Modell, weil dies eine individuelle Betrachtung jedes Falls ermögliche. Allerdings müssten „die Gerichte ihren Spielraum nutzen“, so VAMV-Bundesvorsitzende Edith Schwab.
Auch Anwältin Rakete-Dombek sieht mögliche Gefahren darin, dass das „eigene Erleben des Richters die Billigkeitsentscheidung beeinflussen kann“. Sie hofft darum darauf, dass „mehr junge Richterinnen, die Mütter sind“, künftig Urteile in Unterhaltsfragen fällen.