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Archiv-Artikel

Schutzmacht mit Befürchtungen

Die USA schrauben ihre Erwartungen im Irak zurück. Die Guerilla gewinnt wieder an Kampfkraft

WASHINGTON taz ■ Erleichtert, jedoch ohne eine Spur von Euphorie reagierte die US-Regierung auf die Regierungsbildung im Irak. War nach den Parlamentswahlen vom Wendepunkt die Rede, vom baldigen Austrocknen der Guerilla-Bewegung, ist seither die Begeisterung im Bush-Team verklungen. Die Prognosen haben sich als trügerisch erwiesen. Die Anschläge häufen sich wieder, die Strategie der Aufständischen wird immer ausgeklügelter.

Manche in Washington sahen einen Zusammenhang zwischen der verzögerten Regierungsbildung, dem so entstandenen politischen Vakuum und dem Anstieg der Gewalt, nachdem die Attentate im Februar abgeflaut waren. „Das Innen- und Verteidigungsministerium werden von Interimschefs geleitet, die abgelöst werden. Die Operationen der irakischen Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen sind praktisch eingestellt worden“, schrieb die Washington Post. Das politische Patt habe den Aufständischen neue Hoffnung gegeben.

Andere glauben, die Rebellen hätten sich nach den Festnahmen einiger entscheidender Köpfe reorganisiert. Auch das Pentagon räumte ein, die Anschläge seien nunmehr ausgefeilter und die verschiedenen Guerilla-Gruppen würden weitaus effektiver kooperieren. Überdies habe sich ihre Taktik verändert. Neben Selbstmordanschlägen und Straßenbomben gebe es auch Angriffe auf US-Stützpunkte, wie jüngst auf das Gefängnis Abu Ghraib, wo GIs einen stundenlangen Abwehrkampf führten.

Selbst Generalstabschef Richard Meyers überraschte am Dienstag mit dem Eingeständnis, dass die Rebellen nichts von ihrer Schlagkraft eingebüßt hätten. Mit 50 bis 60 Angriffen täglich befinde man sich auf dem gleichen Niveau wie vor einem Jahr. Daher erwartet in Washington kaum jemand, dass der Aufstand plötzlich verebben wird, nur weil es eine legitime Regierung gibt.

Angesichts der fortdauernden Unsicherheit hält sich die Regierung wieder bedeckter in der Frage, wann mit einem stufenweisen Abzug der US-Streitkräfte begonnen werden kann. Zwar betonte Verteidigungsminister Rumsfeld jüngst erneut, dass es letztlich nicht die Aufgabe der USA sei, die Rebellen auszuschalten, „dies können nur die Iraker selbst tun“. Doch die Regierung fürchtet, die Kampfkraft der im Aufbau befindlichen irakischen Streitkräfte könne drastisch sinken, sollte die neue, von Schiiten dominierte Regierung ihre angekündigte Säuberungswelle unter ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei von Saddam Hussein verwirklichen.

So bleibt völlig offen, ob Gewalt und Terror in den kommenden Monaten zum Alltag im Irak gehören werden oder die Rebellen in absehbarer Zeit geschlagen sind. Einig sind sich die meisten Experten lediglich darin, dass vor Ende des Jahres, wenn eine Verfassung verabschiedet und neue Wahlen durchgeführt sein werden, kein Ausblick gewagt werden kann. Gemessen an der Vergangenheit, meint Danier Serwer vom „US Institute of Peace“, bedeute die neue Regierung jedoch allemal einen Fortschritt, „zwar nicht im Hinblick auf Sicherheit, aber doch auf Legitimation“.

MICHAEL STRECK