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Archiv-Artikel

Schlappe Politik macht schlappes Wachstum

Alternative Wirtschaftsforscher: Konjunkturprognose bestätigt unsere Kritik. Staat soll 75 Milliarden investieren

„Die Regierung hat der Erpressungspolitik der Unternehmen den Boden bereitet“

BERLIN taz ■ 75 Milliarden Euro für ein staatliches Investitionsprogramm in Infrastruktur und Bildung über zehn Jahre – so sieht einer der Vorschläge zur Ankurblung der Konjunktur aus, den die Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ gestern präsentiert hat. Finanziert werden könnte das über höhere Steuern für Gutverdiener und Unternehmen sowie über eine höhere Neuverschuldung.

Die utopisch anmutende Summe relativiert sich bei näherer Betrachtung. Laut den alternativen Experten müsste am Anfang etwas mehr als die Hälfte des Programms über höhere Schulden finanziert werden, also etwa 4 Milliarden pro Jahr. Allein im vergangenen Jahr hat Bundesfinanzminister Eichel 40 Milliarden Euro neue Schulden gemacht.

Dennoch bleibt die Frage: Kann es für so viel linke Wirtschaftspolitik eine politische Mehrheit geben? Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Jörg Huffschmid gibt sich vor dem Hintergrund der aktuell diskutierten Kapitalismuskritik zuversichtlich. „Die Unzufriedenheit ist in den vergangenen Jahren gewachsen“, sagte er gestern in Berlin. Sollte sich das konsolidieren, gebe es mittelfristig Chancen, dass eine größere Bewegung die Politik der Parteien beeinflusst. Wichtig sei aber, dass den Kritikern wissenschaftliche Expertisen an die Hand gegeben werden.

Darum bemüht sich die Arbeitsgruppe der nachfrageorientierten Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftsvertreter seit 30 Jahren mit ihren Studien, den so genannten Memoranden. Darin erklären sie Jahr für Jahr auf mehren hundert Seiten, warum die meisten der Experten und Politiker Unrecht haben, wenn sie eine vor allem an den Interessen von Kapital und Unternehmen ausgerichtete Wirtschaftspolitik betreiben.

Das schlappe Wachstum der vergangenen Jahre und die Rekordarbeitslosigkeit sehen sie als Beleg für ihre Thesen. „Wir haben immer davor gewarnt“, sagte Axel Troost von der Uni Bremen. Es reiche nicht, Exportweltmeister zu sein und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen immer weiter stärken zu wollen, wenn gleichzeitig die Deutschen sparen und die Nachfrage im Inland zurückgeht – seit 2000 um fast 28 Milliarden Euro. Das führe dazu, dass sich die Konkurrenzsituationen der Unternehmen verschärft und der Druck auf die Arbeitnehmer, für geringere Löhne zu arbeiten, wächst.

Die SPD habe die Entwicklung, die sie in ihrer Kapitalismuskritik nun geißelt, in erheblichem Maße mit zu verantworten. Hartz IV habe der „Erpressungspolitik der Unternehmen“ den Boden bereitet. Das Finanzmarktförderungsgesetz habe die Arbeit spekulativer Finanzfonds, über deren „heuschreckenartige Aktivität“ sich die SPD-Chef Müntefering jetzt beklage, erst ermöglicht.

Als Gegenmittel fordern die alternativen Wissenschaftler über das milliardenschwere Investitionsprogramm hinaus, wieder mehr Menschen im öffentlichen Dienst zu beschäftigen und Arbeitszeitverkürzungen – ohne Lohnkürzungen. Das alles würde nicht nur für mehr Arbeitsplätze und Wachstum sorgen, sondern auch die politische Kultur im Land wieder stärken. Dass die größte Partei die der Nichtwähler sei, so der Gelsenkirchener Volkswirt Heinz-Josef Bontrup, sei eine „Folge des Scheiterns der neoliberalen Wirtschaftspolitik der vergangenen 20 Jahre.

STEPHAN KOSCH