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Archiv-Artikel

„Das ‚Gesetz‘ macht die Gesellschaft“

ARBEITSBEDINGUNGEN Die Journalistin Melissa Monteiro jobbte undercover als Kellnerin auf einem Kreuzfahrtschiff

Melissa Monteiro

■ 35, Journalistin und Filmproduzentin. Sie hat als Kellnerin auf einem Kreuzfahrtschiff undercover gearbeitet, ausgestattet mit einer Knopfkamera. Ihr TV-Dokumentarfilm lief unter dem Titel „Kreuzfahrt undercover“. www.wdr.de/mediathek/html/regional/2012/01/10/wdr-weltweit.xml

INTERVIEW GÜNTER ERMLICH

sonntaz: Warum verschweigen Sie in Ihrem Film, auf welchem Schiff und für welche Reederei Sie undercover als Kellnerin gearbeitet haben?

Melissa Monteiro: Mich interessierten die Leute, nicht die Kreuzfahrtgesellschaften.

Vor Arbeitsbeginn mussten Sie in Vorleistung gehen: 150 Euro für Arbeitskleidung, 250 Euro Provision für die Vertragsunterzeichnung, 1.000 Euro für Trainingskurse wie Bedienen, Leben an Bord, Sicherheit. Ist das normal, wenn man auf einem Schiff anheuert?

So viel muss man mindestens aufwenden, wenn man sich bei einer Reederei bewirbt und eingestellt werden will. Einige Gesellschaften verlangen, dass die Angestellten den Flug im Voraus bezahlen, um zum Schiff zu stoßen, egal wo es auf der Welt gerade kreuzt. Noch ein Beispiel: Arbeitskräfte aus Indien zahlen sieben oder achte Monatslöhne an Dritte, an Vermittlungsagenturen, die ihnen „helfen“, den Job zu kommen. Zahlen sie nicht, bekommen sie den Job nicht.

Wie viel haben Sie als Kellnerin verdient?

Etwa 1.000 Euro im Monat. Ich habe sieben Tage die Woche gearbeitet, 12 bis 14 Stunden täglich. Macht etwa 2,50 Euro die Stunde. Beim Servicepersonal ist das einer der bestbezahlten Jobs.

Schildern Sie Ihren Tagesablauf?

Eine typische Tagesschicht sah so aus: 8 bis 13 Uhr Arbeit, 13 bis 16 Uhr Pause, 16 bis 19 Uhr Arbeit, eine Stunde Pause, Arbeit von 20 bis 1 oder 2 Uhr in der Nacht, bis die Bar schließt. Also zwei Stunden Schlaf tagsüber und vier Stunden nachts – aber ich brauchte auch Zeit, um mich zu duschen, zu essen. Schlaf- und Ruhephasen waren also sehr kurz. Zeit war kostbar.

In Ihrem Film prangern Sie die ausbeuterischen Löhne an. Aber es gibt ja nicht nur die Geringstverdiener unter Deck, sondern auch die Deck-Crew der Offiziere und das Service-Personal im Hotelbereich.

Offiziere sind die Ausnahme: sie haben bessere Kabinen auf den Decks sieben bis zehn, also weit weg vom Maschinenraum. Sie haben bessere Gehälter, werden in Euro oder US-Dollar bezahlt, je nach der Herkunft der Reederei des Schiffs. Sie haben eine Sozialversicherung, einen Achtstundentag und Arbeitsplatzsicherheit. Dagegen haben die übrigen Besatzungsmitglieder keine Sozialversicherung. Die Löhne variieren zwischen 400 und 1.500 US-Dollar, sie werden nur in US-Dollar bezahlt.

Für Hilfskräfte aus Entwicklungsländern kann ein 400-Dollar-Job doch durchaus attraktiv sein, oder?

Ja, 400 US-Dollar sind in Entwicklungsländern in Asien, Afrika und Südamerika eine Menge Geld. Deshalb lassen sich Menschen aus diesen Ländern auch auf die knochenharten Bedingungen an Bord ein.

Warum ist es so schwierig, bessere Arbeitsbedingungen und Löhne auf See durchzusetzen?

Es gibt kein Gesetz – das „Gesetz“ macht die Gesellschaft. Um Kosten zu sparen, fahren die meisten Schiffe unter der Flagge von Steuerparadiesen wie zum Beispiel Panama. Daher ist es fast unmöglich, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Dazu kommt natürlich das andere „Gesetz“: das von Angebot und Nachfrage: Es gibt viel mehr Menschen, die für die Kreuzfahrtunternehmen arbeiten wollen, als freie Stellen.

Wie sieht Ihr Fazit als Crew-Mitglied aus?

Es ist ein Mikrokosmos, wo man gezwungen ist, sehr schnell zu lernen, wie man sich einrichtet und überlebt, weil alles Wichtige im Leben so unerreichbar und weit entfernt ist. Die Menschen geben sich so, wie sie sind, weil sie keine andere Wahl haben. Alle großen Gefühle kommen raus: Heimweh, Trauer, Tränen, Ängste. Man lernt, wie man fast mit nichts leben kann, und erkennt den wahren Wert der Dinge, die man zu Hause lassen musste.

■ Eine längere Fassung des Interviews finden Sie auf taz.de