: Am Ende geht es um Würde
Darf man das? Eine Suche nach dem Happy End im Caritas Hospiz in Berlin Pankow
VON LENA GUNTENHÖNER
Elke Mai ist Gast im Caritas Hospiz Pankow, nicht Patientin, denn das hier ist kein Krankenhaus, sondern das Haus, in dem sie das Ende ihres Lebens verbringen möchte. Sie heißt in Wirklichkeit anders, will jedoch nicht mit ihrem richtigem Namen in der Zeitung stehen. Sterben ist zu persönlich. Im Mai letzten Jahres erfuhr sie die Diagnose Krebs. Unheilbar. Elke Mai ist 39 Jahre alt, sie hat eine Tochter.
Die Öffentlichkeit verdrängt gerne die Tatsache, dass wir alle eines Tages sterben werden. Und wenn es dann doch sein muss, scheint friedliches Einschlafen im Kreise der Liebsten der einzig glückliche Ausgang zu sein, den das Leben nehmen kann. Doch was geschieht, wenn jemand krank ist, viel zu jung oder nicht zu Hause stirbt, gibt es dann auch so etwas wie ein Happy End? Oder ist es zynisch, überhaupt danach zu fragen? Stößt die Suche nach dem glücklichen Ende hier an ihre Grenzen?
Das Hospiz als Familienersatz?
Elke Mai kann ihrer Situation natürlich nichts Gutes abgewinnen. Sie sitzt noch am Frühstückstisch, neben ihr steht ein Tropf, den sie immer mit sich zieht. Manchmal macht er surrende Geräusche. Am Tisch frühstücken noch drei Pfleger und ein Putzmann, denn hier wird auch beim Essen nicht zwischen Angestellten und Gästen unterschieden. Menschen lachen, diskutieren über das leckerste Brötchen, kleine Reibereien gibt es auch. Wie in einer ganz normalen Familie.
Die anderen Gäste sind auf ihren Zimmern. Jeder darf hier seinen eigenen Rhythmus beibehalten, die Essenszeiten sind nicht vorgeschrieben. Es soll alles möglichst so sein wie zu Hause. Man darf sich auch bestimmte Gerichte wünschen. Oder die Angehörigen kochen in der Gästeküche selbst.
Elke Mais Mutter kommt sie jeden Tag besuchen. Seit Ende Oktober lebt sie nun schon hier, am Anfang konnte sie noch ab und zu nach Hause in ihre Wohnung fahren. Das geht nun nicht mehr. Sie bewegt sich nur im Haus und ist damit noch einer der selbstständigsten und mobilsten Gäste.
Die meisten sind sehr viel älter als sie, der Altersdurchschnitt liegt bei 72 Jahren. 95 Prozent der Menschen leiden an Krebs. „Voraussetzung für eine Aufnahme ist, dass die Krankheit schnell voranschreitet, nicht heilbar ist und professioneller Pflege bedarf“, erklärt Joachim Müller, der Hospizleiter. Die Krankenkassen, auch die gesetzlichen, kommen für die Kosten auf.
Bei Elke Mai hat es eine Woche gedauert, bis sie den Platz hatte. Darüber ist sie froh: „Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, zu wissen, dass ich 24 Stunden am Tag medizinische Betreuung bekommen kann. Auch für die Seele haben die Schwestern immer ein offenes Ohr, weil große Angst zu einer schweren Erkrankung dazu gehört.“
Ihr Zimmer sieht schon ein bisschen nach Krankenhaus aus, doch durch herumliegende Spiele, Büroutensilien, Obst, Blumen und Kinderzeichnungen bekommt es eine persönliche Note. Ein Flachbildfernseher steht auf einer Kommode, auf dem Tisch liegen DVDs. Sie sehe im Moment gerne Märchenfilme, dafür habe sie früher als Kosmetikerin keine Zeit gehabt, sagt Elke Mai. Ob sie noch Freude empfinde? „Freude ist immer relativ“, antwortet sie, „ich habe im Laufe der Krankheit gelernt, mich an ganz vielen kleinen Sachen zu freuen“. Sie bleibt in ihrem Zimmer sitzen, nachdem das Gespräch beendet ist. Sie kann ja auch nicht weg.
Vor ihrer Tür spielt das Leben. Mehmet Sare zieht seinen großen, bunten Putzwagen hinter sich her und verschwindet immer wieder mit einem gelben Lappen in der Hand in einem Zimmer. Er arbeitet als Reinigungskraft im Hospiz. Ihn stört es nicht, dass er täglich mit sterbenden Menschen zu tun hat. Das Sterben gehöre zum Leben dazu, so stehe es im Koran.
Neues Leben und der Tod
Krankenschwester Andrea Martin-Kuhz hat früher im Krankenhaus gearbeitet, wo sie erleben musste, wie im Sterben liegende Menschen aus dem Vierbettzimmer in ein Bad geschoben worden seien, damit die anderen Zimmergenossen nichts davon mitbekämen. Hier im Hospiz würde mit dem Sterben normal umgegangen und sie habe die Zeit, einfach mal zwei Stunden nur eine Hand zu halten. Dennoch fällt ihr die Arbeit manchmal schwer, vor allem jetzt, da sie schwanger ist. In sich das aufkeimende Leben zu spüren und gleichzeitig immer mit dem Tod zu tun zu haben, das sei ein zu großer Gegensatz.
Die Zeit ist bestimmend im Hospiz. Dort, wo doch eigentlich kaum noch Zeit bleibt, wissen die Menschen sie ganz besonders zu schätzen. Es geht darum, in Ruhe Abschied zu nehmen, Schmerzen zu lindern und ein würdevolles Sterben zu ermöglichen. Die Anzahl der Pflegekräfte ist gesetzlich vorgeschrieben, „man muss keine Schelle drücken, damit mal jemand vorbeischaut“, sagt Joachim Müller.
Es sind nur freundliche Gesichter zu sehen, jeder wird gegrüßt, in allen Räumen stehen Pflanzen. Wenig erinnert an die hektische, neonlichtgrelle und linoleumquietschende Atmosphäre eines Krankenhauses. Der Tod ist hier allgegenwärtig, die Traurigkeit ist es nicht.