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Archiv-Artikel

Heimspiel mit Kürbis

Wahlkampf zwischen Blumenbeeten: Mit einer SPD-Kandidatin bei Hobbygärtnern in Gelsenkirchen

Ob er wählen geht, weiß Famulla nicht. Lieber züchtet er Zucchini auf Kohlrabi

aus GelsenkirchenANNIKA JOERES

Paul Fammulla mustert Heike Gebhard, ihren roten Münte-Schal, die rote Brosche, das weiße Jackett, den blonden Pagenkopf. „Ich kenne ihre Visage“, sagt er dann. Die 51-Jährige lacht und drückt ihm ein Päckchen Gladiolen in die erdigen Hände. Doch Famulla hat keine Zeit, er will lieber seine persönliche Züchtung vorstellen, „Gurke auf Kürbis“. Winzige Triebe in kleinen Plastiktöpfen. Er sei ein wahrer Züchter, lobt er sich. Nur der dunkelgrüne Busch störe in seinem Garten. „Ja, der sieht so nach Friedhof aus“, sagt Gebhard mitfühlend. „Nein, ich bin allergisch“, sagt Fammulla. „Mmmh“, sagt Gebhard und eilt zum nächsten Schrebergarten. Der 71-Jährige guckt ihr verstört hinterher. Was er wählt, weiß er noch nicht. „Datt is ja noch hinne.“ Der Sprit sei aber viel zu teuer. Als nächstes will er Zucchini auf Kohlrabi züchten.

Gebhard ist unterwegs auf Wahlkampftour in Gelsenkirchen. Ein Heimspiel in der roten Hochburg. Sie ist eine der wenigen Frauen in der SPD, die einen relativ sicheren Wahlkreis als Direktkandidatin haben. Ihr Gegenkandidat ist Oliver Wittke von der CDU, der schnelle Emporkömmling, der nach fünf Jahren als Oberbürgermeister bei der Kommunalwahl im vergangenen Herbst überraschend verlor und nun für Jürgen Rüttgers‘ Schattenkabinett gehandelt wird. Gebhards Einzugsgebiet ist der Gelsenkirchener Norden, in dem die Arbeitslosigkeit und Armut nicht ganz so schlimm sind wie im Süden der Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote in Westdeutschland. Gebhard will nicht über die Krise der Stadt reden. „Wir können viel“, sagt sie. Als Landtagsabgeordnete will sie über die NRW-Bank den Mittelstand fördern und offene Ganztagsgrundschulen in allen Stadtteilen einrichten. „Ich stehe für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt sie.

Heute wirbt Heike Gebhard im Kleingarten Horst Emscher, er ist 150 Jahre, die BesitzerInnen durchschnittlich halb so alt. Horst Emscher ist Heinz Kolbs zweites Zuhause. Mit seinem Korb, vollgestopft mit Werbe-Gladiolen und Visitenkarten, roter SPD-Jacke und SPD-Schirm winkt der kleine Mann Heike Gebhard eifrig zu, eilt zu ihrem roten Werbeauto. Seit zwanzig Jahren ist der frühverrentete Maurer Bezirksvorsitzender in Gelsenkirchen-Horst und versucht, die Leute in die Wahlkabine zu bugsieren. „Ich hole jeden persönlich ab“, sagt Kolb stolz, „von der Haustür bis zum Wahllokal“. So hat er in den letzten Jahren hunderte SeniorInnen kutschiert und bis zur letzten Minute für seine Partei geworben: „Ich kenn‘ nix anderes“, sagt er.

Mit seinem Korb kommt er Heike Gebhard kaum hinterher. Sie sagt, ohne Menschen wie Kolb könnte sie einpacken. Kolb hat auch den Schrebergarten ausgesucht. Ein Heimspiel für Gebhard. Es hat schon bei Thiessens im Garten begonnen. Gebhard verteilt ihre bunte Broschüre und ein paar Gladiolen. „Sie finden doch noch ein Plätzchen“, sagt sie. Gerhard Thiessen ist schon überzeugt. „Ich hoffe, datt für Euch alles in Ordnung geht“, sagt der pensionierte Verlademeister. Gebhard lobt die akkuraten Beete, die abgestochenen Rasenränder. Seine Frau Gisela kommt in Kittel hinterher gelaufen, krallt sich die Blumenzwiebeln. Sie wählt auch SPD, „datt is sozial.“ Aber die Grünen mögen Thiessens nicht. „Wie die schon aussehen, zum Gottserbarmen“, sagt sie kopfschüttelnd. Gebhard eilt schon weiter, Thiessens werden redselig. Eine Frau als Kandidatin findet sie gut, ihr Mann winkt ab. „Wo willse denn die Kinder hinpacken“, fragt Gerhard aufgebracht. Nä, sie hätte das nicht gedurft, fügt Gisela hinzu und lacht.

