: Tonlos in der Kantine
Weniger Wut als stimmungsvolle Resignation: Die neue Produktion „Zornige Menschen“ des Theaters Lubricat in den Sophiensaelen widmet sich vage dem Deutschland von Hartz IV
VON ESTHER SLEVOGT
Dirk Cieslaks Theaterformation „Lubricat“ hat sich auf dem Feld dramatischer Erforschung der Wirklichkeit inzwischen einigen Ruf erworben. Im Dezember 2002 war man im „Café Dutschke“ auf der Suche nach den Spuren des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968. Im vergangenen Jahr jettete die Truppe für ihr Projekt „Mutation“ auf der Suche nach individuellen Abdrücken der Globalisierung rund um die Welt, um dann aus dem Eindrücken fünf federleichte Theaterabende zu filtern. Jedes Mal waren die Grenzen zwischen Theater und Forschungsgegenstand fließend. In „Café Dutschke“ trafen Lubricat-Spieler auf Laien, deren Lebensgeschichten dann gemeinsam erspielt wurden. Bei „Mutation“ ließ die Truppe munter die Zivilisationen clashen und arbeitete in Shanghai, Lagos, Buenos Aires und Richmond mit lokalen Performern zusammen.
Aus beiden Projekten kann man einigen Akteuren auch in der jüngsten Lubricat-Produktion „Zornige Menschen“ wieder begegnen: Renate Busse und Peter Fieback aus dem „Café Dutschke“, der argentinischen Schauspielerin Tatiana Saphir und dem argentinischen Musiker Santiago Blaum aus dem Buenos-Aires-Teil von „Mutation“. Im neuen Lubricat-Abend nun ist Blaum für die Musik zuständig. Gegenstand ist das Deutschland von Hartz IV. Blaum gießt zwischen die Teile des Abends immer wieder einen melancholischen Sound, lässt jiddische Volkslieder und Grönemeyer-Schlager singen. Manchmal bewegen sich dazu alle Darsteller in ironischen Choreografien von Katrin Wickenhäuser.
Zusammen mit altgedienten Lubricat-Spielern wie Niels Bormann, Stefan Hufschmidt und Miriam Fiordeponti spielen diesmal fast zwanzig Laien mit. Vor Probenbeginn hatte Lubricat in Zeitungsannoncen nach Leuten gesucht, deren Gefühlslage angesichts der Gegenwart mit dem Begriff „zornig“ auf den Punkt zu bringen war. Zorn, Trauer und Ohnmacht der Menschen angesichts des Scheiterns von Lebensentwürfen wird in Form von kleinen Geschichten immer wieder in den Abend gestreut.
Da ist zum Beispiel Katrin Rathert, die gleich zu Anfang berichtet, wie sich ihre Ohnmacht gegenüber desinteressierten Beratern eines Job-Centers in einem Massaker entlädt. Wir nehmen nicht an, dass die Geschichte eine reale Grundlage hat. Aber sie ist typisch für den Abend, in dessen Verlauf Absurdes und Reales immer wieder revuehaft verschmelzen. Kathrin Rathers steht auf einem kleinen Bühnenpodest. Sie trägt ein quadratisch geschnittenes Kleid und leiert ihre blutrünstige Geschichte beinahe tonlos herunter.
Im Hintergrund ein Sofa, Biergartentische und eine Gartenbank. Links eine heruntergekommene Kantine, der ein Mann in Kittelschürze namens Helga (Stefan Hufschmidt) vorsteht. Fünfundzwanzig Spieler und ein Hund haben sich an diesem Ort zu einer merkwürdigen Gesellschaft verbündet und liefern das Bild einer Gemeinschaft aus Verlierern. Ein Mann bietet sich für zwei Euro als Sexobjekt an. Ein alter und beinloser Krüppel (Rob Bennett) rollt auf einer Art Skateboard durch die Szene und erzählt von den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts, die von seinem Körper nicht viel übrig ließen. Eine Frau (Miriam Fiordeponti) findet, dass sie trotz Humana-Garderobe nach mehr aussieht. Eine andere blättert im Schnelldurchlauf ihre Karriere als Mörderin auf, und ein ältliches Fräulein (Henriette Schult Molon) mit Spielzeugäffchen im Arm berichtet, wie sie einen Liebhaber erschlug, weil er mit seinem Arbeitsweltfrust in ihre private Sphäre eindrang.
Zentraler Ort ist Helgas Kantine, wo man sich gelegentlich zur Speisung einfindet. Schöne Anekdoten und krasse Beschreibungen von Lebensumständen liefern immer wieder intensive Momente. Doch so ganz fügt sich der Abend nicht zu jener Lubricat-typischen Dichte aus Leichtigkeit und Diskurs, Poesie und Drama. Alles bleibt ein bisschen vage. Vor allem dem versprochenen Zorn ist man an diesem Abend nicht begegnet, eher einer stimmungsvollen Resignation.
Wieder 24. 4 und 27. 4.–1. 5. jeweils 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstr. 18