mythos guerillas
: Krieg als Text

Der Guerillero ist seit je eine elektrisierende Figur. Einer, der die Regeln des Krieges bricht, die klassischen Formeln von Armee, legitimer Kriegserklärung, Schlachtordnung und Konflikthegung. Der Mythos des Guerilleros geht über das blanke Desperadohafte meist weit hinaus. Denn mit der Selbstermächtigung zu legitimer Gewalt geht fast immer auch Weltveränderungspathos einher. In seiner schwächsten Form: nationale Befreiung. In seiner stärksten Form: soziale Befreiung, Schaffung einer neuen Welt für – und mit – neuen Menschen. Zerstören, damit eine neue Welt entstehen kann. Töten für das Gute.

Der linke Guerillero, der von Asien bis Lateinamerika die Fantasie rebellisch gestimmter Europäer beflügelte, griff zu den Waffen, damit eine friedliche Welt entstünde. So jedenfalls hat man sich das in etwa vorgestellt. Und ihn umwehte etwas Märtyrerhaftes: Wer sich für den Dschungelkrieg entschied, durfte mit keinem langen Leben rechnen. Deswegen ist eine Guerillageschichte auch immer eine Passionsgeschichte, überlebensgroßes Exempel eines Opfergangs – für alle Zeiten versinnbildlicht im abgerissenen, kugeldurchsiebten Leichnam von Che Guevara.

Der amerikanische Reporter Jon Lee Anderson hat mit „Guerillas. Töten für eine bessere Welt“ nun Innenansichten diverser Guerillagruppen vorgelegt. Anderson ist als Reporter des New Yorker eine große Nummer, seine Berichte aus Afghanistan und aus dem Irak gehören zu dem Besten, was international zu diesen Themen zu haben ist. Mitte der Neunzigerjahre sorgte er mit einer grandiosen Che-Biografie für Aufsehen. In seinem neuen Buch untersucht er nun, „warum ganz gewöhnliche Leute sich entschließen“, die unsichtbare Linie „zu einer Art Parallelwelt“ zu überschreiten, „in der die Wahrscheinlichkeit, zu überleben, geringer ist als die, zu sterben“.

Um das herauszufinden, hat Anderson sich ziemlich großräumig herumgetan: Viel Zeit verbrachte er mit den Guerilleros der salvadorianischen FMLN, mit den Polisario-Kämpfern in Nordafrika, bei den aufständischen Karen im Südosten Burmas und bei Intifada-Kämpfern im Gaza-Streifen. Dass ziemlich skurrile und auch wenig sympathische Aufstände einer Betrachtung unterzogen werden, unterbindet allzu schnelle Identifikation und ist gewiss eine der Stärken des Buches. Die Schwäche besteht eindeutig darin, dass Anderson sämtliche Schauplätze in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren bereiste. Die Konflikte sind nicht eben neu, im Gegenteil: Die meisten existieren nicht mehr oder haben sich drastisch verändert.

An den prinzipiellen Einsichten ändert das nichts: nicht an der Selbstmythologisierung, nicht daran, wie schnell Heldengeschichten in Umlauf geraten und welche Bedeutung Leidensgeschichten erlangen. Und nichts daran, dass Kriege auch Modernisierungsprozesse beschleunigen, weil sie traditionelle Autoritäten zersetzen.

Dabei wird kaum ein Guerillakrieg militärisch gewonnen. Die Waffe zu erheben ist Teil eines kämpferischen Textes und Teil einer Bildsprache. Findet dieser Diskurs keinen Resonanzraum – sei es national, sei es international –, wird die Guerilla schnell militärisch aufgerieben, wie Anderson am Beispiel der Karen zeigt. In positiver Hinsicht wurde das an jener Partisanenbewegung deutlich, die in den Neunzigerjahren am meisten für Furore im Westen sorgte: der zapatistischen EZLN in der mexikanischen Provinz Chiapas mit ihrer globalen Idolfigur, dem Subcomandante Marcos. Eine Guerilla, die schon nicht mehr Krieg führte – den Gefechten um die Silvestertage 1994 folgte ja ein jahrelanger Waffenstillstand, während dessen die Guerilla ihren Gegner mit Texten beschoss und mit paradoxen Interventionen voll Witz und Aberwitz. Die Zukunft gehört wohl solchen „Diskursguerillas“ (Anne Huffschmid). ROBERT MISIK

Jon Lee Anderson: „Guerillas. Töten für eine bessere Welt“. Aus dem Englischen von Dietmar Zimmer. List-Verlag, Berlin 2005, 320 Seiten, 22 Euro