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Archiv-Artikel

„Ich hätte Hitler etwas Eleganz eingeredet“

Oliver Axer verstößt gegen alle Regeln der Filmkunst und gewinnt damit den Grimme-Preis. Ein Gespräch über Stahlrohrmöbel in Gestapo-Büros und die deutsche Moderne

INTERVIEW NIKE BREYER

Oliver Axer kommt der Besucherin zur Begrüßung entgegen. Bei jedem Schritt pochen die Krücken auf die Holzdielen – sie sind seit der Krebsoperation unverzichtbare Begleiter. Der Händedruck ist fest, die Stimme erstaunlich hell. Die Worte kommen im schnellen Stakkato und enden meist abrupt. Man nimmt im geräumigen Wohnraum Platz. Zwei weinrote Ledersofas, an der Wand ein bäuerlicher Holzschrank mit Salzglasurtöpfen, daneben gerahmt ein Stück Bauhaustapete, blassgrüne „Planquadrate“, wie geschaffen, um darauf „Schiffe versenken“ zu spielen. Eine aparte Verkörperung des Genius Loci.

taz.mag: Herr Axer, als Sie für „Hitlers Hitparade“ im März den Grimme-Preis erhielten, fragte Bettina Böttinger als Moderatorin der Preisverleihung: „Vom Dritten Reich erzählen, ohne sich auf Auschwitz, Gestapo, Krieg zu konzentrieren, darf man das?“ Wie hat sie das gemeint?

Oliver Axer: Na ja, wir sind alle groß geworden mit Sätzen wie „Das kannst du so nicht sagen“ – indirekten Verboten. Ich habe mich darum selten gekümmert. Natürlich hatten wir das Gefühl, dass wir mit dem Film Tabus brechen. Dabei ist heute so viel von Tabubrüchen die Rede, die ganze Gesellschaft besteht doch nur noch aus befreiten Tabubrechern. Darüber muss ich lachen.

Weil Sie tatsächlich ein Tabu gebrochen haben?

Ganz klar. Wir haben gemerkt, dass wir das Dritte Reich bildschön finden und wir wussten selbstverständlich die ganze Zeit, dass da ganz viel Böses abgelaufen ist, und wir wussten, dass das nicht zu trennen ist. Wir sind nur so erzogen worden, dass man uns keine große Chance gegeben hat, mit diesem Widerspruch klarzukommen oder diese Ästhetik nachzuvollziehen. Ich bin in der Schule gespickt worden mit Dokumentarfilmen des Grauens. Letzten Endes war es aber so, dass die ganze Aufklärung über das Schreckliche dazu führte, dass immer mehr Fragen in mir wuchsen. Diese habe ich versucht, mir mit anderen Quellen aus dieser Zeit zu beantworten. Ich wollte immer alte Spielfilme sehen. Da fand ich das Lebensgefühl. Das muss man – zumal als junger Mensch – erst einmal in einen Topf kriegen: dass das zusammengehört.

Zu Ihrem Film: Der Impuls dazu geht auf das Erlebnis zurück, dass es zur ästhetischen Seite des Nationalsozialismus keine Informationen gab?

Doch, es gab Information. Aber die war eher nervtötend. Als Ästhetik des Dritten Reichs präsentierte man uns Leni Riefenstahl, und zwar in solchen zweistündigen Filmen, die man ja schon in den Siebzigerjahren nicht länger als fünfzehn Minuten ertragen konnte.

Das hat Sie nicht interessiert?

Kurzfristig. Es wiederholte sich ja ständig. Ich war vielmehr fasziniert von der Modernität des Zeitgefühls in Spielfilmen, von der Art, wie die Menschen sich dort gaben, von den Dingen, die ich in diesen Filmen sah, von den Tönen. Als Teenager gab es für mich nichts Schöneres, als nicht draußen spielen zu müssen und stattdessen nachmittags alte Revuefilme zu gucken. Ich habe mit meinem ersten Kassettenrecorder die Spielfilme aufgenommen und bin jede Nacht dazu eingeschlafen, zu den Stimmen dieser Zeit, dieser Spielfilmhandlung. Ich hatte das Gefühl, ich gehöre dahin.

