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Archiv-Artikel

„Symbol für den Wunsch nach Gesprächen“

Die taiwanische Schriftstellerin und Kulturpolitikerin Lung Yingtai setzt verhaltene Hoffnungen in das Gipfeltreffen: Denn zurzeit gibt es weder in China noch in Taiwan eine echte Friedensstrategie oder Entspannungspolitik

taz: Die ganze Welt ist überrascht. Eben noch Kriegsdrohungen gegen Taiwan von chinesischer Seite und Massendemonstrationen gegen China auf Taiwan, nun plötzlich das erste große innerchinesische Spitzentreffen in Peking. Wie kam es dazu?

Lung Yingtai: Der Gipfel zwischen Nationalisten (KMT) und Kommunisten (KP) ist zunächst ein mehr oder weniger zufälliges Ergebnis taiwanischer Parteipolitik. KMT-Chef Lien Zhan war nach seiner Niederlage bei den taiwanischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Frühjahr schwer angeschlagen. Alle rechneten mit seinem Rücktritt, der KMT schien jede Zukunftsvision zu fehlen. Vielen hielten damals den Niedergang der KMT für historisch besiegelt. Die Todesprophezeiung aber löste in der KMT-Führung einen neuen Denkprozess aus. Sie erkannte im Dialog mit China die letzte Karte, mit der sie die Öffentlichkeit hinter sich bringen konnte.

Warum unterstützt heute die Mehrheit der Taiwaner den Dialogversuch der KMT, nachdem sie im letzten noch den Unabhängigkeitsbefürworter Chen Shui-bian zum Präsidenten wählte?

Chen Shui-bian wurde von einer hauchdünnen Mehrheit gewählt. Weder hinter seinem Sieg noch hinter der Reise Liens steht eine klare Mehrheit. Taiwan ist heute eine gespaltene Gesellschaft. Allerdings herrscht der allgemeine Eindruck, dass Chen das Land an einen gefährlichen Abgrund getrieben hat. Doch der Konsens ist unstabil, das zeigten die Ausschreitung am Flughafen bei Liens Abreise. Sicher ist nur, dass die Taiwaner ein sehr ernsthaftes Krisenbewusstsein teilen.

Chen hat die KMT des Landesverrats bezichtigen lassen. Steht er jetzt als Verlierer da?

Im Augenblick ja. Chen ist fünf Jahre im Amt und hat bis heute immer nur an seine Stimmenmehrheit gedacht. Zu diesem Zweck hat er China dämonisiert und als Feind beschworen. Er hat einen radikalen taiwanischen Nationalismus befördert. Aber er ist damit zu weit gegangen. Im kleinen Kreis hat er das kürzlich selbst eingeräumt. Deshalb hat die KMT die Parlamentswahlen im Dezember zu aller Überraschung gewinnen können.

Was folgt nun aus dem Gipfel? Gibt es begründete Hoffnung auf Entspanung?

Dass Lien Chan nach Peking fährt, bedeutet nicht, dass die Taiwaner, sowohl was die KMT als auch die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) betrifft, heute über eine Entspannungspolitik oder Friedensstrategie verfügen. Es gibt weder das eine noch das andere.

Verfolgt denn Peking neuerdings eine Entspannungspolitik?

Peking ist im Laufe der Zeit sehr viel selbstbewusster geworden und denkt wahrscheinlich auch langfristiger als die Taiwaner. Aber ich würde nicht von einer Entspannungspolitik reden. Für Peking steht immer noch die Bekämpfung der taiwanischen Unabhängigkeit im Mittelpunkt. Die KP prägt kein echter Friedenswunsch, stattdessen wird sie von einem Nationalismus getrieben, der eine Wiedervereinigung um jeden Preis durchsetzen will.

Der historische Handschlag zwischen KP- und KMT-Chef lässt Sie also kalt?

Nein, ich bin glücklich darüber. Wir sollten das heutige Ereignis nur nicht mit den beiden Vorkriegstreffen zwischen Mao Tsetung und Chiang Kai-shek vergleichen. Beide führten zum Krieg. Außerdem verfügt Lien Chan heute über keine reale Macht. Man darf nicht vergessen, dass er vor ein paar Monaten politisch bereits abgeschrieben war. Er symbolisiert nur den Wunsch der Taiwaner nach Gesprächen mit China, mehr nicht. Auch bleibt die KMT als Partei schwach und ihr langfristiger Erfolg ist keinesfalls gesichert.

Was macht Sie dann trotzdem glücklich?

Bis vor kurzem war die ideologische Atmosphäre in Taiwan sehr aufgeheizt. Wer Gutes über China sagte, galt sofort als Verräter. Es war wirklich verrückt, und jetzt auf einmal das: Man redet mit Peking. Allein diese Tatsache sprengt die ideologische Kontrolle, die KMT und DPP bislang gemeinsam in der Chinadebatte ausübten. Für mich ist das ein Akt der Befreiung. Vorher war es fast ein Tabu, über China zu reden.

Wie wünschen Sie sich den Umgang mit China?

Wir brauchen eine langfristige Strategie, wie wir mit dieser riesigen Diktatur umgehen wollen. Ganz egal wie klein wir sind, müssen wir versuchen, China zu beeinflussen. Statt nur an die eigene Innenpolitik und das politische Überleben der Insel zu denken, müssen wir China auf sehr kluge Weise helfen, gerechter und menschlicher zu werden. Ich glaube immer noch, dass Taiwan eine Art Leuchtturmeffekt für China haben kann.

INTERVIEW: GEORG BLUME