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Archiv-Artikel

Tierisches Insulin wird knapp

Humaninsulin-Allergiker werden vom deutschen Pharmamarkt nicht mehr versorgt: ein Paradefall für den Petitionsausschuss

Noch hat Ralf Tschentschel, Diabetiker und Humaninsulinallergiker, was er täglich braucht: Ampullen mit Insulin vom Schwein. Aber seit die Berlin Chemie AG im März die Produktion des tierischen Insulins einstellte, zehrt der 42-jährige Gemeindearbeiter aus Sachsen-Anhalt von vorsorglich gehorteten Beständen – und die werden knapp.

Nicht nur für ihn: Rund 400 Menschen in Deutschland reagieren mit Allergien bis hin zur Lebensgefahr auf körperidentisches Insulin (siehe taz vom 25. Februar). Für sie besteht jetzt politischer Handlungsbedarf, denn der deutsche Pharmamarkt hat sich von Tierinsulinen verabschiedet: Die Gewinnmargen sind den Konzernen zu klein, die zu erwartenden Forschungsergebnisse bei etwaigen neuen Studien zu mager.

Die Betroffene Sabine H. reichte deshalb kürzlich eine Petition beim Bundestag ein: damit tierische Insuline für den menschlichen Gebrauch als „Orphan Drugs“ anerkannt werden. Diese auch als „Waisenkind-Arzneimittel“ bezeichneten Medikamente stehen als Hilfe bei sehr seltenen Erkrankungen unter besonderem Schutz: Bürokratische Auflagen können für sie gelockert, auf teure neue Studien für eine Neuzulassung kann dann verzichtet werden.

Tschentschel und Sabine H. könnten dann problemlos Insulin vom Rind oder Schwein aus England oder der Schweiz aufs Kassenrezept beziehen. Ohne den Status „Orphan Drug“ ist der Bezug von importiertem Tierinsulin zwar auch möglich – aber die Kassen, wie zum Beispiel die AOK Sachsen-Anhalt, lehnen solche Anträge lieber erst mal ab.

Ralf Tschentschel müsste rund 5.000 Euro jährlich berappen, wenn er sein Insulin privat beziehen müsste. Und die Gefahr, dass er trotzdem im Notfall nicht richtig versorgt würde, bliebe bestehen: Tierinsuline wären nur als anerkannte „Orphan Drugs“ in deutschen Apotheken und Kliniken vorrätig.

Dabei vermuten Fachleute eine Dunkelziffer bei Humaninsulinunverträglichkeit: Erst kürzlich rief die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft im Deutschen Ärzteblatt dazu auf, bisher unerkannte und auch Verdachtsfälle zu melden. Aber selbst wenn sich die Zahl der Allergiker in Deutschland verzehnfachen würde, fiele die Humaninsulinallergie noch unter die „Orphan Drug“-Regelung: Sie trifft nach europaweit und auch in Deutschland geltender Definition für solche Krankheiten zu, von denen weniger als fünf von 10.000 Einwohnern eines Staates betroffen sind.

Für eine europäische Lösung fühlt man sich in Brüssel nicht zuständig. Das sei Sache der einzelnen Mitgliedsländer. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wird sich also nun damit beschäftigen müssen: ein Paradefall, denn der Ausschuss ist explizit für die Rechte von Minderheiten zuständig. Hilfreich kann dabei ein Blick ins Ausland sein. So ließ Finnland 1999, als die heimische Tierinsulinproduktion stoppte, prompt britische Präparate für den finnischen Markt zu. Und in der Schweiz scharen sich Betroffene um einen Professor als Sprachrohr, um ihr Anrecht auf die richtige Medizin zu sichern. Denn nur mit dem für sie verträglichen Tierinsulin haben Humaninsulinallergiker die Chance auf ein langes Leben.GISELA SONNENBURG