: Der Meisterdiener
Felix Magath (51) hat zehn lange Jahre auf seinen ersten Meistertitel als Trainer warten müssen. Am Samstag hat er ihn mit dem FC Bayern München nun endlich errungen. Es soll nicht der letzte sein
AUS KAISERSLAUTERN OLIVER TRUST
Wenn sich einer angekommen fühlt, dann sieht er aus wie Felix Magath. Staatsmännisch Erhabenes beherrscht seine Gesten, eine Mischung aus Pathos und Gleichmut tänzelt in seinem Blick und verleiht ihm ein besonderes Glänzen. Wenn sich ein Fußballtrainer wie er angekommen fühlt, dann ist er deutscher Meister, endlich und das erste Mal. „Ich bin dem FC Bayern dankbar, dass ich deutscher Meister werden konnte. Ich bin stolz, auch wenn es bei mir lange, nämlich zehn Jahre, gedauert hat“, hauchte Felix Magath am Samstag in Kaiserslautern.
Das klingt nach reichlich Kitsch im rauen Geschäft Bundesliga, und dennoch trifft es auf keinen mehr zu als auf Magath. Deshalb schüttelt er jetzt Hände und drückt noch auf dem Rasen jeden an die Brust. Er lächelt friedlich und weltumspannend wie ein Buddha. „Dieser Titel hilft mir bei meiner weiteren Arbeit, durch ihn werde ich erst richtig akzeptiert“, sagt Magath und wischt sich seine verklebten Haare wieder in Form, das feuchte Resultat der Bierdusche, die in der Branche wie eine Taufe wirkt. Weißbiergeduscht bedeutet: akzeptiert und geachtet. So fühlt sich Magath jetzt beim FC Bayern München, bei dem Titel etwas Banales geworden sind – und gleichsam zwingend vorgeschrieben werden.
„Hier herrschen manchmal aberwitzige Ansprüche. Als ob der FC Bayern der einzige Klub wäre, der Meister werden kann“, sagt der 51-Jährige. Andererseits, so einfach sei die Formel nicht: Nur zu den Bayern gehen und automatisch Meister werden. Das hat Magath in den vergangenen Monaten erfahren. Auch er eröffnete sich eine Welt, in der er jemanden brauchte, der ihm Begleitschutz gewährte und als Ratgeber zur Seite stand. „Uli Hoeneß hat mir geholfen, mit seinen Kenntnissen aus der Vergangenheit, Dinge richtig zu sehen, er hat mir den Weg gewiesen“, sagt Magath. „In Stuttgart hatte ich junge Spieler, deren Entwicklung wichtig war. Hier habe ich erfahrene Spieler, da kommt es auf Kleinigkeiten an. Das sind verschiedene Welten.“
„Bei Bayern ist es ein völlig anderes Arbeiten“
Ein Stück weit war der erfahrene Trainer bei den Bayern plötzlich wieder der Lehrling. Es gab Tage in München, da war sich keiner sicher, ob die Ehe mit Magath gut gehen würde. Magath versuchte, verkrustete Strukturen aufzubrechen, den „eingefahrenen Stil“ zu ändern. „Die machen ja gar nichts“, dachte er anfangs – und die Spieler waren der Ansicht, der verlangt zu viel von uns. Nur Stück für Stück ließen sich die Bayern-Profis auf den Neuen ein. „Nach dem Sieg über Ajax Amsterdam in der Champions League, wusste ich, wir schaffen das“, sagt Magath.
Nun ist er angekommen. In München. Beim FC Bayern. In der nächsten Stufe seines Entwicklungsprozesses. In den stolperte er als Trainer des VfB Stuttgart, nachdem er zuvor wegen seiner Misserfolge in Bremen und Frankfurt ins Ausland flüchten und aufgeben wollte. Magath, der sich lange als einsamer Wolf verstand, lernte Stimmungen und Meinungen aufzunehmen und in seine Arbeit einzubeziehen. „Es ist ein völlig anderes Arbeiten, da habe ich auf viele andere Meinungen gehört. Alles ist noch bedeutsamer, jedes Wort, jede Geste, alles ist sofort öffentlich. Ich habe mich hier weiter entwickelt“, sagt Magath. Der Meistertitel ist nun sein Ritterschlag, den ein neues Image möglich machte. Das des Mannes, der den Ruf Feuerwehrmann wie eine lästige Haut abstreifte und „reif genug“ für die Bayern wurde. „Ich wollte immer dahin, seit ich Trainer bin, wollte ich einmal so weit sein, dort zu arbeiten. Jetzt fühle ich die Verpflichtung, noch mehr Titel zu holen“, sagt Magath. Und auch, dass er sich als Diener des Vereins fühle.
