Bedroht von der Fülle des Lebens

INTERVIEWS Die Schriftstellerin Miranda July beweist in ihrem neuen Buch „Es findet dich“ großes Talent, tragikomische Geschichten aufzuspüren

In Miranda Julys Filmen und Erzählungen starren die Menschen oft verträumt in die Luft und sind nicht besonders entscheidungsfreudig, es sei denn, es geht um Ausbrüche einer spontanen Lust oder Idee, die nachher niemand mehr versteht, am wenigsten sie selbst. Das kann die Adoption einer pflegebedürftigen, sterbenskranken Katze sein, für die man seinen Beruf aufgibt, oder eine spontane Liebe zu einem Schuhverkäufer, der einem ein paar rosarote Schuhe verkauft hat, die nicht passen.

July zeichnet diese Figuren auf teilnehmende Weise, ohne sie auf ihrer Suche nach Anerkennung und Liebe voranzutreiben. Sich das anzusehen oder durchzulesen bringt Spaß, solange es ihr gelingt, die Personen durch einen absurden Dreh in der Handlung vor der niedlich-kitschigen Belanglosigkeit zu retten.

Ein Manko dieser Geschichten war bislang allerdings manchmal, dass sie arg konstruiert wirkten, so als hätte July alle Spleens und Neurosen, die ihr untergekommen sind, gesammelt, um sie auf den Charakter einer einzigen Person zu projizieren. In ihrem neuen Buch, „Es findet dich“, einem Interviewband, in dem July mit verschiedenen Menschen Gespräche über deren Leben führt, findet sich nun ein entscheidender Unterschied zu diesem Konzept: Da geht es plötzlich nicht mehr um erfundene Figuren.

„Es findet dich“ schrieb Miranda July parallel zum Drehbuch ihres zweiten Films, „The Future“. Jeden Mittwoch suchte sich die Autorin Anzeigen aus dem PennySaver heraus, einem Magazin mit Kleinanzeigen von Leuten aus der Nachbarschaft. Die Verkaufsangebote führten sie zu Menschen, die sie oft gar nicht mehr gehen lassen wollten, so froh waren sie, dass sich einmal jemand ihre Geschichten anhören wollte.

Dabei trifft sie auf Personen, aus deren Lebenswirklichkeiten nichts Skurrileres als unendliche Einsamkeit spricht. Es sind Menschen, die sich Schaufensterpuppen in ihre Zimmer stellen oder sich aus Zeitschriften Collagen aus Babyfotos und Models basteln, um sie an ihre Wand zu pinnen. July bedient auch das voyeuristische Bedürfnis ihrer Leser, wenn sie ihre Gespräche noch durch Fotos von den Menschen und ihren Wohnungen ergänzt.

Für ihre Treffen hat July als thematischen Schwerpunkt die Frage gewählt, warum Menschen im digitalen Zeitalter noch Kleinanzeigen in einer Zeitung veröffentlichen. Die Gespräche führen jedoch meistens am eigentlichen Gegenstand vorbei oder lenken zumindest in eine komische Richtung. So im Gespräch mit der Tierzüchterin Beverly: „Miranda: Erzählen Sie mal von früher. Beverly: Ich habe mit einem Weibchen angefangen. Miranda: Okay. Und woher stammen sie selbst?“

July trifft die Rentnerin Pam, die sich keinen Urlaub leisten kann und sich deswegen alte Urlaubsfotoalben von fremden Menschen kauft, oder Ron, der ein 67-teiliges Hobbymalset verkaufen will und im Gespräch seine elektronische Fußfessel offenbart, um im nächsten Atemzug von seiner großen Liebe zu einer Frau zu erzählen, die „sehr viel älter“ war als er selbst.

Die Geschichten selbst sind stark. Weniger notwendig wären Julys Reflexionen über „das Leben an sich“ gewesen, die sich zwischen den einzelnen Treffen finden: „Er war derjenige, dem gegenüber ich mich am deutlichsten, auf eklige Weise privilegiert fühlte. Wenn ich mich nur noch unter Menschen bewegte, die wie ich waren, würde ich mich wieder normal fühlen dürfen, un-eklig. Was ich nun auch nicht ganz richtig fand. Daher entschied ich, dass es okay war, sich eklig zu fühlen.“

Dass diese Ergüsse nicht nötig gewesen wären, hat die 1974 geborene Autorin selbst schon gut erkannt, wenn sie über eine der Personen festhält: „Die Fülle ihres Lebens empfand ich als Bedrohung, es gab darin keinen Raum für freie Erfindung, keinen Raum für die aus den Fingern gesogenen Geschichten, die mir das Gefühl gaben, gebraucht zu werden – oder überhaupt irgendein Gefühl.“

Anstelle der Erfindung wird in „Es findet dich“ eine anderes Talent Julys deutlich: tragikomische Geschichten aufzuspüren, aus denen die Melancholie von Menschen spricht, die sich nicht mehr hinter einem alltäglichen Leistungsethos verstecken, sondern die Sinnlosigkeit ihres Lebens mit den absurdesten Dingen kompensieren. Das Lebensechte dieser Menschen hatte im Gegenzug eine nachteilige Wirkung auf Julys Drehbuch, bei dem sie sich in einer Art Schreibblockade befand: „Ich saß hier in meiner kleinen Höhle und versuchte, aus dem Nichts etwas herauszuquetschen.“

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass es letztendlich eine dieser Personen in Julys Film schaffte, der 80 Jahre alte Joe, der seit den 62 Jahren seiner Hochzeit jedes Jahr zu verschiedenen Anlässen humoresk-sexuell aufgeladene Gedichte an seine Frau schreibt. Seine Geschichte überstrahlt die der von July in „The Future“ erfundenen Figuren um ein Vielfaches. ELISABETH FORSTER

 Mirandy July: „Es findet dich“. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Diogenes, Zürich 2012, 224 Seiten, 22,90 Euro