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Archiv-Artikel

Bundesliga-StartJetzt geht’s lo-os!

Am Freitag wird die Fußball-Saison mit dem Spiel Wolfsburg gegen Stuttgart eröffnet. Die vier Nordvereine im ÜberblickHANNOVER 96 Die „Schießbude der Liga“ hat schon wieder Watschen kassiert, bevor die Bundesliga-Saison überhaupt begonnen hat

Mit einer Woche „zum Vergessen“ (Trainer Dieter Hecking) hat sich Hannover 96 für die neue Saison nicht gerade empfohlen. Es gab Pfiffe der eigenen Fans im Testspiel gegen Arsenal London (0 : 1). Es gab dieses peinliche 1 : 2 gegen Siebtligist FC Anker Wismar. Und es gab das bittere Aus im DFB-Pokal beim Regionalligisten Eintracht Trier (1 : 3). Wer die vergangene Saison mit dem Spitznamen „Schießbude der Liga“ beendet hat und in diesem Stil gleich weitermacht, muss damit leben, dass schon vor dem morgigen Erstliga-Start bei Hertha BSC Berlin grundsätzliche Fragen gestellt werden, etwa: Ist Hecking noch der richtige Trainer?

Nach mehreren Krisensitzungen, in denen der neue 96-Sportdirektor Jörg Schmadtke die Spieler an ihre Pflichten als hochbezahlte Arbeitnehmer erinnern musste, gibt es im hannoverschen Trainingsbetrieb derzeit nur junge Männer ohne Selbstvertrauen zu bestaunen. Dass Schmadtke sich ständig zu der Frage äußern muss, ob Hecking noch das Vertrauen der Mannschaft genießt, ist bei 96 keine Majestätsbeleidigung, sondern Alltag. „Ich habe nicht den Eindruck, dass es in unserer Mannschaft nicht stimmt. Vielleicht liegt es an der Qualität auf dem Platz“, meint 96-Kapitän Robert Enke, der Hannover seit fünf Jahren mit guten Paraden und der Fähigkeit zur Selbstkritik beglückt. Der 31-Jährige ist aber in einem Verein zum Nationaltorhüter aufgestiegen, bei dem Anspruch und Wirklichkeit ein großes Problem miteinander haben.

Präsident Martin Kind hat festgelegt, dass ausschließlich ablösefrei zu habende Spieler verpflichtet werden dürfen. Gleichzeitig die Eintrittspreise anzuheben und zu hoffen, dass Neuzugänge wie Karim Haggui und Valdet Rama (FC Ingolstadt) für Begeisterungsstürme auf den Zuschauerrängen sorgen, ist recht verwegen. Da überrascht es nicht, dass kurz vor dem Saisonstart wieder über die Rückkehr von Jan Simak diskutiert wird. Der Tscheche genießt dank seiner vielen Dribblings und schönen Tore Kultstatus an der Leine. Leider verdient er sein Geld in Stuttgart. Und der VfB möchte eine Ablösesumme. CHRISTIAN OTTO

HAMBURGER SV Für Vorstandschef Bernd Hoffmann könnte die Saison entscheidend sein – er will sein Werk gekrönt sehen

Bernd Hoffmann war einkaufen: David Rozehnal (Lazio Rom), 29 Jahre alt, Innenverteidiger, fünf Millionen Euro Ablöse, Vertrag bis 2012; Marcus Berg (FC Groningen), 22, Mittelstürmer, zehn Millionen, bis 2014; Eljero Elia (FC Twente Enschede), 22, Mittelfeld, neun Millionen, bis 2014; Robert Tesche (Arminia Bielefeld), 22, Mittelfeld, eine Million, bis 2012; Zé Roberto (FC Bayern München), 35, Mittelfeld, ablösefrei, bis 2011.

Macht zusammen 25 Millionen Euro – erheblich mehr als die 16, höchstens 17 Millionen, die der Hamburger SV übrig hatte. Der HSV-Vorstandsvorsitzende Hoffmann riskiert etwas, weil er unter Zugzwang steht: Mitte Juli hatte sich gezeigt, dass ein großer Teil des Vereins mit der Trennung von Sportchef Dietmar Beiersdorfer nicht einverstanden, die Stimmung schlecht und das Misstrauen gegenüber dem Aufsichtsrat groß ist.

Hoffmann braucht Erfolg. Er ist seit 2003 im Amt und will endlich einen Titel, um seine Arbeit beim HSV zu krönen. Diese Mannschaft soll ihn mit Trainer Bruno Labbadia holen.

Es sind eine Menge Fragen offen: Spielt Rozehnal oder Jerôme Boateng als Innenverteidiger neben Joris Mathijsen? Boateng, der U-21-Europameister, hat die besseren Karten. Spielt Dennis Aogo linker Außenverteidiger oder Marcell Jansen, den Labbadia nicht im Mittelfeld sieht? Und was wird aus dem Stürmer-Eigengewächs Tunay Torun? Dem 19-Jährigen versprachen die Trainer Huub Stevens und Martin Jol eine große Zukunft, aber eine Chance gaben sie ihm nicht.

