Tu Gutes, Boss!

Immer mehr Unternehmen wollen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Zumindest behaupten sie das. Doch viele Firmen sehen in der Moral vor allem ein neues Marketinginstrument. Und genau hier liegt das Problem: in den Köpfen der Manager

VON FELIX ROHRBECK

„Es gibt Wirtschaft, es gibt Ethik – aber es gibt keine Wirtschaftsethik!“, war der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann überzeugt. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering würde dieser These vermutlich zustimmen. Er sieht in der Ökonomie ein System, das den Menschen nur in Funktionen einkalkuliert: „als Größe in der Produktion, als Verbraucher oder als Ware am Arbeitsmarkt“. Seine Kritik an der „international wachsenden Macht des Kapitals und der totalen Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns“ spricht vielen Menschen aus dem Herzen. Von den Unternehmen fordert Müntefering, mehr Verantwortung zu übernehmen. Schließlich sei die Wirtschaft für die Menschen da – und nicht umgekehrt. Doch worin eigentlich besteht die Verantwortung eines Unternehmens?

„Die soziale Verantwortung von Unternehmen besteht darin, Gewinne zu machen“, meinte der Begründer der neoliberalen Wirtschaftslehre, Milton Friedman, und lieferte damit die moralische Rechtfertigung für die Shareholder-Value-Politik ganzer Management-Generationen. Doch die meisten Menschen in Deutschland sehen es anders. Eine Umfrage des Wirtschaftsethikers York Lunau von der Universität St. Gallen ergab, dass 76 Prozent es für eine Grundaufgabe von Unternehmen halten, etwas gegen allgemeine gesellschaftliche Probleme wie Armut oder Kriminalität zu tun. 72 Prozent sind sogar der Meinung, Firmen sollten sich zu Selbstkosten um die Versorgung armer Regionen mit lebenswichtigen Produkten kümmern. Die Deutschen nehmen ihre Unternehmen also durchaus in die Verantwortung. Doch die Unternehmen kommen dieser Aufgabe – zumindest in der Wahrnehmung der Menschen – nur ungenügend nach. So meinen etwa die Hälfte der Befragten, die Wirtschaft schöpfe ihre Möglichkeiten, sich um Fragen der sozialen Verantwortung zu kümmern, nur ungenügend aus.

Wie ist diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu erklären? Lohnt es sich für Unternehmen einfach nicht, sich sozial zu verhalten? Ist der Gute im kapitalistischen Selbstbehauptungskampf letztendlich der Dumme und muss aus dem Markt ausscheiden? Vieles spricht dafür, das dem nicht so ist. Moralisches Verhalten kann sich durchaus auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnen. So kommt etwa die europäische Studie des Marktforschungsinstituts Mori zu dem Ergebnis, dass für 70 Prozent der Konsumenten bei der Kaufentscheidung das soziale Engagement eines Unternehmens eine wichtige Rolle spielt. 44 Prozent sind sogar bereit, dafür einen Preisaufschlag zu akzeptieren. Und auch an den Kapitalmärkten wird gesellschaftliches Engagement zunehmend zur Geschäftsgröße. Rating-Agenturen prüfen und bewerten im Auftrag von Investoren das Sozialverhalten von Unternehmen. Von solchen Nachhaltigkeits-Ratings hängt es ab, ob Fondsmanager das Unternehmen in ihr Portfolio aufnehmen und ob Banken Kredite zur Verfügung stellen. Denn verantwortungsvolle Unternehmen gelten als krisensicher. Und viele Anleger sehnen sich nach den turbulenten Börsenjahren seit dem Platzen der New-Economy-Blase vor allem nach einem: Sicherheit.

Es überrascht daher nicht, dass immer mehr Unternehmen versuchen, sich einen sozialen Touch zu geben. Corporate Social Responsibility, kurz CSR, ist zum Modebegriff geworden. Die EU hat 2005 sogar zum CSR-Jahr erklärt. Und dem Global Compact, einer UN-Initiative zur sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung, sind mittlerweile weltweit knapp 2.000 Unternehmen beigetreten. Darunter auch viele namhafte deutsche Konzerne wie Bayer, BMW und BASF. Wer den Global Compact unterschreibt, verpflichtet sich zu ökologischen und sozialen Prinzipien wie der Einhaltung von Menschenrechten oder der Förderung umweltfreundlicher Techniken. Allein: Eine wirksame Überprüfung der vollmundigen Versprechen findet nicht statt. Und Sanktionsmöglichkeiten fehlen völlig.

Es drängt sich daher die Frage auf, wie ernst die Unternehmen es mit ihrem Gerede über Verantwortung meinen. Ist CSR nicht mehr als ein neues, subtileres Marketinginstrument? Wird die Moral für ökonomische Zwecke instrumentalisiert?

Fest steht: Vielen CSR-Kampagnen mangelt es an Glaubwürdigkeit. Der Bierbrauer Krombacher warb 2002 damit, dass mit jeder Kiste verkauftem Pils ein Quadratmeter afrikanischen Regenwaldes gerettet würde. Vor Gericht allerdings konnte Krombacher nicht nachweisen, dass es wirklich ein Quadratmeter pro Kiste war und musste die Werbebotschaft daraufhin umgehend entschärfen. Jüngstes Negativ-Beispiel ist die Deutsche Bank. Sie gab zwar 2004 knapp 73 Mio. Euro für Projekte in den Bereichen Bildung, Soziales und Kunst aus. Auf der anderen Seite hat sie im Februar dieses Jahres trotz Rekordgewinnen einen weltweiten Stellenabbau angekündigt. In Sachen Glaubwürdigkeit ist ein solch ambivalentes Verhalten eine Katastrophe. Und es zeigt, was viele Konzernlenker à la Ackermann noch nicht begriffen haben: Es reicht nicht, einen Teil des Gewinns für wohltätige Zwecke zu spenden. Vielmehr muss schon der Gewinn selbst in sozial verantwortlicher Weise erwirtschaftet werden. Wer tausende Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlässt, nur um seine Rendite noch ein paar Prozentpünktchen hochzuschrauben, kann mit einem Scheck für wohltätige Zwecke am Ende des Jahres vielleicht sein eigenes Gewissen beruhigen. Doch verstanden, was Verantwortung bedeutet, hat er nicht.

