Trutzburgen des Rechthabens

Schriften zu Zeitschriften: Die „Vorgänge“ behandeln die Krise des Journalismus

Angenommen, der neue Papst wäre einem gleichgültig. Angenommen, die neue Kapitalismuskritik oder der Visa-Untersuchungsausschuss wären folgenlose politische Spektakel. Wer wäre schuld daran, dass man diesen Themen überhaupt so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat? Vielleicht die Medien?

Die neue Ausgabe der Zeitschrift Vorgänge (1/2005) widmet sich der Krise des Qualitätsjournalismus. Doch allzu viel kulturpessimistisches Verfallsgeschrei will man hier gar nicht anstimmen. Denn Medienkritik vom kontemplativen Hochsitz, wie sie noch in den Fünfzigerjahren der Philosoph Günther Anders geübt hatte, als er im unkritischen Fernsehkonsum einen „Weltverlust“ witterte, scheint heutzutage passé. „Paternalistische Verblendungskritik“ nennt das die Düsseldorfer Philosophin Simone Dietz: „Wenn zumindest der Kulturkritiker in der Lage ist, sich dem suggestiven Schein der Fernsehbilder zu entziehen, dann muss das als Beleg dafür genommen werden, dass nicht das Medium Fernsehen selbst die Verblendung diktiert.“ In ihren kognitiven Zugriffsmöglichkeiten auf die Welt lassen sich Medienkritiker und Rezipienten also kaum unterscheiden.

Daher kann auch nicht wirklich beruhigen, wenn der Vorgänge-Redakteur Alexander Cammann abwägend feststellt, dass sich parallel zur unaufhaltsamen Trivialisierung der Medienwelt inzwischen ja auch die Zugangsmöglichkeiten zu hochwertigem Wissen ernorm verbessert hätten. Diese gegenläufigen Tendenzen begreift Cammann als „Indizien für reale gesellschaftliche Spaltungsprozesse zwischen bildungsorientierten Medieneliten und zappenden Dauerkonsumenten“. Doch muss man nicht bezweifeln, ob diese allzu selbstsichere Abgrenzung einer mündigen Elite vom Infotainment-Proletariat der Zapper und Konsumenten so ganz der Realität entspricht?

Die Krise der Medien sei nämlich zugleich eine Krise der Medienkritik, meint der Frankfurter Publizist Gottfried Oy. Zwar träfe die ökonomische Krise des Anzeigenmarktes in erster Linie die etablierten Printmedien, doch hätten die Medien der kritischen Gegenöffentlichkeit gleichermaßen mit den veränderten Nutzungsgewohnheiten ihrer Rezipienten zu kämpfen. Oy konstatiert eine „zunehmende Aufsplitterung von Interessen und Wünschen der Leser, die das Medium Zeitung nicht mehr erfüllen könne“. Dies betreffe auch die Gegenöffentlichkeit: „Soziale Bewegungen sind weggebrochen; ihre Medien laufen Gefahr, zu bloßen Vereins-Mitteilungsblättern oder publizistischen Trutzburgen des Rechthabens zu werden.“ Inzwischen habe man sich aber von einem „emanzipatorischen, rein auf Aufklärung bedachten Mediengebrauch“ verabschiedet und sei zum „taktischen Mediengebrauch“ des „agenda setting“ übergegangen.

Es gibt aber auch noch andere Probleme. So warnt der SWR-Fernsehreporter Thomas Leif vor dem ernorm gewachsenen Einfluss der PR-Industrie, zu der „die meisten Journalisten ein naives, unkritisches Verhältnis pflegen“ und in ihrem branchenüblich gewordenen Zeitdruck gerne weiterverkauften, was ihnen zuvor als druck- und sendefertig aufbereitete Schleichwerbung angedreht wurde. Inzwischen basierten fast zwei Drittel der Berichterstattung auf „offiziellen Verlautbarungen, Pressekonferenzen, Pressemitteilungen und anderen PR-Quellen“. Kein Wunder: Die PR-Industrie erweist sich in der von Arbeitslosigkeit geprägten Branche als die einzige zuverlässige Jobmaschine. Die Grenzen sind fließend geworden – und das, obwohl sich Leif zufolge der Journalismus doch zur PR verhalten müsse „wie der Teufel zum Weihwasser“. Womit er Recht hat. JAN-HENDRIK WULF

Vorgänge, 1/2005, 12 Euro