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Archiv-Artikel

Steuern runter! Löhne auch

Zurückhaltende Käufer, hoher Ölpreis, subventionierte Minijobber – so entsteht kein Wachstum, warnen die Experten

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Eigentlich steigt im Frühling bei den meisten Menschen die Stimmung, Depressionen gehören zum Herbst. Bei den Wirtschaftsinstituten ist es umgekehrt: In ihren Herbstgutachten überkommt sie regelmäßig ein Optimismus, der mit den ersten warmen Tagen im Jahr schlagartig endet.

So auch gestern. Nein, die Wirtschaft wachse 2005 nicht wie im November prognostiziert um 1,5 Prozent, sagten sechs Herren von den führenden deutschen Wirtschaftsinstituten bei der Vorstellung ihres Frühjahrsgutachtens in Berlin. Sondern nur um 0,7 Prozent. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich immer noch in einer Schwächephase“, so Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Das liege vor allem an der Binnennachfrage. Weil die Einkommen weiter Teile der Bevölkerung sinken und die Aussichten nicht auf eine Trendwende hindeuten, essen Privatleute lieber zu Hause, statt ins Restaurant zu gehen. Und Unternehmer lassen ihre alten Maschinen noch eine Weile laufen.

Zudem dämpft der hohe Ölpreis die Konjunktur. Im Durchschnitt werde das Barrel Rohöl in diesem Jahr 50 Dollar kosten, meinen die Forscher. Die Nachfrage vor allem aus China sei weiterhin enorm und die Förderkapazitäten ausgelastet. Zudem litten die deutschen Exporte – nach wie vor der „Motor“ der Konjunktur – unter dem starken Euro.

Allerdings geht es der Prognose zufolge in der zweiten Jahreshälfte leicht aufwärts. Dann wird die Zahl der Arbeitslosen, die im Januar bei über 5 Millionen lag, nach unten gehen. Die Institute rechnen für dieses Jahr mit durchschnittlich 4,84 Millionen Arbeitslosen. 2006, im Jahr der Bundestagswahl, sollen es 4,52 Millionen sein. Zur Bundestagswahl 2002 waren 4,061 Millionen Menschen arbeitslos.

Was die Statistik jedoch vertuschen soll: Neue Arbeitsplätze entstehen fast ausschließlich im Bereich der 1-Euro-Jobs und der Ich-AGs. 1-Euro-Jobber aber leben vom Staat und Ich-AGs überleben die Phase staatlicher Förderung meist gar nicht oder nur kurz. In die Kassen der Sozialversicherungen kommt durch solche Jobs kein Geld: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank 2004 um 0,7 Prozent. Dieser Trend immerhin dürfte in diesem Jahr zum Stillstand kommen und sich 2006 zum ersten Mal seit fünf Jahren umkehren. Erst dies würde eine echte Erholung auf dem Arbeitsmarkt bedeuten: Solange immer weniger Einzahler in die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenkassen immer mehr Arbeitslosen und staatlich geförderten Mini-Jobbern gegenüberstehen, können die Lohnnebenkosten nicht sinken. Solange wird es also auch für Unternehmen nicht billiger, Leute einzustellen.

Den Unterhalt für all die Mini-Jobber muss der Staat aufbringen – und für den bedeutet jedes Promille geringeres Wachstum ein Riesenproblem: 0,7 statt 1,5 Prozent heißt, dass die öffentlichen Kassen, ganz grob gerechnet, drei bis vier Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben. So nutzte die Opposition gestern schon mal die Gelegenheit, Sozialministerin Ulla Schmidt ein „Rentenloch von mindestens drei Milliarden Euro“ vorzurechnen.

Die sechs Gutachter wiederum legten der Regierung ihr persönliches Rezept für mehr Wachstum ans Herz: „Haushalt sanieren, Steuern senken, moderate Lohnpolitik“. Der Staat solle sich auf eine Minimalversorgung seiner Bürger beschränken. Gefragt, ob die EU-Osterweiterung die Arbeitslosigkeit erhöhe, sagte einer der Forscher: „Insgesamt sind die Folgen für Deutschland positiv, weil sich unsere Absatzmärkte vergrößert haben.“ Was die Arbeitslosen und den Druck auf die Löhne angehe: „Das ist noch mal ein anderer Punkt.“ Mindestlöhne oder „Grenzen dicht“ sei aber der falsche Weg. Laut klassischer Wirtschaftstheorie pendeln sich die Löhne irgendwann von selbst ein. „Man sollte über Maßnahmen wie eine Negativsteuer nachdenken“, schlug Döhrn vor – also über eine staatliche Aufstockung von Minigehältern.

Ohnehin müsse die Regierung sich darüber klar werden, dass das Land an einer „Wachstumsschwäche“ leide, und zwar seit der Wiedervereinigung. Während die anderen EU-Staaten im Trend bei 2 Prozent Wachstum lägen, bildet Deutschland mit 1,1 Prozent das Schlusslicht. Da brächte es nichts, alleine auf mehr Wachstum zu setzen und zu hoffen, die Jobs kämen dann von ganz alleine. „Unternehmen stellen Leute ein, wenn Lohnhöhe und Flexibilität stimmen“, so Gebhard Flaig vom Ifo Institut in München. Dann sei es auch nicht utopisch, überhaupt noch auf mehr Wachstum in absehbarer Zeit zu hoffen.

Für ziemlich utopisch halten die Forscher allerdings die Prognose der Bundesregierung. Sie geht von einem Wachstum von 2 Prozent für die nächsten fünf Jahre aus. Dabei wird schon morgen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) verkünden müssen, dass alleine schon seine Erwartung von 1,6 Prozent für 2005 zu optimistisch ist.