: Saure Gurkenzeit für Hilfsarbeiter
Weil die Landwirte es versäumt haben, Sozialabgaben für ihre polnischen Erntehelfer zu zahlen, drohen jetzt Nachforderungen. Bauernverband: Existenzen sind gefährdet
MÜNSTER taz ■ Vielleicht wären deutsche Arbeitslose doch die billigeren Erntehelfer gewesen. Wie jetzt bekannt wurde, haben die Landwirte für die rund 45.000 überwiegend polnischen Erntehelfer, die jedes Jahr in NRW Erdbeeren pflücken, Gurken ernten und Spargel stechen, im vergangenen und in diesem Jahr keine Sozialabgaben gezahlt. Damit haben sie gegen eine entsprechende EU-Verordnung verstoßen, die seit dem Beitritt Polens zur Union gilt. Die Bundesregierung soll nun in Verhandlungen ihre polnischen Gesprächspartner davon überzeugen, auf die Forderungen zu verzichten.
„Wir hoffen auf eine politische Lösung zumindest für 2004 und 2005“, erklärte gestern der Arbeitgeberverband der westfälisch-lippischen Land- und Forstwirtschaft in Münster. Mögliche Nachzahlungsforderungen der polnischen Regierung gefährden nach Verbandsangaben die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe.
Ohnehin wollen sich die Bauern nicht vorwerfen lassen, sie hätten die Sozialabgaben für osteuropäische Billiglöhner vergessen oder gar unterschlagen. Statt dessen schiebt man den schwarzen Peter der Bundesregierung zu: Gerd Sonnleitner, Präsident des deutschen Bauernverbands erklärte gestern, sein Verband sei bei der Umsetzung der neuen EU-Richtlinie „hellwach“ gewesen, die zuständigen Bundesministerien hätten jedoch versichert, dass die neue EU-Verordnung in den meisten Fällen nicht zutreffe, zudem sei die Umsetzung der Verordnung nicht gesetzlich geregelt. Im Bundessozialministerin weist man die Kritik zurück: Wer ausländische Beschäftigte einstelle, müsse sich nun mal informieren, welche Bedingungen gelten.
Lösen soll den Konflikt nun Sozial-Staatssekretär Heinrich Tiemann. Er verhandelt in Warschau über mögliche Kompromisse. Dass die Bundesregierung für die Landwirte einspringt, schließt das Ministerium aber aus: „In der Situation des Gesamtschuldners sind die Arbeitgeber und nicht der deutsche Staat“, so ein Sprecher.
Die Bauern geben dennoch die Hoffnung nicht auf, dass zumindest die Nachforderungen für 2004 entfallen. Man hoffe auf die „normative Kraft des Faktischen“, so ein Sprecher des Arbeitgeberverbands. „Es ist ja schließlich nicht einmal klar, an wen wir das Geld überhaupt zahlen sollten.“ ULLA JASPER