Der HSV hat zwei wichtige Spieler abgegeben: Zu Bayern München ging Ivica Olic, der Torschütze, Dauerläufer und Zweikämpfer; Ajax Amsterdam bekam Thimothee Atouba, den Künstler. Bemerkbar machen wird sich das Fehlen des Planers und Strategen Dietmar Beiersdorfer. Nachfolgekandidaten sind da, sie heißen Oliver Kreutzer, Stefan Reuter und Bernd Wehmeyer, für den die örtlichen Springer-Blätter werben. Das erhöht den Druck auf Hoffmann: Für ihn ist die anstehende Saison vielleicht die letzte Chance. ROGER REPPLINGER

WERDER BREMEN will sich mit Bordmitteln aus dem Mittelmaß der vergangenen Saison befreien. Das ist nicht ohne Risiko

Wer in den letzten Tagen einen Blick in das Weserstadion geworfen hat, kann sich kaum vorstellen, dass hier ab Samstag Fußball gespielt wird. Die Westkurve, in der unter anderem 1.800 Gästefans gegen Eintracht Frankfurt Platz finden sollen, ist eine offene Großbaustelle. Auch das Mannschaftsgefüge hat sich in der letzten Bundesliga-Saison auf mehreren Positionen akut renovierungsbedürftig gezeigt. Doch ist der Wiederaufbau hier etwas weiter fortgeschritten.

Das Mittelfeld, in das durch die Abgänge von Diego und Frank Baumann die größten Lücken gerissen wurden, hat mit Leitwolf Torsten Frings und Rückkehrer Tim Borowski ein stabiles Fundament, auf dem die Dribbelkünstler Marko Marin und Mesut Özil sich austoben können. Dabei wirft Werder nach Jahren das Modell „Raute“ über Bord und wird mit einer „Doppelsechs“ agieren, also zwei defensiven Mittelfeldspielern und zwei offensiven, die ihre Aktionen über die Außenpositionen einfädeln. Das System steht oder fällt damit, ob die beiden U21-Europameister Marin und Özil es schaffen, kontinuierliche Topleistungen zu bringen.

Gar nichts passiert ist im Sommer auf der Dauerbaustelle Außenbahn. Hier setzt die sportliche Leitung komplett auf einen Leistungsschub der noch sehr jungen Sebastian Boenisch und Martin Harnik, sowie einem Formanstieg der erfahrenen Kräfte Clemens Fritz und Petri Pasanen. Auch im Prunkstück Innenverteidigung wird es eng, wenn einer der beiden Pfeiler ausfällt, wie Naldo möglicherweise gegen Frankfurt. Da Allrounder Baumann auf dieser Position nicht ersetzt wurde, ruhen alle Hoffnungen auf einer Leistungsexplosion von Sebastian Prödl.

Das größte Loch klafft jedoch im Angriff. Da das Warten auf Claudio Pizarro kein Ende nehmen will, baut Trainer Thomas Schaaf auch hier auf den Durchbruch vertrauter Namen wie Boubacar Sanogo und Hugo Almeida. Diese Strategie ist sympathisch – ohne Risiko ist sie nicht. RALF LORENZEN

VFL WOLFSBURG Obwohl der neue Trainer auf die alte, meisterliche Mannschaft setzen kann: Den Titel zu verteidigen, wird schwer

Das Wichtigste haben die Wolfsburger geschafft: Die Meistermannschaft ist noch da. Auch Edin Dzeko, der bosnische Nationalspieler, mit 26 Toren in der vergangenen Saison fast so erfolgreich wie Grafite (29 Tore). Dzeko wäre gerne zum AC Mailand gegangen, bekam aber keine Freigabe und unterschrieb nun bis 2013. Grafite verlängerte bis 2012. Dagegen ist der Trainer, Manager und Geschäftsführer in Personalunion weg. Armin Veh, 48, kam nach Wolfsburg, weil Felix Magath, 56, zum FC Schalke 04 ging.

Wolfsburg investierte, angesichts der Herausforderung Champions League, in die Breite des Kaders. Fürs Mittelfeld kamen für 3,7 Millionen Euro der 26-jährige Thomas Kahlenberg (AJ Auxerre) und Karim Ziani, ebenfalls 26, für fünf Millionen von Olympique Marseille. Von Newcastle United kam Stürmer Obafemi Martins, 24, der einen Vertrag bis 2013 bekam. Über die Modalitäten wurde Stillschweigen vereinbart. Martins war 2006 für 15 Millionen Euro von Inter Mailand zu Newcastle gewechselt.

Veh ändert nicht das taktische Grundkonzept der Mannschaft, die Raute. Josué als defensiver Mittelfeldspieler, Zvjezdan Misimovic als offensiver. Und ändert doch alles: Er will statt langen Pässen kurze Pässe sehen. Er will mit drei offensiven Spielern in der Raute agieren. Was Nationalspieler Gentner links schaffte, soll nun Ziani auch rechts tun: Dem Gegenspieler davonlaufen, kreuzen, rochieren, die Seiten wechseln, den Gegner verwirren, Tore vorbereiten und schießen.

Bei einem so offensiven Mittelfeld wird es darauf ankommen, wie viel Kraft die Spieler für die Defensivarbeit haben. Ganz ohne Defensivarbeit im Mittelfeld ist die Abwehr überlastet, wie sich in einigen Vorbereitungsspielen zeigte. Entscheidend wird sein, wie die Mannschaft den kraftraubenden Stil der vergangenen Saison verkraftet hat. Den Titel zu verteidigen, wird schwer. Die Doppelbelastung mit Liga und League, englische Wochen über Monate, ist das Team nicht gewohnt. Entwickelte es sich fußballerisch weiter, wäre das schon ein großer Erfolg. ROGER REPPLINGER