in fußballland
: I hate my dick!

CHRISTOPH BIERMANN über Advocaats bessere Zeiten bei den Rangers in Glasgow

Ich hatte nur kurz mit David Murray gesprochen, und sonderlich erhellend war das Telefonat nicht gewesen, doch auf Dick Advocaat machte es ungeheuren Eindruck. Er fragte mich zwei Mal, ob ich wirklich mit ihm geredet hätte, und fast schon Bewunderung klang dabei durch, zumindest aber Anerkennung. Murray, das werden hierzulande die wenigsten wissen, gehören die Glasgow Rangers, wo Advocaat bis zum Dezember 2001 zweieinhalb schöne Jahre als Trainer hatte. Der Holländer durfte gleich nach Amtsantritt das Äquivalent des Staatshaushalts von Moldawien für eine neue Mannschaft ausgeben und gewann im Gegenzug sofort das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Liga-Cup.

Außerdem verstanden sich Chairman und Coach so gut, dass sie unzertrennlich wie Wahlbrüder wurden. Mehrfach am Tag besprachen sie am Telefon oder unter vier Augen das miteinander, was beim Club gerade anlag. Ich hatte Murray auf Vermittlung eines schottischen Kollegen angerufen, und der mächtige Mann der Rangers erzählte, dass er Advocaat als einen „traditionellen Trainer“ kennen gelernt hätte. Das konnte man auch als „altmodisch“ übersetzen, war aber durchaus als Lob gemeint. Advocaat und der schottische Großklub hatten zwei Jahre lang wunderbar zusammengepasst. Vor allem weil er dort so hatte sein dürfen, wie er sein wollte.

Es hatte sogar ein schottisches Pokalfinale gegeben, zu dem alle Ranger-Fans in orangefarbenen Shirts gekommen waren. Das war einerseits eine politische Stellungnahme der protestantischen Anhänger des Klubs, ein Bekenntnis zu den royalistischen Oraniern. Es war aber auch eine Verneigung vor ihrem niederländischen Trainer, der bereits die Oranje Elftal trainiert hatte. Advocaat hatte das gerührt, weil die Menschen in Glasgow nicht viel Geld haben, aber alle ein orangefarbenes Hemd trugen.

Es müssen solche Momente gewesen sein, in denen sich seine Ansicht verfestigt hatte, dass man in der Welt des Fußballs die Anerkennung und die Liebe des Publikum erwirbt, indem man erfolgreich ist. Alles andere findet Advocaat unwichtig. Nie in seiner Karriere hat er mit Journalisten fraternisiert. Die traditionellen Treffen schottischer Trainer hat er in seiner Glasgower Zeit nie besucht. Nicht einmal, so erzählte er mir, wäre er mit Spielern ein Bier trinken gegangen. Murray hat mich oft darum gebeten, sagte Advocaat. Ich habe es nicht gemacht und trotzdem hatte ich Erfolg, war der unausgesprochene Nachsatz.

Advocaat ist ein Einzelgänger und jeder Einsatz von Charme oder eine Politik des Lächelns scheint ihm als ein Verlassen des geraden Weges verabscheuungswürdig. Dabei gewinnt er jenseits der Öffentlichkeit durchaus, und sei es nur in einem Interview unter vier Augen. Er kann Fußball gut erklären, und man spürt, dass er ein außergewöhnlicher Fachmann ist. Jenseits der Öffentlichkeit klingen seine Sätze auch nicht mehr so kalt, wie sie sich lesen. Er entpuppte sich für einen Moment als freundlicher, ja sogar witziger Plauderer.

Als ich ihn in Mönchengladbach traf, war seine Situation noch offen, aus der vagen Ablehnung seiner Person war noch kein offener Hass geworden. Doch es deutete sich bereits an, dass es schwer für den kleinen Mann mit dem eckigen Kopf werden würde. Dietmar, seit Jahrzehnten ein Fan der Borussia, schrieb mir im dunkelsten Ton der Klage: „I hate my dick.“ Das war mehr als ein lustiges Wortspiel mit dem englischen Begriff für Geschlechtsteil, denn Dietmar berichtete davon, wie entfremdet er sich seinem Klub gegenüber mittlerweile fühlte.

Ein paar Wochen später trat Advocaat zurück, Gladbach war in höchster Abstiegsgefahr und er hatte wohl auch seinen eigenen Ansprüchen nicht genügt. Advocaats Politik der Sprachlosigkeit war gescheitert, weil die Zeiten andere geworden sind. Wahrscheinlich sind sie das sogar in Schottland.