: Verfremden, rahmen oder intervenieren?
KUNSTAKT Die Brecht-Tage 2012 im Literaturforum im Brecht-Haus beschäftigten sich mit Brechts Aktualität in den Ländern seines Exils. Für zeitgenössische Theatermacher ist er eine große Fundgrube
Eines konnte man am Montagabend schon mal festhalten: Von wo immer Impulse kommen mögen zur Erneuerung Brechts: Aus Schweden werden sie nicht kommen. Das hat nicht mit Brecht zu tun, sondern liegt an einer Gesellschaft, die ein Kombinat ist, ein Kombinat aus USA und DDR. Wo die kollektivierte Individualität sogar zur Geschäftsidee eines globalen Möbelhauses geworden ist. Sagt vorne auf dem Podium Staffan Valdemar Holm, schwedischer Theater- und Opernregisseur, seit 2011 Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Die Brecht-Tage im Literaturforum im Brecht-Haus widmen sich dieses Jahr der Aktualität Brechts in den Ländern des Exils. In Sachen Exil war Brecht ein Weltreisender. Dänemark, Schweden, Finnland, USA, Schweiz – fünf Länder, fünf Abende.
In Schweden scheint Brecht mehr oder weniger heruntergewirtschaftet zu sein. Bis in die 70er Jahre waren die Aufführungen seiner Stücke von einer hyperideologisierten Inszenierungspraxis geprägt. Frauenfiguren sahen immer aus wie Mutter Courage, Männer wie Helden der Arbeit. Brecht wurde zum Opfer und zugleich Bestandteil der sogenannten progressiven Kultur, in der alle einer Meinung waren und immer schon Bescheid wussten. „Wenn du dich in diesen Hochzeiten der politischen Kunst für Baudelaire oder Rilke interessiert hast“, sekundiert Ulf Peter Hallberg, Schriftsteller und Übersetzer, „nannte man dich eine bürgerliche Missgeburt.“
Zwar gab es in den 80er Jahren Versuche, Heiner Müllers kritischen Brecht-Gebrauch auch nach Schweden zu importieren, aber sie scheiterten. Trostlose Aussichten: Der Populismus, so Hallberg, breite sich in Schweden immer mehr aus. Dem Publikum werde nichts mehr zugetraut, stattdessen gebe es das Mundgerechte, das Niedliche.
Am zweiten Abend drängt sich langsam ein Verdacht auf. Schon am Montag hatte Jörgen Dalquist vom Theater Weimar seine Arbeit vorgestellt, die eher im Grenzgebiet des Theaters beheimatet ist. Jetzt sprechen Stefan Kaegi vom Kollektiv Rimini Protokoll und Milo Rau. Beide stammen aus der Schweiz, leben und arbeiten zurzeit aber in Deutschland. Beide kennen Brecht nur „ausgewählt“ und versuchen, für diesen Abend Spuren Brechts in ihren Arbeiten aufzudecken.
Rimini Protokoll erklärten 2009 die Hauptversammlung von Daimler zu einem „Schauspiel in fünf Akten“. Sie rekrutierten Aktionäre als Zuschauer oder kauften selbst Aktien, um teilnehmen zu können. Die Hauptversammlung lief – wie jede Hauptversammlung – nach einem festgelegten Plan ab, fast wie eine Theateraufführung. Einzig eine Abweichung gab es: Manfred Bischoff, als Aufsichtsratsvorsitzender auch Versammlungsleiter, warnte gleich zu Beginn „Dies ist hier weder ein Schauspiel noch ein Theaterstück!“.
Verfremdung allein durch neue Rahmung oder durch Intervention – ist das eigentlich noch Theater? Auch in Milo Raus Reenactment „Die letzten Tage der Ceausescus“ geht es nicht vordergründig darum, den Prozess und die Hinrichtung des rumänischen Diktators und seiner Frau historisch aufzuarbeiten, sondern eher um die minutiöse Reinszenierung eines historischen Moments, um die Wiederholung – die in Rumänien zur Wieder-Holung eines politischen Ereignisses wurde.
Am dritten Abend bestätigt sich dann vollends der Eindruck, dass die Aktualität Brechts wenn, dann in den Randzonen des Theaters zu finden ist. Wie bei David Levine oder Ari Benjamin Meyers. Die beiden New Yorker, die jetzt in Berlin leben und arbeiten, bevorzugen eher Galerien statt Theater, die Performance statt der klassischen Aufführung.
Meyers, Komponist und Dirigent fragt zum Beispiel: Musik ausstellen, wie geht das? Den großen Zugriff auf Brecht gibt’s nicht mehr. Viele Theaterkünstler eignen sich ihn höchst eklektizistisch an. Sie greifen sich raus, was sie gebrauchen können, eher an Formalismen interessiert als an den Stücken, wenngleich Brechts Lehrstück „Die Maßnahme“ auffällig oft erwähnt wird. Was diese Künstler verbindet, ist zum einen die Künstlichkeit theatraler Vorgänge – dahinter will keiner zurück –, und zum anderen der experimentelle Charakter künstlerischer Akte. Und „überhaupt ist der Begriff des Kunstakts sehr ergiebig“, schrieb Brecht Ende 1939 im Exil, in Schweden. STEFAN MAHLKE