Trotzdem wäre es falsch zu behaupten, CSR sei völlig nutzlos. Wer sich einen Code of Ethics gibt – und sei es nur auf Druck von außen oder um sein Image ein wenig aufzuhübschen – muss sich fortan auch an diesem messen lassen. Der ehemalige BDI-Vorsitzende Hans Olaf Henkel hat es so formuliert: „Ein großes multinationales Unternehmen kann es sich gar nicht leisten, einen Kodex zu unterschreiben und ihn dann nicht einzuhalten. Es gibt tausende, die ihn schon innerhalb der Unternehmen überwachen.“ Und neben den eigenen Mitarbeitern sind es auch Journalisten und NGOs, die genauer hinsehen und nachhaken. Die Beschäftigung mit ethischen Fragen erzeugt so eine Eigendynamik. Denn wer etwas versprochen hat, muss es auch halten. Und manche Unternehmen arbeiten schon so lange daran, ein gutes Unternehmen zu werden, dass der Verdacht der reinen Image-Pflege nicht mehr gerechtfertigt ist.

Ein Beispiel dafür ist der Otto-Versand. Mitte der Neunzigerjahre stand der Konzern am Pranger der Öffentlichkeit wegen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen bei seinen Zulieferern in Südostasien. Der Konzernchef Michael Otto traf damals eine weitreichende Entscheidung: Anstatt seine Lieferanten einfach rauszuschmeißen, entschied er, nachhaltig etwas zu verändern. Otto begann seine Zulieferer – trotz erheblicher Widerstände der asiatischen Textilproduzenten – auszubilden und unterwarf sich freiwillig strengen Verhaltensregeln. Heute gilt Otto als Vorreiter in Sachen Corporate Social Responsibility. Und verkauft sein erworbenes Wissen sogar weiter: Seit 2000 berät die Otto-Tochter Systain andere Firmen bei der Entwicklung und Umsetzung verantwortlicher Management- und Produktionssysteme.

Die Beispiele Deutsche Bank und Otto zeigen, worauf es bei CSR wirklich ankommt. Es reicht nicht, aufwändige Hochglanz-Broschüren zum Thema Verantwortung zu drucken. Die Verantwortung muss in die Köpfe rein. Und genau hier liegt das Problem. Die meisten Führungskräfte haben gelernt, ausschließlich in ökonomischen Kriterien zu denken. Verantwortliches Handeln ist bei ihnen oft gar nicht im Bewusstsein. Wer wirklich etwas verändern will, muss daher an der Wurzel des Problems ansetzen: Bei der Ausbildung der Entscheidungsträger von morgen. Wer heute Wirtschaft studiert, setzt sich mit dem Thema Verantwortung – zumindest im Rahmen seines Studiums – so gut wie nie auseinander. Im Gegenteil: Die Gesetze des Marktes werden zur Religion erklärt – und entbinden den Einzelnen von seiner persönlichen Verantwortung. Soziales Verhalten wird so regelrecht abtrainiert.

Doch auch hier tut sich etwas – wenn auch nur langsam. Der erste Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik in Deutschland ist an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt entstanden. Darüber hinaus besitzen die Universitäten Witten-Herdecke und Kassel je einen Stiftungslehrstuhl, der sich mit dem Thema beschäftigt. Und an der Universität Bayreuth ist sogar ein ganzer Studiengang „Philosophy & Economics“ entstanden, dessen Ziel in der Ausbildung von Führungskräften mit moralischer Kompetenz besteht. Seit 2003 gibt es außerdem Sneep – ein studentisches Netzwerk für Wirtschafts- und Unternehmensethik. Die Studenten wollen ihre Kommilitonen für das Thema Verantwortung sensibilisieren. Und haben mittlerweile Lokalgruppen im ganzen Bundesgebiet gegründet – von Hamburg bis Bayreuth. „Wir wollten auch denjenigen Studenten, an deren Universitäten Wirtschaftsethik bislang nicht zum Lehrangebot gehört, die Möglichkeit geben, sich mit dem Thema Verantwortung auseinander zu setzen“, erklärt Matthias Schock, der Sneep mit fünf Mitstreitern aus der Taufe gehoben hat, die Gründungsidee. „Wenn die Universitäten das Thema Wirtschaftsethik nicht an uns herantragen, dann tragen wir es eben an die Universitäten.“

Eine hoffnungsvolle Initiative. Ansonsten jedoch hat es die Wirtschaftsethik insgesamt weiterhin schwer, in den festgefahrenen universitären Strukturen Fuß zu fassen. Sie wird sowohl von den Wirtschaftswissenschaften als auch von der Philosophie mit Argwohn betrachtet. Dabei ist die Wirtschaftsethik im Prinzip genauso alt wie die Ökonomie selbst. Schon der Begründer der Wirtschaftswissenschaften, Adam Smith, hat sich nicht als reinen Ökonomen, sondern vor allem als Moralphilosophen gesehen. Und auch John Maynard Keynes wusste: „Economics is essentially a moral science.“ Vielleicht sollten manche Wirtschaftswissenschaftler und Manager mal wieder ein bisschen mehr in den Klassikern der Volkswirtschaftslehre blättern.