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Archiv-Artikel

Eurokrise: Ist Deutschland zu hart?Ja

SPARDIKTAT Die Bundesregierung setzt Griechenland unter Druck. Nicht nur in Athen sorgt das für Empörung

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Jean-Pierre Chevènement, 72, französischer Senator, war mehrmals Minister

Die deutsche Kaufkraft hat seit dem Jahr 2000 kaum zugenommen, während sie in den anderen Ländern stieg. Dadurch hat sich eine Wettbewerbskluft zwischen Deutschland und den anderen Ländern der Eurozone gebildet. Diese Kluft hat zu langfristig unerträglichen Handels- ungleichgewichten geführt. Die Regierung Merkel antwortet wie die knausrige Ameise in La Fontaines Fabel der südeuropäischen Grille: „Mach es wie ich, schnalle den Gürtel enger!“ Diese Logik übersieht verschiedene Punkte: Erstens: Das deutsche Modell ist nicht übertragbar, es können nicht alle Länder einen Handelsüberschuss haben. Zweitens: Der Euro gehört als Währung nicht Deutschland allein, sondern den 17 Staaten. Er ist stärker gegenüber dem Dollar, als es die D-Mark wäre, wenn Deutschland diese behalten hätte. Drittens: Deutschland und seine Industrieprodukte haben viel vom Euro profitiert. Europa kann zwar kein Ferienvergnügen sein, darf aber auch nicht zur Erziehungsanstalt werden. Darum muss die Eurozone mit kräftigen Wachstumsmotoren ausgestattet werden: ein durch eine europäische Anleihe finanzierter Plan zur Ausrüstung und zur Förderung der Innovation. Eine Ankurbelung der Löhne in den Ländern, deren Wettbewerbsfähigkeit dies erlaubt. Schließlich und vor allem: eine expansivere Währungspolitik der Europäischen Zentralbank. Der geplante Entwurf der europäischen Abkommen muss diesbezüglich überarbeitet werden.

Susanna Camusso, 56, ist die Chefin der größten italienischen Gewerkschaft CGIL

Im 17. Jahrhundert war der Aderlass in der europäischen Medizin üblich. Oft genug starb der schon durch die Krankheit geschwächte Patient daraufhin. Was in Griechenland geschieht, erinnert fatal an jene Ära von selbst ernannten Ärzten und Zauberlehrlingen. Griechenland werden enorme Opfer auferlegt, und im Gegenzug gibt es verspätete sowie zu knapp bemessene Hilfen, die das Wachstum nicht fördern. Doch ohne Wachstum kann kein Land Ordnung in seine öffentlichen Finanzen bringen. Den griechischen Staatsanleihen wird weiterhin misstraut, Europa verlangt weitere Einschnitte, die Arbeitslosigkeit steigt, die Armut greift um sich. Ein Land in tiefer Rezession wird am Ende zahlungsunfähig. Und seine Pleite bringt auch für die Kreditgeber keinerlei Ertrag. Das Rezept der Europäischen Zentralbank und der Kanzlerin Merkel ist gefährlich für alle. Die EU hätte sich solidarisch zeigen müssen, nicht strafend, sie hätte auf breites, homogenes Wachstum setzen müssen, nicht auf zwei Geschwindigkeiten. Es gibt kein Wachstum in nur einem Land: Nicht einmal die deutschen Exporte sind in einem Europa des Stillstands noch sicher. Um die Rezession und den Zusammenbruch des Euro zu verhindern, braucht es einen europäischen Plan für Wachstum und Arbeit. Für ihn müssen sich die europäischen Gewerkschaften einsetzen.

Susanne Commerell, 56, hat die sonntazfrage auf taz.de kommentiert

Wer ist Deutschland? Gemeint ist wohl die amtierende Bundesregierung. Und die hat die Köpfe ihrer BürgerInnen derartig vernebelt, dass die wenigsten begreifen, dass noch kein einziger deutscher Steuereuro nach Athen geflossen ist. Bislang gibt es nur Kredite via EZB, für die Griechenland höhere Zinsen zurückzahlt, als Deutschland aufwenden musste. Deutschland verdient derzeit an der griechischen Misere! Derweil muss das SOS-Kinderdorf in Athen Steuern zahlen, während die Athener Oper steuerfrei bleibt. Aber das interessiert ja nicht, denn wenn bei einer griechischen Staatspleite die Kredite fällig werden sollten, müssen nicht nur deutsche, sondern weltweit Banken gerettet werden. Die finanziellen Folgen werden nach unten durchgereicht, oder habe ich jemals in Berlin oder Athen die Forderung nach einer Vermögenssteuer vernommen? Das aggressive Wortgetöse dieser deutschen Regierung ist hochnotpeinlich. Es stellt die Fürsorgepflicht der europäischen Regierungen für ihre Bürger in Frage. Und jeden deutschen Bürger in eine antidemokratische Ecke.