Sie unterscheiden zwei Repräsentationsästhetiken des Nationalsozialismus. Auf einen Typus gebracht: Marika Rökk versus Leni Riefenstahl.

Marika Rökk war nicht so mein Fall, eher „Stern von Rio“, große schöne Autos, moderne Tanztempel und solche Sachen. Ich mochte dieses Gefühl einer gepflegten Modernität und Mondänität, die diese Filme ausstrahlen, diese Eleganz.

Die Auffassung, dass im Nationalsozialismus moderne Technologie genutzt wurde, ist gängig, dass es modern und elegant zugegangen sei, hat sich noch nicht so herumgesprochen.

Warum fürchten wir das Dritte Reich dann so? Wenn es doch nur schrecklich oder lächerlich war, dann kann es theoretisch überhaupt keine Macht haben. Dann gibt es keine Veranlassung, dass man es so verneinen müsste.

Hm.

Erst mal müssen wir unterscheiden zwischen dem Wohnzimmergeschmack eines Adolf Hitler als Person, dann der Modernität des Dritten Reiches an sich und schließlich der Modernität, die im Dritten Reich möglich war. Das sind schon mal drei Welten. Überall, wo Hitler meinte, bestimmen zu müssen, wie es sein soll – vor allem bei Malerei und Plastik –, war der Geschmack durchweg reaktionär und tümelnd. Mit abstrakten Mustern wie bei Kandinsky konnte er nichts anfangen. Ich glaube, eine Tapete mit grünen Hunden wäre im Dritten Reich nicht verboten worden. Aber bitte als Tapete, nicht in einer Kunstgalerie. So ungefähr stelle ich mir das vor. Interessant war für mich nun zu sehen, wo hatte Hitler nicht unbedingt direkt seine Finger mit drin. Aber natürlich hat sein System doch alles indirekt total beeinflusst.

Bis ins Autodesign! Walter Gropius war ja nicht nur Architekt, sondern hat, ich meine 1934, für die Firma Adler auch Autos entworfen.

Ich habe neulich im Internet ein Bild entdeckt von einem 1939er Opel Admiral. Das Ding hat die Größe und Mondänität eines amerikanischen Schlittens. Gleichzeitig sieht man aber sofort, das ist ein Auto aus dem Nationalsozialismus. In vielen Wochenschauen sieht man Hitler über Automobilausstellungen laufen. Da stehen dann die elegantesten Flitzer. In einigen Nazi-Propaganda-Spielfilmen, die sogar im Gestapo-Milieu spielen, ist das Büro mit Stahlrohrmöbeln eingerichtet.

Man würde Eiche rustikal vermuten.

Falsch. Man wollte bombastische neoklassizistische Staatsbauten, aber natürlich hatte man nichts gegen eine wahnsinnig moderne Tankstelle an der Reichsautobahn. War der Hintergrund anders gestaltet, durfte das Ganze auch sehr modern erscheinen. Aber wenn die Landschaft harmonisch war, dann bekam die Tankstelle Fachwerkschmuck und fügte sich in das Landschaftsbild ein. Man braucht nur Zeitschriften der Zeit anzusehen.

Welche?

Moderne Bauformen etwa. Man hatte immer das Gesamtkunstwerk im Blick. Die Spur der Autobahn und darauf die modernen Automobile. Die Brücke (pathetischer Tonfall) zwischen den beiden Felsen, die diese harrrrrrmonisch verbindet, um ein Automobil sicher von einer Ebene zur anderen zu geleiten. Das war ja alles so beseelt … (lacht)

Sie klingen fast beeindruckt.

Ja. Aber Hitler selbst hatte viel zu wenig Format für seinen Nationalsozialismus. Er war ein Kleinbürger. Wäre ich in den Dreißigerjahren Designer gewesen für ihn, ich hätte versucht, ihm etwas mehr internationale Eleganz einzureden.

Im Staatsdesign oder in seinen Privaträumen?

