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Archiv-Artikel

Keine Nazis, nirgendwo

PROTESTE Tausende Menschen demonstrierten in Dresden gegen abwesende Rechtsextreme. Diese hatten ihren Aufmarsch abgesagt. Die Stimmung war entspannt

13. Februar

■ Geschichte: In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 begannen die Angriffe britischer und amerikanischer Streitkräfte auf Dresden. Die Dresdner Innenstadt wurde durch vier aufeinanderfolgende Luftangriffe fast vollständig zerstört, über 20.000 Menschen starben. Rechtsextreme nutzen den Tag und den Samstag drauf, um als „Trauermarsch“ deklarierte Aufmärsche durch die Innenstadt abzuhalten.

■ Gegenwart: Die Arbeitsgruppe 13. Februar wurde 2009 erstmals von Oberbürgermeisterin Helma Orosz berufen. Ziel ist es, dass viele wichtige gesellschaftliche Gruppen sich auf ein gemeinsames Vorgehen am Jahrestag der Zerstörung Dresdens verständigen. (taz)

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

„Der Nazigroßaufmarsch in Dresden ist Geschichte“, freute sich am Samstagabend das Bündnis Dresden Nazifrei. Das Hauptziel dreijähriger Arbeit sieht man erreicht. Nachdem schon am 13.Februar, dem eigentlichen Dresden-Gedenktag, etwa 2.000 untereinander zerstrittene Nazis nur eine verkürzte Strecke liefen, fielen ihre Aufmärsche am 18. Februar gänzlich aus. Dresden erlebte tatsächlich einen nazifreien Tag.

Und anders als im Vorjahr, als es zu Ausschreitungen mit zahlreichen Verletzen kam, war die Stimmung diesmal entspannt. Die Rechtsextremisten hatten ihren Trauermarsch bereits Ende Januar abgesagt.

Auch eine angeblich am Hauptbahnhof angekündigte braune Aktion fand nicht statt. Dort hing nur eine symbolisch versteckte Pappkamera in einem Baum. Denn auch ohne direkte Herausforderung fanden sich etwa 7.000 Menschen aus der ganzen Bundesrepublik am Bahnhofsvorplatz ein. Das Nazifrei-Bündnis hatte ungeachtet der ausbleibenden Nazis zum Protesttag gegen die Kriminalisierung friedlicher Demonstranten und Blockierer der vergangenen beiden Jahre aufgerufen.

„Sächsische Verhältnisse kippen“, lautete der häufigste Slogan. Abgeordnete von Linkspartei, SPD und Grünen, aber auch einfache Bürger werden immer noch wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verfolgt. Am 19.Februar 2011 erfasste die Polizei außerdem mehr als ein Million Handyverbindungsdaten.

Dagegen protestierten Menschen allen Alters und jeder Richtung. Ein älteres Ehepaar, Dresdner beide, war gekommen: „Wir sind hier, weil uns die Kriminalisierung von Blockierern empört“, sagten sie. Die Präsidentin der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD-Synode), Katrin Göring-Eckhardt von den Grünen, führte den Block des christlichen Bündnisses an, das dazu aufgerufen hatten: „Nächstenliebe verlangt Klarheit“. Straßenbands, Lautsprecherwagen, Faschingskostüme und Konfetti komplettierten den bunten Zug.

Mehrere schwarze „Blöcke“ mit vermummten Autonomen kontrastierten allerdings die Farbenfreude. Die 1.600 Polizisten ließen sich aber auch von einigen Böllern nicht beeindrucken und meldeten lediglich vier vorübergehende Festnahmen. Bis zum Abschlusskonzert am Haus der Begegnung blieb alles friedlich.

Auch ohne direkte Herausforderung fanden sich etwa 7.000 Menschen am Bahnhof ein

Vor einem Jahr kam es dort zu überfallartigen Hausdurchsuchungen durch die Polizei. „Und wir galten immer als die Randalierer“, freut und ärgert sich einer der Pioniere des aktiven Widerstands gegen die Nazimärsche in Dresden, Wolfgang Pröhl, heute.

Vergleichsweise spärlich strömten die Menschen zu einer städtischen Kundgebung auf dem Schlossplatz. Erstmals hatte die Arbeitsgruppe 13. Februar, der alle Stadtratsfraktionen, aber auch Wirtschaftsverbände und gesellschaftliche Gruppen angehören, zu einer gemeinsamen Kundgebung aufgerufen, die ursprünglich in Hör- und Sichtweite eines möglichen Naziaufmarschs stattfinden sollte. Etwa 2.000 Bürger kamen und setzten dennoch ein Zeichen gegen rechts.

Dass es solcher Zeichen bedarf, räumte der Dresdens Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP) nochmals ein. „Stilles Gedenken reicht nicht“, bekräftigte er den Erkenntnisprozess in der Stadt. Der ehemalige Bundesjustizminister und SPD-Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel mahnte, dass sich 1933 nicht genug Deutsche für den Erhalt der Demokratie engagiert hatten. Aus dem rechten Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds müsse der Staat heute „ernste und konkrete Konsequenzen“ ziehen und engagierte gesellschaftliche Gruppen fördern.Vogel verlangte entschieden ein NPD-Verbot.