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Archiv-Artikel

Die Bewegung der Jugend

Von Dakar bis Daressalam floriert die afrikanische HipHop-Szene. Bis nach Europa dringt von dieser Entwicklung aber kaum etwas vor

Von THOMAS WINKLER

Rap ist wieder zu Hause. Wieder dort angekommen, wo alles begann. Dort, wo der Legende nach der erste, namenlose Griot seine Geschichten im Rhythmus erzählte, unterstützt nur von ein paar Trommeln. Dort, wo irgendwann einmal der mit der schnellsten Zunge eine Auseinandersetzung für sich entschied. In Afrika hat HipHop, über den Umweg Amerika, wieder eine Heimat gefunden.

Allein in Daressalam, der tansanischen Küstenmetropole in Südostafrika, soll es 2.000 HipHop-Acts geben, in Dakar, der Kapitale des Senegal in Nordwestafrika, angeblich sogar mehr als 8.000. Quer über den Kontinent werden alle verfügbaren HipHop-Moden adaptiert, von Elefantenhosen bis zu den tief in die Stirn gezogenen Strickmützen, und die lokalen HipHop-Varianten zudem um lokale Einflüssen aus Folklore und traditionellen Musiken erweitert. Doch so verschieden die Kulturen, politischen Regime, Religionen und Sprachen der einzelnen Ländern Afrikas, so unterschiedlich sind auch die einzelnen HipHop-Szenen des Kontinents.

Gerappt wird mal in afrikanischen Sprachen und lokalen Dialekten, mal in den jeweiligen Amtssprachen Französisch oder Englisch, in Südafrika sogar im Burenidiom Afrikaans. Fast immer geht es um Themen, die vor Ort virulent sind: Armut und Hunger, Kriminalität und ethnische Konflikte, den Einfluss der Religionen und natürlich die in den meisten Ländern grassierende Korruption. Aber wenn es einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, dann ist es die Beschäftigung mit der „afrikanischen Seuche“ Aids und ihren Voraussetzungen wie Prostitution, sexuelle Gewalt und Beschneidungen. Und die Rapper wissen meist, wovon sie sprechen: So wie die Street Boys in Tansania, die im Reimstakkato über ihr Leben als obdachlose Straßenkinder rappen.

In vielen afrikanischen Ländern bietet Rap der jüngeren Generation erstmals eine eigene Stimme. In Ländern wie dem Senegal mögen 80 Prozent der Bevölkerung noch keine 30 Jahre alt sein, doch Kultur und Alltagsleben werden immer noch von Stammesältesten und Priestern dominiert. Selbst gottgleich verehrte Künstler wie Youssou N’Dour wagen es so gut wie nie, die traditionellen Autoritäten zu kritisieren. Indem Rapper zusehends die traditionellen Mächte und die Regierungen provozieren, hat HipHop mancherorts eine gesellschaftliche Relevanz erreicht, die in Europa unvorstellbar wäre. Im Senegal sollen nicht zuletzt die Rapper entscheidend dazu beigetragen haben, dass im Jahr 2000 der amtierende Präsident Abdou Diouf die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes verlor.

Weil die Zielgruppe meist jung ist und in ärmlichen Verhältnissen lebt, schlägt sich dieser Einfluss allerdings kaum in Verkaufszahlen nieder. Lang gediente Genres wie Highlife in Ghana, Gospel in Südafrika oder Mbalax im Senegal und in Gambia verkaufen immer noch ein Vielfaches im Vergleich zum HipHop – auch, weil die Radiofrequenzen in vielen Ländern von Regierungen oder Staatskonzernen kontrolliert werden, die kein Interesse an einer allzu kritischen Haltung haben.

Die allgegenwärtigen Musikkassetten, die sich in kleinen Läden bis zur Decke stapelten oder direkt aus dem Kofferraum heraus verkauft wurden, werden in vielen Ländern zusehends durch die CD verdrängt. Die Ansprüche an die Soundqualität werden dadurch allerdings größer, die eh schon sehr teuren Studios unbezahlbar und die Position der Produzenten und Label-Inhaber noch absoluter. Bis also die Konsumenten in Afrika flächendeckend mit CD-Playern ausgerüstet sind, produzieren lokale Rap-Acts weiter Kassetten.

Etablierte Gruppen wie Positive Black Soul, Pee Froiss und Daara J, die Gründungsväter des senegalesischen HipHop, haben es immerhin schon geschafft, in Europa veröffentlicht zu werden und dort auf Tournee zu gehen. Dafür verlieren sie in ihren Heimatländern an Bedeutung, wo immer neue Gruppen auf den Markt drängen.

Hierzulande kommt davon allerdings kaum etwas an. Vor vier Jahren stellte der Journalist Jay Rutledge die Compilation „Africa Raps“ (Trikont) 2001 zusammen, die sich seitdem solide 10.000-mal verkauft hat. Doch das ist die Ausnahme: Andere Veröffentlichungen mussten sich meist mit Stückzahlen begnügen, die selten vierstellige Dimensionen erreichten. Vor kurzem hat Rutledge mit OutHere ein eigenes Label gegründet, doch das bedeutet eher ehrenamtliche Arbeit als Verdienstmöglichkeit. Im vergangenen Jahr erschien dort die Compilation „Bongo Flava“ mit Rap aus Tansania erschien, sowie CDs des senegalesischen Frauentrios Alif und den X Plastaz aus Tansania. Damit sind hierzulande nun immerhin einige Acts nicht mehr allein über Compilations erhältlich. Denn auch im Internet sind bislang noch keine vertrauenswürdigen Verkaufsplattformen in Sicht, die einen halbwegs umfassenden Überblick bieten würden.

Der Grund dafür ist einfach: Es gibt kaum ein Land auf dem Globus, in dem nicht amerikanischer HipHop gehört wird; ein erstaunliche Erfolgsgeschichte. Aber es gibt auch kaum ein Land, in dem nicht auch in der eigenen Landessprache gerappt wird: Das senkt das Interesse und den Bedarf an Rap-Exporten aus dem Ausland, deren Idiom man nicht versteht. Selbst etablierte Rap-Stars aus Frankreich schaffen es kaum über die Grenze, und deren Produktionen haben immerhin den richtigen Feinschliff. Und das ethnologische und exotische Interesse der ersten Welt an der dritten, auf die sich der Weltmusikmarkt nicht zuletzt gründet, befriedigen traditionell geprägte Klänge weitaus besser.

Eine Chance auf Erfolg in Europa haben afrikanische HipHop-Gruppen deshalb nur, wenn bei ihnen, wie bei den X Plastaz aus Tansania, ein original Maasaikrieger mit traditionellen Gesängen und Gewändern die Bühnenpräsenz belebt. Die allermeisten jungen afrikanischen Rapper aber wollen als Rapper wahrgenommen werden und nicht als Abgesandte einer exotischen Kultur. So wird der Sprechgesang, nachdem er angekommen ist in seiner alten Heimat, auf seinen zweiten Export in den Rest der Welt womöglich noch weiter warten müssen.

Bongo Flava: „Swahili Rap from Tansania“. X Plastaz: „Maasai HipHop“. Alif: „Dakamarap“ (alle: outhere records)