Ich frag mich, ob der überhaupt private Räume hatte, vielleicht sein Schlafzimmer. Je offizieller es wurde, umso größer wurden die Dimensionen. Aber der bürgerliche Geschmack ging nicht heraus. So ein bisschen wie das Wohnzimmer auf dem Berghof, mit dem größten Fenster der Welt, das sich herunterkurbeln ließ.

Das ist nicht modern?

Ich hätte modernere Möbel da reingestellt. Stattdessen überall diese tümelige Gediegenheit.

Definieren Sie „tümelnd“.

Ganz flach: Hätte Hitler den Krieg gewonnen, wäre er damit unmöglich gewesen. Die hätten sich, wäre er mit seinem Mobiliar ins Empire State Building eingezogen, totgelacht.

Beziehen Sie sich hier auf Urteile von Zeitgenossen? Urteile über Geschmack, das kann man an den konjunkturellen Schwankungen eines „american way of life“ schön studieren, haben in der Regel ebenso viel mit Macht zu tun wie mit Material. Vor Kriegsbeginn – man denke an die Olympischen Spiele 1936 – wurde das Deutsche Reich ja noch als aufstrebende Nation wahrgenommen.

Sagen wir so: Mir ist Adolf Hitlers persönlicher Geschmack zu piepig.

Davon sieht man in Ihrem Film aber wenig.

Eben. Wir haben ja die Zeit verkauft bekommen als rein reaktionäre Epoche. Stattdessen gab es alles, was man braucht und was man schön finden kann, wenn man sich eine wachsende Zivilisation, eine so genannte schöne neue Welt, die im Blühen begriffen ist, vorstellt. Die Flugzeuge waren groß und schön. Es gab elegante Schiffe, die herrlichsten Autos, schöne Bekleidung, elegante Cafés. Man konnte nachts tanzen gehen. Die Bars von Berlin galten als mondän, schick und groß. Alles hatte internationalen Standard. Man hat nicht den Eindruck, dass dort irgendetwas fehlt. Die Modernität, die man mir in der Schule beizubringen versucht hat, hörte 1933 auf und begann wieder in der Bundesrepublik mit der Hochschule für Gestaltung Ulm, mit Braun-Design. Dazwischen waren zwölf furchtbar düstere Jahre, die angeblich irgendwie nicht modern waren. Das sah ich nicht, wenn ich Filme schaute. Ich sah immer etwas anderes. Bei der Recherche für „Hitlers Hitparade“ steigerte sich das eher noch.

Wie verlief das Quellensichten? War das ein Nebeneffekt Ihrer beruflichen Beschäftigung mit Möbeln, Musik aus dieser Zeit?

Ich war vor einigen Jahren schwer krebskrank und völlig fasziniert, als ich den Werbefilm fand „Krebs ist heilbar“. Da wurde ein Mensch in einer riesengroßen Chromröhre, die blitzte und spiegelte, bestrahlt. Der Film stammt von 1937 oder 1938. Da wurde gesagt, dass man diesen Menschen im Frühstadium heilen könne. Und ich dachte: Meine Herren, das gab’s schon, dasselbe, was ich in den Neunzigerjahren am eigenen Leib erfahren durfte.

Wie sind Sie auf den Film gestoßen?

Man wühlt in Archiven rum und hofft, dass einem die Listen gegeben werden. Das meiste ist in den Köpfen der Leute. Wenn sie einem vertrauen, dann öffnen sie das Archiv im Kopf und man bekommt einen Film nach dem anderen gezeigt. Das ist gar nicht so einfach, weil dieses Material gut bewacht wird. Es könnten ja auch Böse kommen, die damit was Böses vorhaben. Dann sitzen da immer auch verhinderte Künstler, die sehr schnell eifersüchtig sind, wenn man damit etwas Unorthodoxes vorhat. Was wir fanden, reichte von „wunderschön“ bis „ganz schrecklich“. Wir fanden medizinische Sonderfilme, die unbeschreibbar sind in ihrer Schrecklichkeit, und wir fanden zum Beispiel hochmoderne Filme über Säuglingspflege, wie man denen (lacht schallend) Sonnenbrillen aufsetzt …

Zur Säuglingspflege?

