: Medienkritik
1. Mai = Randale
Das hat den Krawalljungs aus dem Springer-Hochhaus wohl ganz gut gepasst: Ausgerechnet 200 Meter vor ihrem Fenster haben Linksradikale am Sonntagabend einen Opel Corsa umgekippt. Damit produzierten sie die Bilder, auf die die Hauptstadtpresse gewartet hat. Denn mehr noch als irgendwelche Krawallos gierten die Zeitungen nach Randale – und verpassten deshalb die Nachricht des Tages: Erstmals seit 1987 bleibt es durch jede Menge Bürgersinn, eine kluge Polizeitaktik und die Einbindung von Jugendlichen fast völlig gewaltfrei. Ja, friedlich! Die Autoszene machte deutlich, wie sehr sich die Erwartungshaltung „1. Mai = Randale“ bei den Journalisten in den vergangenen Jahren eingeschliffen hat. Da drehen vielleicht fünf Typen ein Auto aufs Dach und 20 bis 30 Typen fotografieren. „Um 19.16 Uhr kippten Chaoten das 1. Auto um“, schlagzeilte die B.Z. und suggeriert damit, dass weitere folgten. Das war nicht der Fall. Deshalb verbannte das Blatt den 1. Mai auf Seite 6; auf den Fotos kommt das Myfest mit 15.000 friedlichen BesucherInnen nicht, im Text nur mit zwei Zeilen vor. Die Bild-Polizeireporter konnten um 19.25 Uhr Vollzug melden. Dann nämlich „flog der erste Stein am Oranienplatz“. Eine Fotoseite widmet das Blatt dem Corsakippen und den wenigen Vorfällen in der Walpurgisnacht und fragt erprobt heuchlerisch: „Warum endet dieser wunderschöne Tag immer mit Krawall?“ Die „Chaoten“ und „betrunkenen Punks“ kriegen so viel Raum wie die Politikberichterstattung In- und Ausland (Seite 2), das Myfest-Foto ist nicht mal bierdeckelgroß. Doch auch die Abonnementzeitungen taten sich schwer. „Der Mai begann in Berlin mit friedlichen Demonstrationen und Straßenfesten, aber auch mit Krawall“, beginnt der Tagesspiegel seinen Text dialektisch. Er entlarvt ferner im Kommentar die Parolen der 1. Mai-Revoluzzer als gestrig – eine These, der diese Zuschreibung noch schmeichelt. Die Morgenpost breitet die „Logik der Gewalt“ auf zwei Seiten aus. Zwar ist in Texten vom „Tag der Gegensätze“ die Rede, doch in den Bildern dominiert Randale, ebenso im Lokalteil der belieferten Welt. Text-Bild-Schere nennen Journalisten das. US