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Archiv-Artikel

Seide fürs japanische (!) Imperium

GRUSELIGE MISCHWESEN AM WANNSEE Eine entspannte Lesung der amerikanischen Autorin Karen Russell in der American Academy

U. hatte gefragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Lecture von Karen Russell zu besuchen. Die Kurzgeschichten und das Romandebüt „Swamplandia!“ (2011) der 30-jährigen Autorin wurden auch in Deutschland gut besprochen. Seit Januar lebt sie in Berlin als Stipendiatin der American Academy und ist außerdem Professor of Creative Writing.

Ich glaube, U. war das „Professor of Creative Writing“ in der Verbindung mit „Lecture“ aufgefallen. Da er wusste, dass ich aus verschiedenen Gründen (Billardspielen, Geburtstagfeiern) mit einem Buch hinterherhinke, hatte er wohl gedacht, die Veranstaltung würde mich in meiner stotternden Veröffentlichungspraxis voranbringen.

Am Nachmittag hatte ich also ein paar Kurzgeschichten und Interviews mit der Autorin gelesen. Während ich auf die S-Bahn wartete, stellte ich mir ein Gespräch vor. Ich würde mich vorstellen und dann sagen „Und außerdem, I just like to hang around and burning one with my homies“ und wie wir dann über „Breaking Bad“ sprechen würden, weil das „burning one with my homies“ ja ein Zitat aus „Breaking Bad“ ist und es außerdem Gerüchte gibt, wonach HBO „Swamplandia!“ in einer Miniserie verfilmen möchte.

Das Hans Arnhold Center am Wannsee ist ziemlich edel. Seit 1998 ist es die Heimat der American Academy. Zunächst fühlt man sich ein bisschen eingeschüchtert und underdressed. Das legt sich dann im Gespräch mit Malte Mau, auch weil der Pressesprecher auf die gleiche Schule wie ich gegangen ist.

Ungefähr sechzig Leute – unter ihnen die anderen elf Fellows der Academy – sitzen im Saal. Andrew Gross, Professor für amerikanische Literatur, hebt die lustigen Meriten der Autorin hervor – die Zeitschrift New Yorker zählt sie zu den besten 20 amerikanischen Autoren unter 40, andernorts läuft sie unter den fünf besten Autoren unter 35. Erst kommt es mir vor, als wenn Andrew Gross so aussieht wie Kevin Kuhranyi, dann doch eher wie Ali G. in Fifa 08. Aber beides stimmt nicht.

Russel wirkt ein bisschen mädchenhaft und im Wortsinne freundlich. Sie liest Passagen aus einer fantastischen Kurzgeschichte, an der sie gerade arbeitet. Die Geschichte spielt Ende des 19. Jahrhunderts in Japan. Es geht um Frauen, eigentlich Mischwesen aus Seidenraupen und Frauen, die in einer Fabrik die beste Seide der Welt fürs japanische Imperium spinnen. Ganz allmählich verwandeln sich die Heldinnen in Seidenraupen. Alles ist total gruselig, weil es so anschaulich und körpernah geschrieben ist. Russel liest so, dass ihre Stimme sehr gut zur Geltung kommt, dass man ihr endlos zuhören könnte.

Ich verstehe nur die Hälfte. Der Intelligenztest im Internet neulich, wo ich auf einen IQ-Wert von 80 kam, hatte wohl doch recht gehabt. Dennoch ist es schön, ihr zuzuhören; vielleicht weil sich die Fremdheit der Geschichte mit dem plötzlichen eigenen, sprachlichen Fremdheitsgefühl verbindet.

Später sprechen Gross und Russell über fantastische Literatur: Kafka, Calvino und ihre eigenen Sachen; über Kinder im fantastischen Genre, Geisterhäuser, Monster, die im eigenen Körper wohnen. Erzählstrategien, Gefühlsökonomien, Dekontextualisierungen. „I like the word the fantastic so much“, sagt Russell. Manchmal muss sie lachen.

Die Veranstaltung und die Gespräche, die sich anschließen, sind super entspannt. Ich erzähle Russell, dass ich vieles nicht verstanden habe, vergesse aber das „Breaking Bad“-Zitat. Am nächsten Tag schickt sie mir die gelesenen Passagen. Es ist sehr schön, sich so langsam einem Text zu nähern. DETLEF KUHLBRODT