„Afrika ist ein Beat“

Der Songwriter Patrice über Sierra Leone, seinen Vater Gaston Bart-Williams und seine späte Beteiligung am afrodeutschen Rap-Bündnis Brothers Keepers

INTERVIEW DANIEL BAX

taz: Patrice, was bedeutet Ihnen Afrika?

Patrice: Mein Vater kam aus Sierra Leone, insofern ist es Teil meiner Geschichte. Musikalisch steht Afrika für mich für rhythmusbetonte Musik, während Europa eher für Akkorde und Songstrukturen steht – eben was so von der Klassik kommt. Wenn ich in einem Song sage, „Africanize them“, dann meine ich damit: Drück ihnen den Beat rein.

Afrika ist für Sie also ein Sound?

Ja, auf jeden Fall. Und ein bestimmtes Lebensgefühl. Wenn ich genug habe von Großstadt, dann gehe ich nach Sierra Leone. Ich habe da mittlerweile ein Haus und treffe mich dort manchmal mit meiner Band zum Proben.

Kennt man Sie dort?

Ja, ich habe dort schon Konzerte gegeben, meine Videos laufen im Musik-TV. Und auf Channel O, einem der größten afrikanischen Sender, der aus Südafrika sendet, läuft mein Song „Everyday Good“ jeden Tag als so eine Art Morgenhymne.

Ihr neues Album „Nile“ haben Sie aber in Ihrer Heimatstadt Kerpen aufgenommen?

Das, was ich mache, kann ich eigentlich überall machen. Aber ich habe mir dort ein eigenes Studio aufgebaut: Da kann man drin schlafen, experimentieren und arbeiten.

Wie entstand das Album?

Ich wollte die Produktion sehr roh und simpel halten. Heute arbeiten ja alle am Computer: Da rückt man jedes Detail zurecht, aber dadurch verliert das Ganze an Wirkung. Deswegen habe ich das ganze Album analog aufgenommen und versucht, spontane Momente einzufangen: so wie früher, mit alten Instrumenten und alten Mikros, und ohne die tausend Möglichkeiten, später nachzubessern.

Sie haben auch beim neuen Album der Brothers Keepers mitgewirkt. Beim ersten Mal haben Sie sich ja ziemlich rausgehalten.

Inzwischen habe ich den Sinn darin gesehen. Vielen afrodeutschen Kindern, speziell in Ostdeutschland, hat das viel gegeben: Die schreiben E-Mails und sehen, dass sie repräsentiert sind in der Gesellschaft. Denen scheint das ein großes Maß an Identitätsbewusstsein zu geben.

Ich war auch ein paar Mal in Ostdeutschland, da sind mir ein paar echt krasse Sachen passiert. Zum Beispiel habe ich auf einem Konzert gegen rechte Gewalt in Ludwigslust gespielt. Da hatte wohl so ein Altnazi ein paar Jugendliche um sich geschart, und ich musste von der Polizei aus dem Dorf eskortiert werden.

Oder: Ich komme in Leipzig an, und auf dem Hauptbahnhof schreit mich so ein Typ an: Du Drecksnegersau! Neben ihm läuft ein Polizist, und der gibt mir nur so einen Blick in der Art von: Tja, wer bist du auch? Da war ich echt schockiert, dass so etwas in Deutschland noch möglich ist.

Deshalb spüre ich eine gewisse Verantwortung: Ich will, dass die Leute merken, dass Deutschland auch so aussehen kann wie ich. Und mit dem Gedanken müssen sie sich anfreunden.

Warum standen Sie dem Projekt erst skeptisch gegenüber?

Weil viele dieser Brothers Keepers-Leute kompletten Nonsens reden. Wenn man dann als geschlossene Gruppe dasteht und die Hälfte der Leute kompletten Schwachsinn redet, dann ist mir das peinlich: Damit möchte ich nicht assoziiert werden.

Das gilt aber nicht für Adé und Abi von der Band Bantu, die Initiatoren des Projekts?

Nein, du musst dir vorstellen: Adé, der das initiiert hat, der ist wie ein großer Bruder für mich und sein Bruder Abi auch. Ich war lange Zeit mit deren Schwester zusammen, ich habe bei denen gewohnt und war wie ein Teil der Familie. Die haben mich damals zu ihrem Produzenten Matthias Arfmann mitgenommen und mir alles vermittelt.

Ihr verstorbener Vater Gaston Bart-Williams war Journalist und Künstler. Sehen Sie eine Verbindung zu ihm?

Ich merke mit zunehmendem Alter immer mehr, welchen Einfluss mein Vater auf mich hatte. Ich wohne ja jetzt wieder in meinem ehemaligen Elternhaus. Nichts dort hat sich verändert, und ich krame oft in alten Sachen herum, lese Sachen durch und sehe, dass wir uns in manchen Dingen recht nahe sind.

Er war Schriftsteller und Journalist, hat aber auch viele Gedichte geschrieben. Das hat mich sicher beeinflusst in der Art, wie ich schreibe. Teilweise benutze ich sogar Passagen von ihm in meinen Texten.

Außerdem bin ich halt immer auf Ausstellungen oder auf Konzerte mitgeschleppt worden, und in unserem Haus hingen überall Bilder von Michael Buthe oder von Wolf Vostell. Mit solchen Leute bildete mein Vater so einen Künstlerzirkel: Vostell hat Bilder gemacht, und er hat dazu Gedichte geschrieben.

Das klingt nach einer recht bildungsbürgerlichen Jugend.

Andererseits war ich in vielem auch das totale Gegenteil von meinem Vater. Ich stand eher auf physische Dinge, auf Lärm und Michherumprügeln. Mein Vater dagegen war ein Intellektueller. Ich glaube, er hat mich auch nicht für besonders helle gehalten und sich viel besser mit meiner Schwester verstanden.

Sie singen oft über „Jah“. Ist Ihnen Religion wichtig?

Ich glaube, dass jeder Künstler, der den Anspruch erhebt, echte Kunst zu machen, religiös ist. Du beziehst deine Ideen ja aus einer jenseitigen Quelle: Das ist eine spirituelle Sache. Und ich glaube, dass es für alles, was man so tut, nicht nur einen materiellen, sondern auch einen spirituellen Lohn gibt.

Für mich sind Konzerte heutzutage das, was die Kirche einmal war: Leute gehen da hin und haben ein spirituelles Erlebnis. Bei einem Konzert von Kool and the Gang ist mir das mal aufgegangen: Das hat etwas von Kirche, und der Typ da oben hat etwas von einem Prediger, ob er will oder nicht. Manche entziehen sich ja auch dieser Verantwortung.

Künstler sind meist Individualisten. Wie verträgt sich das mit organisierter Religion?

Ob die meisten Künstler wirklich Individualisten sind, ist ja die Frage. Es gibt doch nur wenige Leute, die komplett unkonventionelle Sachen machen, so wie einst Jimi Hendrix. Manche haben diese Vision einfach nicht.

Wie ist das bei Ihnen? Sie werden ja oft mit Bob Marley verglichen oder mit anderen Reggae-Künstlern wie mit Seed oder Gentleman.

Ich glaube schon, dass ich etwas Neues mache. Aber es gibt natürlich immer etwas, das vorher da war und dich inspiriert hat. Wenn man sich einer ähnlichen Sprache bedient wie andere, wird man halt in die gleiche Schublade gesteckt. Interessanterweise werde ich aber in Deutschland in andere Schubladen gesteckt als in Frankreich: Dort werde ich eher als einer dieser neuen Singer-Songwriter wahrgenommen, so wie Ben Harper. Was ja auch mehr zutrifft.