: Einmal Demonstrant, für immer Radikaler
Bayerns Staatsschutz hat hunderte Jugendliche als „Linksextremisten“ gebrandmarkt. Der Grund: Vor Jahren gingen sie gegen die Münchner Sicherheitskonferenzen auf die Straße. Experten fürchten massiven Schaden für die Teenager
MÜNCHEN taz ■ Der bayerische Staat vergisst nicht: Jugendliche ab 14 sind aktenkundlich als Radikale gebrandmarkt worden – nur weil sie vor Jahren einmal an einer Demo teilgenommen haben. 2002 oder 2003 gingen sie gegen die Münchner Sicherheitskonferenzen (SiKo) auf die Straße. Die Teenager wurden fortan in der Rubrik „Linksextremisten“ der bayerischen Staatsschutzdatei „SDBY“ gespeichert. Ein Vorgehen, das der bayerische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter jetzt publik gemacht hat: Die Eintragungen seien „unverhältnismäßig“, kritisierte Vetter, als er im April im Landtag seinen Datenschutzbericht vorstellte.
Aus Angst vor Ausschreitungen während der SiKo 2002 hatte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) die ganze Stadt mit einem Versammlungsverbot belegt, was dann umso mehr Münchner mobilisierte: Mehr als zehntausend demonstrierten gegen die Einschränkung des Versammlungsrechts und gegen die „Kriegstreiberkonferenz“. Im Lauf des Wochenendes wurden damals 816 Personen in Gewahrsam genommen. Über 500 Menschen landeten mit dem Stempel „Linksextremist“ in der SDBY – obwohl sie nie zuvor polizeilich in Erscheinung getreten waren. Auch in den Folgejahren wurden Eintragungen gemacht.
„Die zum Teil noch sehr jungen Betroffenen wurden nur deswegen mit dem Motiv ‚Linksextremismus‘ in der Staatsschutzdatei erfasst, weil sie an einer Demonstration teilgenommen hatten, die im Vorfeld verboten worden war“, kritisiert Vetter. „Solche Speicherungen bergen die Gefahr, dass junge Menschen, die sich bisher sonst nichts haben zuschulden kommen lassen, durch die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten in großer Zahl in die Nähe des politischen Extremismus gerückt werden.“
Auch die Innenexpertin der Landtagsgrünen, Christine Stahl, kritisiert das Vorgehen: „Auf eine einzige Verhaltensauffälligkeit folgt permanente Kontrolle. Das stellt den Rechtsstaat auf den Kopf.“ Durch solche Maßnahmen bringe man Jugendliche dazu, keine eigene Meinung mehr zu vertreten. „Das ist der Weg in den Duckmäuserstaat.“
Das bayerische Innenministerium bestätigte die Speicherung von Jugendlichen und erklärte sie als „notwendig“. „Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass dieser Personenkreis wieder Delikte verübt“, so Sprecher Rainer Riedl.
Die Münchner Polizei hingegen gestand erst nach mehrmaliger Nachfrage und dem Verweis auf den Datenschutzbericht ein, dass Jugendliche nach der SiKo 2002 in der SDBY gespeichert wurden. Überdies seien die Einträge inzwischen allesamt wieder gelöscht worden. Zuvor hatte es geheißen: „Das ist so nicht passiert.“
Eine Angabe, die bei Vetter Kopfschütteln auslöst: „Ich verstehe diese Aussage der Polizei nicht.“ Der taz versicherte der bayerische Datenschutzbeauftragte, dass er gerade bei den Einträgen Jugendlicher „noch mal nachschaue“, ob alles mit rechten Dingen zugehe. Leider sei das Innenministerium auf seine mehrmalige Forderung nach Änderung des Speicherkonzepts nicht eingegangen.
MAX HÄGLER