Ja. Toll! Mehrere Säuglinge nebeneinander mit ganz großen Sonnenbrillen. Die tut man so eine Stunde raus zum Sonnen, damit die schön braun und gesund werden. Und daneben hochmoderne medizinische Verfahrensweisen. Alles sehr paradox, wenn man nicht weiß, wie dieses Land funktioniert hat.

Wie hat es denn funktioniert?

Wenn ich böse ironisch werden will, sage ich, dass Hitler noch einen Schritt weiter gegangen ist als die Bauhaus-Forderung nach Typisierung und Normierung von Produkten bei Schaffung eines gleichzeitigen Variantenreichtums, indem er diese Forderung auf den Menschen übertragen wollte. Das wäre ihm fast gelungen. Moderner in Anführungsstrichen geht es ja wohl kaum.

Humandesign heißen solche Ambitionen heute, unterwegs in den Sloterdijk’schen „Menschenpark“.

Ich bin zu ungebildet, um zu beurteilen, was da auf uns zukommt. Ich war allerdings ziemlich entsetzt, als ich vor einiger Zeit gelesen habe, dass man in China an einem Mischwesen experimentiert aus Mensch und Hase. Denen traue ich das glatt zu, dass die so was hinkriegen.

Was sollte an dieser Kombination sinnvoll sein?!

Entweder man kann es essen oder die arbeiten billiger.

Das klingt wie Satire …

Ich hatte ein einschneidendes Erlebnis in meinem Leben. Das war 1995 die Erkenntnis, dass ich schwer krebskrank war. Mein Beckenknochen zerbrach, und ich wusste nicht, dass darauf ein kindskopfgroßes Weichteilsarkom lag, was sich da reingefressen hatte. Da war erst mal alles vorbei. Ich habe anderthalb Jahre nur noch die rabiatesten Sachen gemacht, um mein Leben zu retten. Chemotherapie Hochdosis isoliert, volle Bestrahlung, die möglich ist, und Operation.

Sie wurden gerettet.

Ja, ich war mit einem Mal Soldat in einem Krieg und erlebte in Sekundenschnelle einen Mentalitätswandel. Ich konnte mit einer Klarheit denken, handeln und agieren wie nie zuvor. Und ich hatte das Talent, die goldenen Seite der Medaille zu erkennen und mich für sie zu entscheiden. Wenn einem was Schlimmes passiert, gibt es immer zwei Möglichkeiten, wie man das aufnimmt.

Sich fallen lassen …

Gab’s bei mir überhaupt nicht. Ich wusste, wenn ich schon ein solch schlimmes Sarkom kriege, was nur einer von hunderttausend Leuten kriegt, ist meine Chance von eins zu zehn doch schon mal de luxe. Wenn ich durch die Krebsstation ging – das klingt jetzt arrogant, ist aber nicht so gemeint –, und ich sah die neuen Leute, die resigniert da rumschlurften und sich nicht mal ordentlich anziehen konnten für ihren Hauptgegner. Hatten gar keinen Respekt vor ihrer Krankheit. Da wusste ich, der Zehnte bist du. Hier wird jetzt nicht verreckt, auf gar keinen Fall.

Hatten Sie in Ihrem Leben früher schon ähnliche Kriege zu führen?

Nein. Ich war sehr autoritär erzogen von meinem Vater, hatte eigentlich nicht groß gelernt, dass man sich wehren kann. Was mir in der Schule später auch ein bisschen hinderlich war, weil ich mich gegen Ältere oder Stärkere schlecht durchsetzen konnte. Aber ich war, wie ich im Nachhinein sehe, nicht feige. Ich mochte nie, wenn sich Stärkere zusammenrudeln und auf Schwächere stürzen.

Ohne Sinn und Verstand.

Den hat es durchaus. Es soll das Rudel zusammenschmieden, wenn man zusammen was Böses tut. Das ist ein ganz steinzeitlicher Aspekt. Das beobachtet man bei Kindern. Der Schwächste kriegt’s ab. Der Schwächste ist aber auch oft der Schlaueste.