Nein

Peter Altmaier, 53, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Union im Bundestag

Deutschland handelt in der Griechenlandkrise gemeinsam mit den europäischen Partnern, der Kommission, der EZB und dem IWF. Wir sind solidarisch mit Euroländern, die in große Probleme geraten sind, aber unter der Bedingung, dass die Ursachen dieser Probleme nachhaltig und wirksam beseitigt werden. Da die mit Griechenland seit langem vereinbarten wirtschaftlichen und administrativen Maßnahmen bis heute nicht umgesetzt sind, können Eurozone und IWF nicht einfach weiteres Steuergeld in Griechenland investieren. Aus diesem Grund hat Jean-Claude Juncker, der Chef der Eurogruppe, die für diesen Mittwoch terminierte Eurogruppensitzung abgesagt. Niemand in Europa möchte die staatliche Souveränität Griechenlands außer Kraft setzen. Allerdings erwarten wir angesichts der enormen Garantiesummen und der großen Risiken für die Eurozone, dass Regierung und Bevölkerung die Probleme des Staates dauerhaft und unwiderruflich an der Wurzel packen. Dann kann das Land mit unserer Hilfe wieder auf die Beine kommen.

Derek Scally, 34, aus Dublin, ist seit 2000 Berlin-Korrespondent der Irish Times

Es gibt Tage, an denen fragt man sich, was Angela Merkels Redenschreiber eigentlich von Beruf sind. Umringt von idealistischen Studenten hätte Frau Merkel kürzlich im Neuen Museum umgangssprachlich und unmissverständlich erklären können, dass Deutschlands Reform-Erwartungen nicht zu hart, sondern angemessen sind. Merkel hielt aber fast die gleiche Europa-Rede, die sie seit zwei Jahren hält. Ob Studenten oder Sparkassenverband, immer dasselbe: Europa schrumpft und altert, wir müssen uns anstrengen. Schade, ihre Kernbotschaft ist doch erklärbar: Erst echte Reformen, dann echte volkswirtschaftliche Impulse. Man könnte das mit Bildern und Witz illustrieren. Wäre es nicht an Deutschland zu erklären, warum die Bundesrepublik mit Ordnungspolitik gut gefahren ist und wie das jetzt einem jungen arbeitslosen Griechen helfen soll? Es wäre mehr als schade, wenn Berlin die Eurodebatte machtpolitisch gewinnt, aber die breite Zustimmung verliert.

Tanja Börzel, 41, ist Professorin für Europäische Integration an der FU Berlin

Es ist ja nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, die diese harte, auf den Sparkurs festgelegte Position vertritt. Auch die anderen Mitgliedsstaaten verlieren die Geduld mit Griechenland. Manch ein europäischer Politiker fühlt sich angesichts der Reformunfähigkeit vielleicht auch ein bisschen verschaukelt. Die griechische Regierung hat so gut wie keine Glaubwürdigkeit mehr. Denn es genügt nicht, die Reformen im Parlament zu beschließen, sie müssen auch umgesetzt werden. Das erklärt den sehr scharfen Ton. Jetzt signalisiert nicht nur Deutschland klipp und klar: Es reicht.

Marek Prawda, 55, ist seit dem Jahr 2006 Botschafter der Republik Polen in Deutschland

Polen begrüßt Deutschlands engagierten Einsatz zur Stabilisierung der europäischen Währung. Wir selbst haben uns nach dem Systemwechsel von 1989 für eine disziplinierte Finanzpolitik entschieden und verfügen daher über manche der Lösungen, die heute von Berlin empfohlen werden. Bereits 1997 wurde eine Schuldenbremse in der polnischen Verfassung verankert. Während seiner EU-Ratspräsidentschaft hat sich Polen bemüht – auch wenn es den Euro noch nicht hat –, die Stabilisierungsanstrengungen der Eurozone zu unterstützen. So gelang es uns, ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Haushaltsdisziplin, das sogenannte Sixpack, durchzubringen. Wir alle brauchen langfristig eine starke und effektive europäische Gemeinschaft. Der Weg aus der Krise führt auch über mehr Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.