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Archiv-Artikel

Sollen wir Klimaskeptikern noch zuhören?JA

PROGNOSEN Der RWE-Manager und ehemalige SPD-Senator Fritz Vahrenholt bezweifelt, dass der Mensch die Erde aufheizt. Manche nennen ihn jetzt Klima-Sarrazin

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Sigmar Gabriel, 52, SPD-Chef und ehemaliger Bundesumweltminister

Na klar muss man „Klimaskeptikern“ zuhören, auch wenn’s manchmal anstrengend ist. Aber wichtiger noch: Man muss ihnen widersprechen. Denn allen Verschwörungstheorien zum Trotz sind es nicht irgendwelche dunklen Mächte, die die vermeintlichen Erkenntnisse der Klimaskeptiker unterdrücken. Es ist die etablierte Wissenschaft, die die „Klimaskeptiker“ entlarvt. Nicht, wie viele immer noch glauben, mit politischen Totschlagargumenten. Sondern mit Daten, Zahlen, Fakten. Es ist schon bizarr: Die Gleichen, die über Jahrzehnte Technik- und Wissenschaftsskeptiker als Feinde des Fortschritts denunzierten – etwa die Anti-AKW-Bewegung –versuchen nun den Spieß umzudrehen. Dass die „Klimaskeptiker“ jetzt so viel Aufmerksamkeit bekommen, liegt wohl nicht nur am Wetter. Sondern auch daran, dass die Exklimakanzlerin Merkel sich nicht mehr um das Thema kümmert. Die Klimapolitik muss endlich wieder auf die politische Tagesordnung – in Deutschland, Europa und weltweit.

Mark Benecke, 41, Kriminalbiologe, Vegetarier, NRW-Vorsitzender der PARTEI

Als Kauz höre ich gern jedem zu. Auch Fanatiker können mal recht haben. Wenn Inhalte durch die besten Prüfmethoden widerlegt sind, wird’s langweilig. Klimaskeptiker (geiles Wort!) sind für mich aber wie Viren in der Evolution: Ohne deren Gegendruck entwickelt sich auf der anderen Seite nicht die beste Lösung. Das ist der Nutzen von Meinungsfreiheit: Sie ist ein Gratis-Schleifstein, der hilft, die eigene Argumentation fein zu feilen – wenn sie in die richtige Richtung geht. Viren können noch was: Zufällige Informationsbausteine ausschneiden und in ein anderes Lebensfeld verpflanzen. Das ist oft lästig (Schnupfen), treibt aber ungewöhnliche Lösungen voran.

Marie-Luise Dött, 58, ist umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

„Klimaskeptiker“ halte ich für einen fragwürdigen Begriff. Er schafft eine Schublade, die vielen nicht gerecht wird. Trotzdem: Ich finde es richtig, sich mit „Klimaskeptikern“ auseinanderzusetzen. Ein offener Meinungsaustausch, meinetwegen auch Streit, muss immer möglich sein. Das kennzeichnet demokratische Gesellschaften. Urteile dürfen nicht durch Vorurteile ersetzt werden, das gilt auch für den Klimaschutz. Als Politikerin ist es meine Pflicht, mich mit allen Meinungen auseinanderzusetzen und mit denen, die andere Positionen vertreten, hart, aber offen und fair zu diskutieren.

Bjørn Lomborg, 47, Dozent und Autor des Bestsellers: „The Skeptical Environmentalist“

Die menschgemachte Erderwärmung ist real, die ihr zugrunde liegende Wissenschaft bekannt. Höherer CO2-Ausstoß, der durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre gelangt, wird einen Temperaturanstieg verursachen. Leugnern sollten wir nicht zuhören. Hüten sollten wir uns vor Panikmachern, die einen Meeresspiegelanstieg von sechs Metern und Hungersterben heraufbeschwören. Keine dieser Behauptungen wird von der Wissenschaft gestützt, wie der Weltklimarat darlegt. Sie haben eine Klimapanik bewirkt, die zu schlechten politischen Entscheidungen geführt hat, hohen Solarsubventionen etwa. Oder zur Verschrottung existierender Atomkraft. Für eine kluge Lösung muss man wissen, dass weniger als 1 Prozent der Weltenergie mit erneuerbaren Energien bestritten wird. Im ehrgeizigsten Fall sind es 2035 gerade 4 Prozent. Statt mehr Geld in die Subventionierung ineffizienter erneuerbarer Energien von heute zu stecken, sollten wir in die Forschung alternativer Energien von morgen investieren.

