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Archiv-Artikel

Die Zeit des „ungeheuren Enthusiasmus“

Vor 25 Jahren besetzten Atomkraftgegner ein Erkundungsbohrloch zum geplanten Endlager in Gorleben und gründeten die „Freie Republik Wendland“. 25 Jahre später feiern die Bündnisgrünen „ein Drittel des geschafften Atomausstiegs“

AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES

Bundeskanzler Gerhard Schröder machte der kleinen Republik an der Spitze von 200 Jusos seine Aufwartung. Bundeslandwirtschaftsminister Renate Künast konnte als Einwohnerin des Kleinstaates erste Erfahrungen mit dem Landleben sammeln. Und die grüne Europa-Abgeordnete Rebecca Harms erlebte „ungeheuren Enthusiasmus“.

Aber das ist lange her: Vor 25 Jahren, am 3. Mai 1980, besetzten 5.000 AKW-GegnerInnen die zwischen Gorleben und Trebel gelegene „Bohrstelle 1004“, an der der Gorlebener Salzstock auf seine Tauglichkeit zur Atommüllkippe untersucht werden sollte. Die Besetzer gründeten die „Republik Freies Wendland“.

Von den Einheimischen erhielten die aus der ganzen Republik angereisten Demonstranten Baumaterial und Lebensmittel. Sie errichteten ein großes Camp aus Holzhäusern und Zelten samt Blumenbeeten, Enten- und Hühnergehege. Im täglich tagenden Sprecherrat übte man Basisdemokratie. Mitten im Wald auf einer großen sandigen Lichtung entstand eine eigene Infrastruktur mit Freundschaftshaus, Gemeinschaftsküche, Backofen, Meditationshaus, Schwitzhütte und sogar Solardusche.

Die „Republik Freies Wendland“ machte einen Monat lang Schlagzeilen. Bis zur Räumung am 4. Juni 1980 erprobten in dem Walddorf Zwischen bis zu 1.500 ständige Bewohner das selbst bestimmte Landleben. Aus dem Kleinstaat im Gorlebener Wald sendete das „Radio Freies Wendland“. Die Republik verfügte über Fahne und Wappen, einen eigenen „Wendenpass“, Botschafter in anderen Städten. Die Besetzer verlangten das Ende der Erkundungsbohrungen und die Veröffentlichung unter Verschluss gehaltener Bohrergebnisse. Sie wollten mit ihrem gewaltfreien Widerstand gegen die Atomkraft demonstrieren – und „die Utopie einer freien, ökologischen, rätedemokratischen Republik lebendig werden“ lassen, wie die taz seinerzeit schrieb.

Das Ende der kleinen Waldrepublik begann an ihrem 33. Tag. Gut 10.000 Polizisten umzingelten frühmorgens die Republikaner: 2.000 freie Wendländer versuchten, gewaltfreien Widerstand zu leisten und sich von brutalen Knüppeleinsätzen nicht zur Schlacht provozieren zu lassen. In 80 deutschen Städten fanden Solidaritätsdemos oder Besetzungen öffentlicher Gebäude statt. Die damaligen Grünen erklärten anschließend, mit der Teilnahme von Landtags- und Bundestagsabgeordneten an der Aktion gegen die Vorbereitung des Atommüllendlagers habe man gezeigt, dass „wir Grünen den Anspruch als basisdemokratische, gewaltfrei und aktionsorientierte, neuartige Partei einlösen“. Heute regieren sie – und feiern das Ende des AKW Obrigheim. Ein Drittel des Atomausstiegs sei bereits geschafft.