: Der Wortwerfer
Comedy mit Sinn fürs Feine: Wenn Marcus Jeroch auf der Bühne in Fahrt gerät, hängt pudriger Nebel in der Luft. Begonnen hat er als Jongleur – heute setzt er neben dem Körper auch die Sprache ein
VON AXEL SCHOCK
„Will Kommen wir gleich zur Sache.“ Der Künstler öffnet die Wohnungstür frisch geduscht. „Ich habe gerade trainiert“, sagt Marcus Jeroch entschuldigend. Noch etwas feucht hängen ihm die Haare bis tief in die Stirn. Kein Vergleich zu dem, wie sie aussehen, wenn Jeroch abends auf die Bühne tritt: nach allen Seiten hochtoupiert, struppig und wirr und weiß gepudert. Bewegt er dann den Kopf mit den rot geschminkten Lippen und schwarz bemalten Augenbrauen etwas heftiger – was bei seinen bisweilen recht artistischen Aktionen häufiger vorkommt –, hängt für einen Moment ein pudriger Nebel in der Luft. Und wenn der Scheinwerfer sein Licht günstig zaubert, liefert das Publikum einen Lacher extra.
Zu lachen gibt es viel, wenn Jeroch auftritt. Das Schöne dabei: Man lacht auf hohem Niveau. Comedy für Menschen mit Sinn fürs Feine und vor allem: mit sprachlichem Feingefühl. Da hat man es schwerer, sein Publikum zu finden. „Aber ich will ja nicht megaberühmt werden“, sagt Jeroch, viel zu bescheiden. Bekannt ist er dabei allemal. Vor allem – und das ist in der ins fast Unüberschaubare gewachsenen Kleinkunst- und Varietészene mittlerweile schon eine besondere Schwierigkeit – ist er garantiert konkurrenzlos in dem, was er macht. Der schlanke, großgewachsene 39-Jährige, der in seinem Schwalbenfrack besonders schlaksig wirkt, ist Jongleur: Damit zumindest hat seine Künstlerkarriere einst angefangen. Bälle, Keulen, Kästchen – er wirbelt die klassischen Utensilien durch die Luft. Doch Jeroch nennt seine Kunstform nicht zufällig Literarieté. Denn bei ihm wirbeln gleichermaßen Buchstaben, Silben und Worte durcheinander: „Wortschöpfunken“.
Ein Sprachkünstler also, oder genauer: ein artistischer Rezitator. Denn Jeroch ist kein selbstschreibender Kabarettist, sondern Interpret vorhandener sprachspielerischer Texte. Fündig wird er bei Daniil Charms, Ernst Jandl oder dem jungen Berliner Jojo Weiß, vor allem aber bei Friedhelm Kändler. „Poe-ich. Poe-du, Poe-sie“: Der nimmt Wörter beim Wort, sorgt durch Pausen für neue Bedeutungen der einzelnen Bestandteile und stellt die Sprache auf den Prüfstand. Etwa mit der Rede ans Publikum „Frem e Bekannte“, die erste Nummer, die Jeroch vor vielen Jahren nach einem Text des Hannoveraner Dichters einstudiert hat. Der Vortrag ist eine Demonstration: Was wäre, wenn wir im Sprechen einfach mal auf einen Buchstaben verzichten würden? Etwa auf alle Ds. Und zusätzlich auf alle Ks? Wie viele Buchstaben können wir aussortieren und dennoch der Rede folgen? Ein Glanzstück in Jerochs Programm.
Jeroch, der Clown, der Wort- und Körperakrobat, zelebriert Kändlers Gedichte und Kalauer, inszeniert sie als Mini-Performances, als Balanceakt auf einem Stuhl oder auch als Blödelnummern mit Kuhglocken. Jeden Donnerstag steht Jeroch derzeit auf der Bühne des Palais in der Kulturbrauerei, präsentiert alle vier Wochen ein neues Programm, gleich vier in Folge: „Ich wollte einfach mal längere Zeit am Stück in Berlin spielen und nicht immer nur herumreisen.“
In Jerochs Übungsraum in seiner Maisonettewohnung stehen Glocken, jede Menge Keulen, Bälle und Hula-Hoop-Reifen herum. So viel Luxus muss sein, sagt Jeroch, sonst würden sich mit Sicherheit darunter wohnende Nachbarn irgendwann wegen des Lärms beschweren. Und geübt werden muss schließlich immer noch – und immer wieder. Fünf Jahre hatte er an seiner ersten großen Jonglagenummer, einem choreografierten Ball-Ballett zu Mozart-Klaviervariationen, gefeilt, als er dafür 1990 beim Festival Mondial Du Cirque de Demain ausgezeichnet wurde. Doch vom klassischen Artistenleben – eine Nummer ein Leben lang zu perfektionieren und damit durch die Theater und Zirkusarenen der Welt zu tingeln – wollte Jeroch auf Dauer nichts wissen. Mit einigen Mitstreitern, die er in der Berliner Artistenschule „Etage“ und bei Straßenauftritten auf dem Kurfürstendamm kennen gelernt hatte, gründete er 1984 das Scheinbar-Varieté – lange bevor die Wiederbelebung und die große Welle der Neugründungen einsetzten. Später tourte Jeroch mit dem deutsch-französischen Rockzirkus Gosh, dann erst ging er seinen eigenen Weg als Solist.
Dass er fast Jurist geworden wäre, drei Semester lang ganz artig und aus innerer Überzeugung studiert hat, mag man kaum glauben. Zu sehr scheint sein Lebensweg ein künstlerischer. Als Schüler brachte er sich mit einem Lehrbuch allein das Jonglieren bei, eine internationale Jongleurs-Convention in Frankfurt war schließlich das Schlüsselerlebnis: Bällewirbeln kann ein Beruf sein. Und als der Jurastudent Jeroch die Semesterferien für einen Jonglagekurs in Berlin verbrachte, warf er binnen weniger Tage die bisherige Lebensplanung über den Haufen. Eine gute Entscheidung. Anwälte gibt es mehr als genug. Als Wortakrobat ist Jeroch einmalig.
„Sah Tiere mit Q“ , heute 20 Uhr im Palais in der Kulturbrauerei. Am 5. 5. Premiere des Jandl-Programms „Klos to you“ (dann wieder am 12., 19., 26. 5.)