Sie sind in den Siebzigerjahren aufgewachsen?

In dieser Zeit, die heute als modern gilt, wo es mir überhaupt nicht gefiel. Ich musste damals ein Schulzentrum besuchen, das ein riesengroßer Klotz war aus Beton, mit geriffelten Metalloberflächen, die in entsetzlichen Schockfarben lackiert waren. Die Fenster waren bullig und klein. Oben guckten wie aus einer Wäscherei riesengroße Rohre raus.

Ja, das war der Zeitgeschmack damals, Konzept Gesamtschule: innen pädagogische Fabrik, außen Centre Pompidou.

Das hatte einen unheimlich bedrohlichen Charakter, wie ein schlechtes Raumschiff, alles mit Filzplatten ausgelegt, und wenn man etwas anfasste, bekam man auch noch einen Stromschlag. Die Gänge hießen K3 und so.

Sich von dort ins Dritte Reich zu träumen, ist aber nicht unbedingt nahe liegend.

Nee, nee, nicht Drittes Reich. Ich wollte erst mal zurück. Es fing mit den Zwanzigern an, ging dann in die Dreißiger, dann die Vierziger. Ich hab natürlich auch amerikanische Filme gesehen. Aber die deutschen lagen mir mehr, wahrscheinlich wegen der Mentalität. Da war der sprachliche Witz. Die Zeit, ab der es für mich erotisch wird, sind die Zwanzigerjahre.

Woran liegt’s?

Das wird mir mein Schicksal gerade verraten. Ich werde aber immer mehr ein Mensch der Gegenwart. In „Hitlers Hitparade“ habe ich in gewisser Weise auch einen Bruch zu dieser Zeit gezogen. Selbst wenn man hochgradig ästhetisch entwickelt ist und einem vieles gefällt in diesem Film, verspürt man nicht gerade Lust, in dieser Zeit zu leben.

In seinen glamourösen Passagen empfinde ich den Film aber als sehr camp, im Sinne Susan Sontags, geprägt durch eine homosexuelle Ästhetik der Künstlichkeit.

Das ist Quatsch. Wir haben doch ganz viele natürliche, sogar hässliche Menschen gezeigt. Einfache Mädchen, die da am Strand rumlümmeln und knutschen, die ungeschminkt mit ihrer Freundin spazieren gehen und sich nachpfeifen lassen. Die sind gar nicht alle hochgestylt. Wir zeigen diese Nazifrauen, die sich da rabiat die Hände schütteln und furchtbar wichtig Orden verleihen. Hätte ich aus homosexueller Sicht „schöööne Frrrrrauen“ zeigen wollen, hätte ich ganz anderes Filmmaterial gehabt. Das war nicht mein Ziel.

Ich war aber doch überrascht, weil ich mit Nationalsozialismus eher dieses Kraftmeierische verbinde.

Ich hab aber keinen Film über den Nationalsozialismus gemacht. Ich hab aus Paris zum Beispiel eine wunderbare Mail bekommen, dass so viel schwarzer Humor aus Deutschland sehr ungewöhnlich sei. Das sei sozusagen eine Mischung aus Tex Avery und Leni Riefenstahl. Der Schreiber fand die Mentalität des Films nicht sehr deutsch.

Nicht?

Die Anspielungen … das kann ich nicht erklären. In Holland zum Beispiel hat sich das Publikum im Kino totgelacht, als diese Verkäuferin einen Damenstrumpf über ein Display zieht und das aussieht wie ein Riesenkondom, während sie da so ein bisschen verzückt draufguckt. Oder wie der Sportmann, dieser Kraftkoloss, sich zu einer bestimmten Musik etwas merkwürdig bewegt. Oder diese sexuelle Anspielung, wo der Mann sich der Dame im Rhönrad von hinten nähert. Da haben wir schon ordentliche Reaktionen erlebt. Kürzlich war ich in Hannover in einem alternativen Kino, das sah aus wie ein Punker-Kino der Achtziger, da war die Stimmung bierernst.

