SCHOKOLADEN-RÄUMUNGSKLAGE, PANKOWS RAUBBAU AN DER KULTUR
: Kampf dem Protest

VON ULRICH GUTMAIR

Politik wird in den Ausschüssen gemacht. Stefan Liebich weiß das. Er ist Mitglied des Bundestags, von den Bürgern Pankows mit Direktmandat entsandt. Am Mittwoch besuchte Liebich den Kulturausschuss des Parlaments. Dort debattierte man routiniert, aber mit Gefühl über die Frage „Kultur in den Kommunen immer noch unter Sparzwang?“.

In Pankow ist der Sparzwang seit ein paar Wochen ein Problem. Der für die Kultur zuständige CDU-Stadtrat hat angekündigt, dass mehrere kommunale Kultureinrichtungen geschlossen werden. Thorsten Kühne ist 1975 geboren, promovierter Physiker und auch fürs Ordnungsamt zuständig. (Sie erinnern sich: Auf dem Gehweg Rad fahrende Väter mit Kindern, die ihren Nachwuchs nicht von SUVs überrollt sehen wollen, bekommen in Pankow Tickets.)

Stefan Liebich ist zur Ausschusssitzung gekommen – er ist kein Mitglied –, um über die drohenden Schließungen zu berichten. Weder die Verantwortlichen im Senat noch der zuständige Stadtrat seien Kulturbanausen, sagt der Abgeordnete der Linkspartei. Das Problem sei die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen, diese wiederum Folge desaströser Steuerpolitik. Dagegen empfiehlt Liebich: das Staatsziel Kultur in der Bundesverfassung verankern, Steuern für Reiche erhöhen, Finanztransaktionssteuer einführen.

Was aus Bundesadlerperspektive unkompliziert klingt, sieht in der Ebene aus wie ein Ringen um Etats, einige Nasen bluten schon. Der Pankower Kulturstadtrat hat sich sein Sparprogramm zwar selber ausgedacht, Anlass aber war die Ansage des Senats, dass 5 Millionen Euro gespart werden müssen. Umso verärgerter waren die Genossen in Pankow, allen voran Bezirksbürgermeister Matthias Köhne, darüber, dass Kulturstaatssekretär André Schmitz den Pankowern mittels einer Presserklärung zurief, der Bezirk solle keinen „Raubbau an der Kultur“ betreiben. Der Senat habe sich, das muss man sich merken, „in dieser Legislaturperiode verstärkt der Sicherung von Kulturorten verschrieben“.

Wie jetzt?, fragten sich die Pankower. Erst Sparprogramme verordnen und dann Sparprogramme geißeln? Der Sprecher von Schmitz konterte, der Anteil der Kulturausgaben am Gesamtetat liege in Pankow so niedrig wie fast nirgends in Berlin. Demnächst tagt die Bezirksverordnetenversammlung. Der bürgerliche Widerstand formiert sich, um Kiezeinrichtungen wie die Bibliothek im Bötzowviertel zu verteidigen, die ohnehin nur noch dank der Arbeit vieler Ehrenamtlicher bestehen kann.

Bürgerwille versetzt Berge

Im Kulturausschuss finden sie Bürgerprotest gegen Raubbau an der Kultur fast unisono gut. Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Börnsen aus Bönstrup von der CDU etwa trägt einen roten Schal und sagt: „Bürgerwille kann Berge versetzen.“ Ihm entgegnet warnend Raimund Bartella, Kulturreferent des Städtetags, Bürgerproteste hätten an sich eine konservative Struktur. Das ist leider nicht ganz falsch. Als die letzten namhaften Clubs in Prenzlauer Berg dichtmachen mussten, war von Bürgerprotest nichts zu hören, die Schließungen selbst waren das Ergebnis von Bürgerprotest gewesen. Der Bürger ist immer der größte Feind der bohemistischen Freizeitbeschäftigungen gewesen. Ohne das nächtliche Treiben von Künstlern und Künstlertypen ist Kultur aber schlechterdings undenkbar. Man könnte also schließen, dass zukunftsweisende Proteste gegen den Raubbau an Kultur nur antibürgerliche Proteste sein können.

Die Verhältnisse in Mitte sprechen für diese These. Die Besetzer, Künstler, Raver, Mitte-Boys-and-Girls haben auch hier ihre Schuldigkeit getan. Ciao, bye bye, schön war’s mit der Subkultur! Jetzt wollen wir den Flokati der Biederkeit ausrollen und uns beim Kirchgang nicht stören lassen von ungewaschenen Gestalten. Was sollen die Kinder denken? Symbol dieser Entwicklung ist der Schokoladen, der am 22. Februar geräumt werden soll. Anscheinend sind nun, wo’s ernst wird, Verhandlungen zwischen Hausbesitzer und Senat über einen Grundstückstausch wieder aufgenommen worden. Auch hier ist der Ausgang der Sache offen.

Vielleicht hat der Abgeordnete Liebich recht. Mitte schwimmt im Geld. Vorschlag für den Finanzsenator: eine Bürgersteuer auf Geländewagen.