Heike Gebhard hat vier Kinder, ihr jüngstes ist elf Jahre alt. „Das ist kein Wahnsinn, sondern Organisation.“ An der Universität Duisburg-Essen ist sie Geschäftsführerin des Instituts für Geschlechterforschung. In Horst Emscher lässt sie diese Qualifikation lieber unter den Tisch fallen, in ihrem Flyer steht nur: „Leiterin einer Hochschuleinrichtung.“ „Ich kann vermitteln“, sagt sie. Dafür ackere sie ja seit 33 Jahren ehrenamtlich in der Partei. Schon als Schülerin trat Gebhard in die SPD ein. Als sie mitbekam, dass ein „wirklich dummer Mitschüler“ sich sein Abitur mithilfe von Nachhilfe und seinen reichen Eltern erkaufen konnte, „packte sie eine Riesenwut“, sagt sie. Seitdem will sie mit ihrer Partei gleiche Chancen für alle erreichen. Als eine der wenigen kämpfte sie gegen die so genannten Langzeitstudiengebühren, die die rot-grüne Landesregierung vor einem Jahr eingeführt hat. „Die Gebühren sind ein großer Fehler“, sagt sie.

Gebhards Aufstieg zur Landtagskandidatin ist eine Ausnahme: Nur knapp 30 Prozent der DirektkandidatInnen der SPD sind weiblich. Eine Frauenquote von 40 Prozent gilt nur für die Landesliste, obwohl die allermeisten SPD-Mandate an DirektkandidatInnen vergeben werden. Sie hätten keinen Einfluss auf die Wahl vor Ort, entschuldigt sich die Landespartei. Auch Gebhard will nichts von Schwierigkeiten wissen. Sie kam im ersten Wahlgang durch. „Das ist kein Problem“, sagt sie mit harter Stimme. Sie sei Diplommathematikerin und überzeuge mit ihrem Verstand. Und später dann nachdenklich: „Eigentlich hätte ich schon vor zehn Jahren Direktkandidatin werden sollen.“ Da verlor sie gegen den jetzigen SPD-Oberbürgermeister Frank Baranowski. So ganz trauen die Genossinnen ihren Genossen nicht: Die Wahl der beiden LandtagskandidatInnen in Gelsenkirchen fand zeitgleich statt. Damit die Männer nach der Wahl einer Frau nicht unbedingt einen Mann küren. Theoretisch. In der geheimen Wahl gewann im Gelsenkirchener Süden dann ein Mann.

Gerd und Lothar muss Gebhard nicht überzeugen. Die beiden sitzen in ihren Gartenstühlen, trinken ein Bier und hören WDR 4. Sie tragen Jogginganzüge, ihre Gesichtshaut ist gebräunt. „Wir kennen keine andere Partei, obwohl ihr viel Scheiße macht“, sagt Lothar. „Aber die anderen, die Schwatten, sind ja auch nicht viel besser.“ Ach, denen hätten sie doch einiges abgetrotzt, sagt Gebhard und erzählt von Kohlepolitik und Arbeitnehmerrechten. Die Angesprochenen können damit wenig anfangen, gucken in die Ferne, Gebhard verstummt. Für die beiden Rentner fängt ihre eigene Diskussion erst an. „Gerd, ich sach ett dir ja ungern, aber unser Geld ist alles zu Euch in den Osten geflossen“, poltert Lothar. „Och nö, der dicke Schweinehund hat uns doch ausbluten lassen“, sächselt Gerd aufgebracht. Einen schönen Tag, wünscht Gebhard und eilt weiter.

Schrebergärten sind Gebhards erste Adresse im Wahlkampf. „Wir wollen unsere Stammwähler motivieren, die CDUler kriegen wir doch sowieso nicht“, sagt sie. Fünfzehn Kleingärten wird sie in den Wochen bis zur Wahl am 22. Mai abklappern.

In Horst Emscher muss Gebhard wenig erklären, die meisten HobygärtnerInnen entpuppen sich als GenossInnen. Sie freuen sich über die Gladiolen und wünschen viel Glück. Bei der letzten Wahl sei das noch anders gewesen, sagt Gebhard, 2000 seien sie oft beschimpft worden.

Nicht alle Menschen hat Gebhard auf Horst Emscher in der Tasche. Drei Männer sitzen am Vereinsheim um einen Holztisch, nuckeln schweigend am Maternusbier. Sie tragen Jeans und Strickjacken. Neben ihnen döst ein schwarzer Labrador.Gebhard will ihre Gladiolen verschenken. „Wir haben keinen Garten mehr, wir haben nix. Wegen Euch!“, ereifert sich einer mit Schirmmütze. Gar nichts mehr, nichts, nichts, murmeln die beiden Anderen. „Vielleicht pflanzt ihr sie auf den Balkon“, sagt Gebhard kleinlaut. „Haben wir auch nicht mehr“, brüllt er zurück. „Oder in einen Topf“, flüstert sie und geht zum Ausgang.