Politische Korrektheit verpflichtet.

Manche Leute sind so verstopft. Die lachen nur, wenn sie wissen, dass es genehm ist. Hat mich aber nicht gestört. Die moralische Aussage des Films ist ja auch noch gut, und die kam rüber.

Der Film lief auch sehr erfolgreich in New York. Hat das den zuvor misstrauisch beäugten Propheten im eigenen Land empfohlen?

Schwer zu sagen. Wir haben den Grimme-Preis bekommen, und so weit mir berichtet wurde, hat die Jury einstimmig für diesen Film entschieden. So was haben wir noch nie erlebt, wenn wir irgendwo mit einem Gremium oder einer Jury zu tun hatten. Da gab es immer irgendwelche Leute, die meinten, das zwar verstanden zu haben, aber nicht zulassen zu dürfen, dass andere das so unkommentiert sehen und verarbeiten. Dann sind wir handfest auch immer wieder boykottiert worden.

Geholfen hat möglicherweise auch, dass „Hitlers Hitparade“ unter anderem in Tel Aviv gezeigt wurde.

Moshe Zimmermann hat den Film erstklassig besprochen. Das will ich mal nicht unterschätzen. Es gab natürlich auch da gegensätzliche Reaktionen. Es gab auch den Vorwurf, der Film wäre zu deutschenfreundlich. Wir würden uns zu sehr um unser eigenes Leid kümmern. Ich weiß aber, dass der Film auch in Ägypten gelaufen ist. Da war der Film dann natürlich zu judenfreundlich …

Wie entstand die Idee zum Film?

1993. Wir – Susanne Benze und ich – entdeckten damals die Unterhaltungsmusikaufnahmen aus dem Dritten Reich, vor allem aus der Kriegszeit von 1942 bis 1944, und waren fasziniert. Davon haben wir Kassetten aufgenommen, und wenn wir nachts von Partys zurückfuhren, haben wir nicht Discomusik gehört, sondern fuhren durch den niedersächsischen Nebel und hörten „Wolken segeln durch die Nacht“ oder „Fern durch die Dämmerung klingt ein Lied so süß, als ob der Himmel Engel singen ließ“. Davon ging etwas Magisches aus. Das liegt an den Kriegszeiten. Schlimme Zeiten bringen die reinsten Stilblüten hervor. Im Frieden kommt nichts Dolles raus. Die Welt muss leiden. Dann entstehen Töne und Wortgeflechte, wie man sie sich nicht ausmalen kann. Mit der deutschen Tanzmusik von 1936 ist nicht viel los. Ab 1939 beginnt’s.

Pragmatisch betrachtet, tröstete die von Ihnen beobachtete neue Innigkeit natürlich auch über die Bedrückung des Krieges.

Das meint die Staaatskunst, die staatlichen Filme, hinter denen Goebbels steckte. Aber nein, das waren auch ganz normale, unbekannte Sänger, die im Stil der Jahre 1943/44 gesungen haben. Und man spürt die Geister der Zeit. Ilse Werner hat 1945 ein Lied gesungen – für den Film „Das seltsame Fräulein Silvia“ – „Ich weiß, dass ich dich lieben muss“, in einer Stimmung, in der sie selbst nicht gemerkt hat, was mit ihr passiert. Das ist die Stimmung des schönen Untergangs.

Dafür haben Sie ein Schwäche?

Also mein persönlicher Traum wär’s gewesen, einmal mit der „Hindenburg“ zu fliegen, vier Tage. Aber nicht auf dem letzten Flug.

Dem Zeppelin? Stimmt, der ist am Ende explodiert.

Ja. Das Ding war ja so lang wie dreieinhalb Jumbojets. So was gibt’s heut nicht mehr. Mein Vater hat die „Hindenburg“ als Kind gesehen. Das sei einfach kolossal gewesen, wenn die angebrummt kam. Das hab ich auch bei Herrn Massaquoi gelesen. Der ist damals extra aufs Dach gestiegen.

Wer, bitte, ist Herr Massaquoi?

