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Archiv-Artikel

Zeitalter der Depression

In Hamburg nimmt die Zahl der Krankmeldungen ab. Immer häufiger aber werden gelbe Scheine wegen psychischer Erkrankungen ausgestellt

Von Elke Spanner

Die gute Nachricht zuerst: Der Krankenstand unter Hamburgs Arbeitnehmern ist im vergangenen Jahr zurückgegangen: Pro Arbeitstag hatten nur rund drei Prozent aller Beschäftigten einen gelben Schein, während es im Vorjahr noch 3,3 Prozent waren. Nun die schlechte: Die Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen nimmt zu. Während im Bundesdurchschnitt auf 100 Kassenmitglieder nur 113 Fehltage wegen Depressionen oder Angststörungen kamen, waren es in Hamburg 168. Das ist das Ergebnis des Gesundheitsreports der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), den diese gestern vorstellte.

Depressionen und Angststörungen „sind die Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts“, resümierte Judith Berger vom Berliner „Institut für Gesundheits- und Sozialforschung“, die Autorin des Gesundheitsreports. Allerdings sei die hohe Anzahl gelber Scheine mit einer solchen Diagnose nicht allein darauf zurückzuführen, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen tatsächlich angestiegen ist. Sie würden häufiger diagnostiziert, weil auch Hausärzte immer öfters seelische Ursachen hinter körperlichen Symptomen erkennen würden. Zudem sei die Akzeptanz der Krankheitsbilder gestiegen – Patienten trauen sich heutzutage eher, Ärzten psychische Probleme anzuvertrauen, und diese wiederum scheuen weniger vor der entsprechenden Diagnose zurück.

Überrascht zeigte sich Berger darüber, dass rund 80 Prozent der in der Studie Befragten bekannten, bereits in psychologischer Behandlung gewesen zu sein oder vor einer solchen im Bedarfsfall nicht zurückzuschrecken. Die Akzeptanz sei bei den Patienten groß – die Angst vor einer Stigmatisierung aber ebenfalls. So hatten 30 Prozent der Befragten ihre Sorge geäußert, dass die Arbeitskollegen ein Fehlen wegen Depressionen nicht akzeptieren würden. 56 Prozent bezeichneten es als „unangenehmer“, wegen psychischer Erkrankungen zu fehlen, als sich wegen einer Grippe ins Bett zu legen.

Fehltage wegen seelischer Erkrankungen hatten im vergangenen Jahr insbesondere Beschäftigte in Organisationen und Verbänden, im Gesundheitswesen und der öffentlichen Verwaltung. Die Arbeitswelt ist laut Berger aber nicht allein ursächlich für das Entstehen dieser Störungen, sondern nur dafür, dass sie zum Vorschein kommen. Hans-Peter Unger, Arzt am Allgemeinen Krankenhaus Harburg, ergänzte, dass die Depression zwar „der Arbeitsunfall der Dienstleistungsgesellschaft“ sei. Ursächlich sei neben gestiegener Arbeitsbelastung und der Angst vor Jobverlust aber auch die zunehmende Isolierung vieler Menschen. In Hamburg, erinnerte er, gibt es weit mehr Singlehaushalte als im übrigen Bundesgebiet.