: Kein Handschlag, kein Anstand
Skandal Im Dezember hatte Luis Suárez Manchester Uniteds Patrice Evra rassistisch beleidigt. Am Samstag trafen die beiden wieder aufeinander. Es wurde ein Debakel
Sir Alex Ferguson, Trainer von Manchester United, nach dem Spiel
VON RAPHAEL HONIGSTEIN
Ein Spiel, das Mindestmaß an Anstand, das Gefühl für Unrecht und die Chance für einen Neuanfang: am Samstagnachmittag war beim Duell von Manchester United und den Gästen vom FC Liverpool in Old Trafford so viel verloren gegangen, dass die mitunter besorgniserregendste Verlustmeldung nur noch am Rande registriert wurde. Der um Deeskalation bemühten Polizei von Manchester war der gesunde Sinn für schwarzen Humor abhanden gekommen, als sie die komplette Ausgabe eines United-Fanmagazins vor dem Stadion konfiszierte.
Die Red Issue hatte eine Ku-Klux-Klan-Kapuze mit der Aufschrift „LFC“ und „Suárez ist unschuldig“ zum Ausschneiden abgedruckt; ein bitterböser Kommentar zu Liverpools trotzigen Unschuldsbekundungen seit dem Urteilsspruch gegen Luis Suárez vom FC Liverpool wegen der rassistischen Beleidigung von Patrice Evra (Manchester United) im Dezember.
Die restriktiven Maßnahmen werden Bürgerrechtler noch ein paar Wochen beschäftigen, als Mittel zur Entspannung waren sie aber schon hinfällig, bevor der erste Ball rollte. Suárez verweigerte Evra überraschend den obligatorischen Handschlag. Der Franzose griff den Liverpooler Stürmer verärgert am Arm, United-Verteidiger Rio Ferdinand („In dem Moment habe ich allen Respekt für den Typen verloren“) ignorierte darauf seinerseits die ausgestreckte Hand des Uruguayers. Prompt war die Luft im Nordwest-Derby dicker als auf einer Autobahnraststätten-Toilette und das Spiel erstickte in der verpesteten Atmosphäre; Suárez beschwerte sich bitterlich über eine gerade noch faire Grätsche von Ferdinand und schoss später den Ball frustriert gegen die Werbebande. Auf dem Weg in die Kabinen zur Halbzeit gerieten die Mannschaften aneinander und mussten von Ordnern und der Polizei getrennt werden.
Der Meister aus Manchester verkraftete die Aufregung weitaus besser. Wayne Rooney entschied mit zwei Toren binnen drei Minuten (47., 50.) das Match, bevor ausgerechnet Suárez mit einem Abstauber noch für ein bisschen Nervenkitzel in der Schlussphase sorgte (80.).
Nach dem Schlusspfiff feierte Evra provokativ in unmittelbarerer Nähe zu seinem Widersacher den 2:1-Sieg, „er hätte das nicht tun sollen“, sagte United-Boss Alex Ferguson. Abermals kam es auf dem Platz und in den Katakomben zu Handgemengen. Das Ergebnis interessierte in der Folge fast niemandem mehr. Zu groß war die allgemeine Fassungslosigkeit über Suárez und die Reaktion seines Trainers. „Ich finde es sehr heftig und absolut unverschämt von Ihnen, dass sie Luis Suárez dafür verantwortlich machen, was hier passiert ist“, schnauzte Dalglish einen TV-Interviewer an. Den unterlassenen Handschlag wollte der Schotte nicht gesehen haben, vielleicht war er auch selbst geschockt: am Mittwoch hatte er angekündigt, dass der Südamerikaner die Hand seines Gegenüber schütteln würde. „Wir alle haben die Verantwortung dafür, dass es ein ein begeisterndes Spiel wird und sonst nichts“, hatte er gesagt, „die Zeit ist reif, das Geschehene hinter sich zu lassen und nach vorne zu schauen.“
Suárez macht einen Strich durch den geplanten Schlussstrich. Ein vom Verband der rassistischen Beleidigung überführter Spieler schüttelt seinem schwarzen Opfer nicht die Hand: an der katastrophalen Botschaft dieser Szene hat auch die vergötterte Überfigur Dalglish eine Teilschuld. Gemäß des Liverpool-Schlachtrufs „Attack, attack, attack!“ hat sich der 60-Jährige seit Beginn der Affäre im Oktober in undurchdachten Gegenoffensiven verrannt.
Die Schuld wurde so lange bei Evra und den Medien gesucht, bis Suárez und einem signifikanter Teil der Liverpool-Fans der Blick für das Wesentliche verloren ging. Folgerichtig verbohrten sich einige Anhänger prompt in neuen Verschwörungstheorien und veröffentlichten Videos und Fotos, die beweisen sollten, dass in Wahrheit Evra die Fairplay-Geste verweigert hatte. Dieser Wahnwitz war selbst für Mitglieder der roten Gemeinde zu viel. Viele zeigten sich in Internetdebatten peinlich berührt
„Suárez ist eine Schande für einen Verein wie Liverpool“, sagte Sir Alex, „ich würde ihn rausschmeißen.“ Das kann sich der um einen Platz in der Champions League bangende Klub von der Mersey allerdings kaum leisten, Suárez ist zu wichtig. Dalglish, der Mann, der einst einst den „Liverpool Way“ verkörperte, den ruhigen, würdevollen Umgang mit der Welt, muss sich nun fragen lassen, ob er um die Resultate willen weiter zusehen will, wie sein Nachfolger im Trikot mit der Sieben den Ruf einer Institution beschädigt.