Mehr als ein bewegtes halbes Jahrhundert liegt hinter dem passionierten Schachspieler Magath. „Fußball hat mich geprägt, durch ihn habe ich alles erreicht“, sagt er, und sein Blick wühlt sich durch die Jahre bis zurück in die Jugend. Einmal im Jahr taucht er in eine Vergangenheit ein, die er nie hatte. In die mit Vater, einem US-Soldaten aus Puerto Rico, der die Familie in Deutschland früh verließ. „Als ich 15 war, haben wir uns Briefe geschrieben, ich habe ihn zum ersten Mal besucht und hatte seltsame Gefühle dabei“, sagt Magath. Jetzt fährt er jedes Jahr zum Urlaub zu ihm in die Karibik.
Der Vater bekocht dann Magath und dessen Familie. „Wenn mein Vater da gewesen wäre, hätte sich mein Leben anders entwickelt. Viel zielgerichteter. Ich hätte vernünftig für die Schule gearbeitet, einen normalen Beruf erlernt und wäre nicht in den Fußball abgedriftet, der mir dann meine Erfolge gab“, erzählt er. „Meine Mutter musste arbeiten, dadurch war ich früh viel alleine. Ich war unterwegs auf Wiesen und Kiesgruben und Bolzplätzen, wir haben am Stadtrand gewohnt, nah am Wald, das war so ein Leben wie bei Tom Sawyer. Ich hatte ein glückliches Leben.“
Das Schicksal habe ihm durch den Fußball große Geschenke gemacht. Als Spieler wurde er Europameister, Vizeweltmeister, Europapokalsieger sowie dreimal deutscher Meister; als Trainer führte er den maroden VfB Stuttgart in die Champions League – und die Bayern nun zur Meisterschaft.
Das ist alles fast so wertvoll wie die Goldmedaille, von der er als kleiner Junge träumte. Magath wurde von katholischen Ordensschwestern erzogen, und er trödelt gerne. „Wenn ich vor lauter Träumerei nach der Schule den Bus verpasste, musste ich zu Fuß gehen. Ich habe mir vorgestellt, ich sei Leichtathlet und laufe für Deutschland. Neben mir die Konkurrenten aus Amerika und Russland. Bald lag ich in Führung, die anderen keuchten hinter mir her. Ich wurde auf der Zielgeraden beinahe eingeholt. In meinem Kopf hörte ich den Reporter rufen: ‚Oh Gott, der Vorsprung von Felix Magath schmilzt. Wird er die Goldmedaille noch verlieren?‘ Sie werden es nicht glauben, ich habe fast immer gewonnen.“
Bei den Bayern gilt: Nach dem Titel ist vor dem Titel
Und nun? Hat er denn keine Wünsche mehr offen mit dem ersten Titel im Rücken? „Nun ja, früher wäre ich gerne mehr daheim gewesen.“ Gegenüber seinen drei Kindern aus einer früheren Beziehung empfindet Magath „ein schlechtes Gewissen“, obwohl er einen intensiven Kontakt pflegt. „Sie sind 15, 22 und 24, besuchen mich, wir telefonieren, ich sehe sie in Hamburg. Aber auch heute gilt: Ich bin zu wenig bei den drei anderen, um als guter Vater durchzugehen.“ Leonard, Raphael und Chiara, die mit ihm und seiner Frau Nicola in München wohnen, werden noch eine Weile mit einem Vater leben müssen, der Trainer bei Bayern München ist – und sich trotz des Titels nächstes Jahr aufs Neue beweisen muss.