: Essen, was man retten will
FLEISCH Auf den ersten Blick absurd: Tiere zu essen, um deren Überleben zu sichern. Aber auf diese Art werden alte Nutztierrassen erhalten
■ Zur „Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres 2012“ hat die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH) die Hühnerrasse Deutsche Sperber auserkoren. Diese Rasse steht stellvertretend für weitere 103 gefährdete Nutztierrassen in Deutschland und soll damit auf den drohenden Verlust der Vielfalt im Bereich der Landwirtschaft aufmerksam machen.
■ Im Jahr 2000 wurden bei einer Bestandserhebung der Deutschen Sperber 65 Hähne und 283 Hühner als eingetragene Zuchttiere registriert. Sie verteilten sich auf 42 Züchter. Im Jahr 2005 gab es schon 91 Hähne und 395 Hennen. 2009 erhöhte sich der Bestand bundesweit auf 103 Hähne und 423 Hennen.
Sie heißen Englischer Widder, Murmau-Werdenfelser, Weiße gehörnte Heideschnucke oder Buntes Bentheimer Schwein. Was sie gemeinsam haben: Diese alten Nutztierrassen sind unter anderem akut vom Ausstreben bedroht. Sie sind in den vergangenen Jahrzehnten flächendeckend nicht nur von der Speisekarte, sondern auch von Bauerhöfen und Zuchtanstalten verschwunden. Schwarz-weiße Kühe dominieren die Weiden, vor allem beigefarbene Schweine liefern unsere Schnitzel.
„Die traditionelle Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf Hochleistungsrassen spezialisiert, die in erster Linie eine reiche Ausbeute an Fleisch oder Milch gewährleisten“, sagt Antje Feldmann, Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. (GEH). Die genetische Vielfalt bleibe auf der Strecke. „Alte Nutztierrassen sind dagegen besonders gut an die regionalen Standorte angepasst und können auch in unzugänglichen Mooren oder Berglagen leben“, so die studierte Agrarökonomin. Natürliche Landschaftspflege als Nebenprodukt.
Seit die Gesellschaft ihre Arbeit 1981 aufgenommen hat, sei keine bedrohte Nutztierrasse mehr ausgestorben, obwohl die Rote Liste des Vereins immer noch mehr als 100 gefährdete Rassen aufführt. Der Weg dorthin dürfte aber vor allem für Vegetarier ein schmerzlicher sein: „Essen, was du retten willst“, diese Idee steckt hinter dem Engagement der Gesellschaft, unter deren 2.200 Mitgliedern sich viele Landwirte, Nebenerwerbslandwirte und Züchter alter Haustierrassen befinden. Reine Museumsdörfer oder Streichelzoos würden nicht ausreichen, um die genetische Vielfalt alter Nutztierrassen zu sichern, ist Antje Feldmann überzeugt: „Es ist wichtig, weit verbreitete genetische ‚Sicherungskopien‘ zu haben, um auch im Fall von Seuchen oder Hofbränden noch über einen ausreichenden Tier- und Genbestand zu verfügen, der dann weiter in der Zucht eingesetzt werden kann.“
Alte Nutztierrassen sind zwar häufig robuster, werfen aber auf den ersten Blick – gerade unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten – weniger ab: Die Aufzucht dauert länger als beim schnell wachsenden Hochleistungsschwein – und das kostet.
„Dafür futtert zum Beispiel das Bunte Bentheimer Schwein auf einem Archehof Gras, Heu, Rüben oder Kartoffeln – so was sehen Hochleistungsschweine nie in ihrem Leben.“ Zudem seien die Produkte alter Rassen „geschmacklich und qualitativ oft deutlich überlegen“. Und das müssen wohl auch viele Fleischer und Köche wieder lernen. Denn schließlich gehe es auch darum, „dass die Züchter, die sich um den Erhalt der alten Rassen bemühen, ein gesichertes Einkommen haben.“
Im Rahmen des sogenannten Arche-Projekts arbeiten bundesweit rund 90 Höfe daran mit, alten Nutztierrassen das Überleben zu sichern und dabei Konsumenten aufzuklären. Betriebe, die eine Anerkennung als Arche-Hof haben wollen, müssen sich einem Kriterienkatalog der GEH unterwerfen. Der schreibt unter anderem eine artgemäße Haltung und Fütterung der Tiere fest, zudem sollen die Tiere Auslauf zur Verfügung haben sowie Einstreu im Liegebereich. Weidegang im Sommer soll ebenso wie Gruppenhaltung praktiziert werden.
Georg Schlickenrieder ist seit Jahren erfolgreich bei Zucht und Vermarktung vom Aussterben bedrohter Nutztierrassen. „Unser Arche-Hof ist ein Erfolgsmodell“, sagt der Landwirt aus dem Raum München selbstbewusst. Fleisch und Wurst vermarktet er direkt, vor allem Stammkunden gehören zu den Abnehmern.
Seit Jahren kooperiert er mit einem bekannten Münchner Gasthof. „Die Kunden haben gelernt und schätzen das Fleisch von Tieren, die viel Auslauf haben und langsam wachsen.“ Alles, was die Hühner, Schweine, Schafe und Rinder fressen, kommt von Schlickenrieders Hof, wo auch regelmäßig Hofführungen angeboten werden. Inzwischen gibt es Zuschüsse von der Landesregierung. Für das vom Aussterben bedrohte Murnau-Werdenfelser Rind zahlt der Freistaat zum Beispiel 250 Euro im Jahr.
Grundsätzlich, sagt auch Antje Feldmann, habe eine höhere Fleischqualität eben auch einen höheren Preis: „In Frankreich ist es sicher deutlich einfacher, Verbraucher davon zu überzeugen, dass gutes Fleisch nicht zu Dumpingpreisen zu haben ist.“VOLKER ENGELS