: „Erst mal Tabula rasa“
STADTENTWICKLUNG Die freien Räume in der Stadt schwinden – bei Bedarf wird auch per Abriss Platz geschaffen. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Hermann Hipp
■ Professor am Kunstgeschichtlichen Seminar Hamburg und Autor von „Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster“ Foto: privat
INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF
taz: Herr Hipp, verdient sich Hamburg gerade den Titel „Freie und Abriss-Stadt“?
Hermann Hipp: Dieses Diktum wird immer Alfred Lichtwark zugeschrieben, dem bedeutenden Kunsthallendirektor um die Jahrhundertwende, aber das konnte nie belegt werden.
Gehalten hat es sich trotzdem.
Weil es in mancher Hinsicht eben doch Realität widerspiegelt.
Woran würden Sie das festmachen?
In Hamburg wird in der Vergangenheit wie in der Gegenwart schon gern erst mal Tabula rasa geschaffen. Denken Sie nur an die denkmalschutzwürdigen Kontorhäuser, an deren Stelle die „Europa-Passage“ gebaut worden ist.
Sollte es in einer so stark zerstörten Stadt wie Hamburg nicht eine Art kollektives bauliches Gedächtnis geben, das die Stadt behutsam mit dem umgehen lässt, was erhalten blieb?
Ganz so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht. Hier finden Sie – zum Beispiel in Rotherbaum – immer noch ausgedehnte, gut erhaltene bürgerliche Wohnviertel. Allerdings ist es gerade deren Attraktivität, die inzwischen zur Verdichtung führt.
Gerade scheint in Hamburg ein weiterer Verdichtungsschub stattzufinden, in dem ein- bis zweistöckige Häuser Eigentumswohnungen weichen müssen. Beraubt sich die Stadt da wichtiger Freiräume?
Wenn Sie damit die innerstädtischen „Szene“-Viertel meinen, ja, da findet so etwas wie Verdrängung und dann Verdichtung statt. Hier ist es das lebendige, kreative soziale Milieu, das anzieht. Die Folge ist der aus allen Großstädten bekannte Prozess der Gentrifizierung. Junge Leute mieten abgenutzte städtische Substanz zu erschwinglichen Preisen und es entsteht etwas ganz Tolles, sei es in der Schanze oder in Berlin im Prenzlauer Berg. Dann kommen die Leute mit Geld und an die Stelle der Subkultur tritt ein Pseudomilieu, für das neu und mehr Wohnraum gebaut wird, so dass sich das Stadtbild und erst recht die Bewohnerschaft bald verwandeln. Vor allem aber steigt der Grundstückswert dadurch beachtlich.
Bleibt der ehemaligen Avantgarde dann nur noch der Weg in den 50er-Jahr-Bau, bei dem sie nicht mit den Finanzkräftigen konkurriert?
Ich fürchte, das ist keine Alternative. Eine Sozialwohnung der Nachkriegszeit bietet nun einmal nicht dieselbe räumliche Vielfalt an wie fast alle Altbauten aus der Kaiserzeit. Übrigens erfasst der Verdichtungs- und Verdrängungsprozess, die Immobilienspekulation auf Grund von Attraktivität, andere Milieus und deren Stadtbild noch konsequenter.
Welche denn?
Die der mittelständischen Bürgerkultur in den ausgedehnten Stadtteilen, wo in Hamburg jahrzehntelang das kultivierte Einfamilienhaus herrschte. Gerade die große Wohnqualität von Vierteln wie Othmarschen oder Volksdorf führt dort zum Austausch der schönen alten Häuser durch verdichteten Wohnungsbau, dessen euphemistische Bezeichnung als „Stadtvillen“ nur verdeckt, dass vier, sechs und noch viel mehr Wohnungen auf demselben Grundstück entstehen wie vorher ein Einzelhaus, so dass die Viertel ihren Charakter verlieren. Und der gehört ja nicht nur den Bewohnern, sondern der Öffentlichkeit insgesamt. Die legendäre Bebauung der „Elbchaussee“ ist so regelrecht am Verschwinden.
Ist das ein unausweichlicher Prozess?
Die Bauleitplanung, insbesondere die Bebauungspläne, definieren schon sehr eindeutig wenigstens Art und Maß der Nutzung von Grundstücken und Quartieren. Allerdings kann man sie ändern. Und sie werden wohl auch immer flexibler umgesetzt.
Das heißt, es gäbe doch ein Handhabe der Politik, die sie nur nutzen müsste?
Eine Politik, die wollte, hätte sie. Und das betrifft vor allem einen Punkt, an dem ich empfindlich werde: Wenn nämlich die öffentliche Hand sich mit öffentlichem Grund und Boden selbst aktiv an Verdrängung und Verdichtung beteiligt. So wird gerade jetzt das Schulgelände bei der Hauptkirche St. Katharinen mit seinem Freiraum für eine hochverdichtete Neu-Bebauung privatisiert. Die Kirche wird dahinter nachgerade verschwinden. Die Gemeinde und die Anwohner protestieren. Wir werden sehen, ob und wie die Politik reagieren wird.