Ein Schwarzer, der in Deutschland aufgewachsen und sogar gesund durchgekommen ist. Der hat später ein Buch darüber geschrieben. Auf dem Titelblatt ist er abgebildet und hat einen Pullover an, auf den seine Mutter ihm ein Hakenkreuz aufgenäht hat. Er wollte auch dazugehören, durfte aber nicht. Also hat sie ihm eins gemacht. Damit kam er wohl auch eine Zeit lang davon. Er berichtet in seinem Buch, dass die „Hindenburg“ direkt über ihn rüberflog. Das war so bombastisch, dass ihm gehörig schlecht wurde.

Auf dem Deckblatt zu dem kleinen Katalog Ihres Plattenlabels „Deutsche Moderne“ ist ein verrücktes Automobil zu sehen. Worum handelt es sich?

Das ist ein Prototyp, der AVA-Versuchswagen von 1938, gebaut auf dem Fahrgestell eines Mercedes 170 H. H für Heckmotor. Den hat es mal eine kurze Zeit gegeben. Damit hat das Amt für Luftfahrttechnik, meine ich, Stromlinienexperimente gemacht. Dann kurvte der immer durch Göttingen. Die Bevölkerung hatte sich aber nach kurzer Zeit an die „Amöbe“ gewöhnt. Es gibt ein Foto von 1941, da haben sie oben noch einen Riesenpropeller draufgemacht. Das sieht allerdings komisch aus.

Er wurde von Ingenieuren zusammengebaut?

Richtig. Der ist nicht aus designästhetischen Gründen entstanden, sondern als technische Form. Aber vom Äußeren betrachtet, ist er das modernste Auto der Vorkriegszeit, das es gibt. Absoluter Futurismus.

Mit dem amerikanischen Streamline-Design wurde die bionische Forschung dann großmaßstäblich kommerziell vermarktet.

Mir gefällt Streamline gar nicht so sehr. Die deutsche Moderne ist da etwas zurückgenommener, sachlicher, nicht ganz so überladen. Wenn ich etwa den Schienenzug „Fliegender Hamburger“ aus den Dreißigerjahren sehe, der hat fast das Format einer S-Bahn. Wer damals extrem mit der Mode gegangen ist, waren zum Beispiel die Tschechen. Die Stahlrohrmöbel, also die Holzoberflächen, waren in den knallbuntesten Farben lackiert. Sie hatten die aberwitzigsten Lampenkonstruktionen. Moderne als reine Mode.

Wie liebenswürdig. Heute haben wir Moden wie den Gameboy, Talkshows und „Big Brother“.

Wir leben in einer anderen Zeit. Die Leute sind auch verändert worden. Mir fällt auf, dass die Teenager mittlerweile anders sprechen, auch dass ihre Gefühlswelten den amerikanischen mittlerweile schon sehr angeglichen sind, ja. Das geht von diesen Jugendmusiksendungen aus, mit denen viel Schund herüberkommt.

Sie meinen MTV und Viva?

Ich beobachte die manchmal, um noch ein bisschen zu begreifen, was los ist. Unheimlich viele amerikanische Unterhaltungssendungen haben nur Abartigkeiten und Respektlosigkeit als Programm. Was mir dabei immer wieder auffällt: sich übergebende Jugendliche. Diese Sendungen heißen „Machst du’s für zwanzig Dollar?“, „travelsick“ oder so was. Da muss man Maden essen, Insekten die Köpfe abbeißen oder irgendwelchen widerlichen Dinge tun. Teenager kotzen sich aus, in einer dekadenten Verwahrlosung. Das wird hier gezeigt. Ich bedaure das.

Vor dem Talkmaster sind alle Menschen gleich.

Gleich benutzbar. Vielleicht ist uns Demokratie zu leicht gemacht worden. Ein schöner Gedanke, dass wir alle gleichberechtigt sind. Jeder kann heute sagen, tun und lassen, was er will. Aber ein Gesamtkunstwerk wird das nicht mehr. Von solchen Wünschen muss man sich verabschieden.

NIKE BREYER, geboren 1955, lebt als freie Autorin in Marburg an der Lahn