Der USB-Stick in der Mauerritze

KUNST UND NETZ Aram Bartholl verwirrt Spaziergänger, indem er Zeichen aus Computerspielen und Netzanwendungen in die reale Landschaft stellt. Der Künstler steht der Hackerbewegung nahe. Eine Ausstellung in der Galerie [DAM] stellt sein vielfältiges Werk vor

Durch Köln lief Aram Bartholl mit einer riesigen Pappaxt aus „World of Warcraft“

VON MICHAEL BRAKE

Ist schon ein bisschen doof, dass Megaupload vom Netz genommen wurde. Wo kriegt man jetzt seine Filme her? Bei Torrents kann man sich ja auch kaum noch sicher sein, dass nicht auf einmal das FBI vor der Tür steht. Aber es gibt noch die Dead Drops. Ein anonymes, offlinebasiertes P2P-Netzwerk – in Mauerwerkritzen eingemörtelte USB-Sticks, tote Briefkästen, beim achtlosen Vorübergehen praktisch unsichtbar. Einfach Laptop dranhalten, Daten saugen, eigene Sachen draufspielen, fertig.

775 Dead Drops sind in diversen Städten der Welt verteilt, einer befindet sich an der Außenwand der Galerie [DAM] Berlin, wo ihr Erfinder, der Medienkünstler Aram Bartholl, aktuell eine Auswahl seiner Arbeiten ausstellt. „Reply all“ heißt die unaufgeregte Schau in dem recht kleinen und sehr weißen Raum in der Neuen Jakobstraße. Er ist ein Überbleibsel des Transmediale-Partnerprogramms, auf der Bartholl auch schon ausstellte, 2007.

Die Rückübertragung von Codes, Icons und Mechaniken aus Internet und Computerspielen in unsere Kohlenstoffwelt ist eine der Lieblingstechniken des seit 1995 in Berlin lebenden Bartholl. In seiner Heimatstadt Bremen installierte der 39-Jährige einst vier riesige Leuchtpfeile, sodass sich Aufofahrer wie in der Rennsimulation „Need for Speed“ fühlen konnten. Durch Köln lief er mit einer riesigen Pappaxt aus „World of Warcraft“. Auf Berlins Straßen stellte er große Holzkisten aus dem Egoshooter „Counterstrike“.

Und dann ist da noch „Map“: die 6 mal 3,50 Meter große Nachbildung eines der roten blasenartigen Stecknadel-Symbole mit großem A, die auf Google Maps Suchergebnisse visualisieren. Solche Pins platzierte Bartholl in Taiwan, Stettin und anderswo in die Landschaft. Es ist sein schönstes Kunstwerk, das aber leider nicht Teil der Berliner Ausstellung ist. Es würde auch gar nicht durch die Tür passen.

Dafür gibt es in der Ausstellung Aluminium-Nachbildungen von Captchas, diesen seltsam verzerrt geschriebenen Wörtern, die man im Internet eingeben muss, um zu beweisen, dass man ein Mensch ist. Es gibt Architekturzeichnungen und -modelle, die Bartholls Planungsstand für den Nachbau eines ganzen Counterstrike-Levels auf einem Hektar Fläche dokumentieren. Oder auch drei große handgemalte QR-Codes (diese schwarz-weißen Muster, die man mit dem Handy abfotografieren kann), die einen ins Netz und auf die erste Seite der Google-Suche nach dem Namen von Medienkünstlerinnen wie Vera Molnár und Petra Cortright führen.

Zusätzlich zeigen mehrere Screens Videodokumentationen. In den kurzen, schnell geschnittenen Filmen gibt sich Aram Bartholl als eloquentes Smart-Ass, das die Regeln der Betriebs durchschaut hat. Wie in „How to turn code into art“, wo er mehrere FAZ-Seiten mit dem gedruckten Bundestrojaner-Code in seinem Stammcafé aufhängt und den Zuschauern erklärt: „I recommend using a black frame, because a black frame means: You know what you’re doing and you are serious about it.“ Das Werk hängt – weiß gerahmt – ebenfalls in der Ausstellung.

In einem anderen Tutorial zeigt Bartholl die Gusstechnik des Vakuumformens – wobei er sich nicht zufällig die Guy-Fawkes-Maske des Anonymous-Bewegung als Modell ausgesucht hat. Auch dem Chaos Computer Club und der DIY/Hacker-Bewegung steht Bartholl offensichtlich nahe. In seinen Videos propagiert er die Demokratisierung des Künstlerbegriffs: Oft enden sie mit einer „Now it’s your turn“-Aufforderung. Die Dead Drops hat er längst nicht selbst alle verbaut, verselbständigt hat sich auch das von Bartholl erfundene Ausstellungsformat der Speed Show, dessen Weltpremiere im Juni 2010 am Kottbusser Damm stattfand: Man miete ein komplettes Internetcafé und nutze die auf den Rechnern installierten Standard-Browser, um Kunst zu zeigen.

Performances, Readymades, Installationen, Interventionen im öffentlichen Raum: Bartholls Aktionskunst lebt gleichermaßen von klugen Ideen und ihrer liebevollen Umsetzung. Leider gibt die Ausstellung diese Fülle nur bedingt wieder: So wie „Reply all“ im Computer die Mailantwort an alle Empfänger ist, ist auch hier irgendwie von allem was dabei. Das ist zwar ein guter Querschnitt durch Bartholls Werk, ein wirklich roter Faden ist aber nicht erkennbar – und was da ist, kann im kühlen Ambiente des Ausstellungsraums seine Wirkung nicht so recht entfalten.

Einen kompletteren, besser aufbereiteten Einblick in Bartholls Schaffen bekommt man in „The Speed Book“, das die Arbeiten umfangreich dokumentiert und durch weitere Texte – unter anderem ein Essay des Science-Fiction-Autors Bruce Sterling – ergänzt. Die dokumentierenden Videos finden sich derweil auch auf Bartholls Website datenform.de.

Wem das eben erschienene Buch aber zu teuer oder wer sich umgekehrt für ein paar tausend Euro endlich einen echten Bartholl in die Wohnung hängen will, kommt an einem Besuch in der Galerie [DAM] freilich nicht vorbei. Man kann dann auch gleich schauen, was es Neues auf dem Dead Drop Nummer 773 gibt.

■ Galerie [DAM] Berlin, Neue Jakobstraße 6/7, bis 10. März. „The Speed Book“, Gestalten Verlag, 39,90 Euro