: Nicht jede rechte Demo stört den Frieden
Das gerade verschärfte Versammlungsrecht erleidet einen ersten Rückschlag vor dem Bundesverfassungsgericht: Die Vermutung, dass eine Demo den Frieden stört, reiche nicht aus. Daher durften Rechte durch ein Ostseebad marschieren
FREIBURG taz ■ Auch das neue verschärfte Demonstrationsrecht ist kein Freibrief, um rechte Kundgebungen generell zu verbieten. Dies stellte jetzt das Bundesverfassungsgericht klar. Verbote dürften nicht auf bloße Vermutungen gestützt werden, betonten die Richter. Es handelt sich um die erste Entscheidung des Gerichts zu dem Gesetz, das am 1. April in Kraft trat.
Konkret ging es um eine Demonstration im Ostseebad Ahlbeck auf Usedom. Die auf der Insel ansässige „Initiative für Volksaufklärung“ wollte unter dem Motto „60 Jahre Befreiungslüge – Wir feiern nicht! Wir klagen an!“ demonstrieren. Die Demo sollte als Trauermarsch „in Form einer Flüchtlingskolonne“ abgehalten werden.
Der Landkreis Ostvorpommern verbot die Versammlung, das Oberverwaltungsgericht Greifswald hielt das Verbot für zulässig und stützte sich vor allem auf einen Demo-Aufruf im Internet. Darin hieß es: „In Wirklichkeit war der 8. Mai 1945 ein Tag des Elends, der Qual und der Trauer. Deutschland, das deutsche Volk hatte sechs Jahre im gewaltigsten Krieg aller Zeiten um die Existenz gekämpft.“
Die Greifswalder Richter sahen in dem Aufruf eine „Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“, was seit Anfang April als Volksverhetzung strafbar ist. Wer das Ende des NS-Regimes bedauere und nicht als Befreiung begreife, billige die NS-Menschenrechtsverletzungen und störe dabei „in der Regel“ auch den öffentlichen Frieden, erklärten die Richter.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Demonstration mit einem Eilbeschluss kurzfristig doch noch zugelassen. Sie fand am letzten Wochenende in Ahlbeck mit 150 Teilnehmern statt, Zwischenfälle gab es keine.
Jetzt wurde die Begründung der Karlsruher Kammer nachgereicht. Dort heißt es in aller Deutlichkeit, das Demoverbot sei „in rechtlicher Hinsicht offensichtlich nicht tragfähig“ gewesen. Der Karlsruher Beschluss liegt der taz vor. Dabei lassen die Richter offen, ob der Demo-Aufruf tatsächlich die NS-Herrschaft billigte und die Würde der NS-Opfer verletzte. Entscheidend sei, dass es keine Anhaltspunkte für eine Störung des öffentlichen Friedens gegeben habe. Eine bloße Vermutung, dass eine bestimmte Demo den öffentlichen Frieden stören werde, reiche für ein Verbot nicht aus, so die Verfassungsrichter.
Das Demoverbot solle die Begehung von Straftaten verhindern und es könne niemand aufgrund einer Vermutung wegen Volksverhetzung bestraft werden, so die Richter. Es wäre mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit unvereinbar, wenn der Demoveranstalter vorab beweisen müsste, dass seine Äußerungen nicht zur Verletzung des öffentlichen Friedens führen. Mit Blick auf den 8. Mai hatte der Bundestag das Versammlungsrecht und das Strafgesetzbuch verschärft. CHRISTIAN RATH
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