Nein

Petra Döll, 49, Professorin an der Uni Frankfurt und Leitautorin des Weltklimarats

Klimaskeptiker wiederholen die immer gleichen Argumente, die längst wissenschaftlich widerlegt sind. Ein Beispiel sind die natürlichen Schwankungen der Sonnenaktivität, die die Erderwärmung erklären sollen. Berechnungen mit den besten Klimamodellen haben gezeigt, dass die seit 1990 beobachtete starke Erwärmung der Erde dadurch keinesfalls erklärt werden kann. Die lässt sich nur dann nachvollziehen, wenn in den Modellen der vom Menschen verursachte Ausstoß von Treibhausgasen berücksichtigt wird. Weitaus interessanter als Klimaskeptikern zuzuhören ist es, Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie können wir den Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre begrenzen? Welche Auswirkungen wird der Klimawandel haben? Gut zu wissen: Viele Strategien zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel wären selbst dann sinnvoll, wenn es keinen menschgemachten Klimawandel gäbe. Verbrennen wir zur Energieerzeugung kein Erdöl mehr, um weniger Treibhausgase auszustoßen, kann auch die übernächste Generation daraus wertvolle Kunststoffe produzieren. Geben wir den Flüssen wieder mehr Raum und Überflutungsflächen, um die Schäden durch die künftig stärkeren Hochwässer zu verringern, schaffen wir damit auch neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen.

Knud Jahnke, 39, ist Astrophysiker und hat die Frage auf taz.de kommentiert

Interessant an der Debatte ist, dass sich der Klimawandel nicht dafür interessiert, ob Herr Vahrenholt einem menschgemachten Klimawandel „skeptisch“ gegenübersteht oder nicht. Es gibt wissenschaftliche Fakten. Erstens: Der CO2-Gehalt ist durch die Kohle- und Ölverbrennung des Menschen seit Beginn der Industrialisierung um 30 Prozent angestiegen und höher, als er es in den vergangenen paar 100.000 Jahren je war, Eiszeiten eingeschlossen. Der Ausstoß von CO2 geht trotz Peak Oil beschleunigt weiter. Zweitens: Die mittlere Oberflächentemperatur der Erde ist in den letzten hundert Jahren um zirka 0,6 Grad angestiegen. Drittens: Es gibt sehr starke, von der überwiegenden Mehrheit der Klimatologen akzeptierte und bislang unwiderlegte Argumente, dass der sogenannte Treibhauseffekt durch CO2 real ist und damit durch uns Menschen freigesetztes CO2 zur gerade erst beginnenden Klimaveränderung geführt hat. Sämtliche Gegenthesen wurden in der Vergangenheit als Missinterpretation oder Fehlanalysen von Daten entlarvt. Wenn jetzt die Kampagnenpresse (Bild, Spiegel) Herrn Vahrenholt hofiert, sagt das mehr über die deutsche Presselandschaft und die Wissenschaftsferne des Boulevard aus als über die Ursachen des Klimawandels. Der Schaden aber, den Vahrenholt samt Pressetross anrichten kann, ist immens. Darum ist es wichtig, seine wahren Motive bloßzustellen.

Florian Freistetter, 34, ist Astronom, Wissenschaftsautor und Blogger aus Jena

In der Wissenschaft ist es wichtig, offen zu sein. Man darf neue Ideen nicht einfach aus dem Bauch heraus ablehnen. Es ist allerdings ebenso wichtig, auch die Konsequenzen aus den Forschungsergebnissen zu ziehen. Die von den Klimaskeptikern beschworene Spaltung der Wissenschaftler existiert nicht. Die absolut überwiegende Mehrheit der Experten kommt aufgrund ihrer Forschungsergebnisse zu dem Schluss, dass der von Menschen gemachte Klimawandel real ist. Bei aller Offenheit für alternative Ideen ist es langsam wirklich an der Zeit, diese Erkenntnisse zu akzeptieren. Den Klimaskeptikern geht es meist nicht um Wissenschaft, sondern um Politik. Ihre Thesen sind oft genug und ausreichend widerlegt worden. Zudem sind ihre Argumente immer dieselben. Man kann sie also mittlerweile getrost ignorieren. Das heißt: Solange keine fundamental neuen Ideen auftauchen, ist es nicht mehr nötig, den Klimaskeptikern zuzuhören.