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Archiv-Artikel

Zwei Wahrheiten im Fall Calipari

Der italienische Bericht über den Tod des Geheimdienstagenten in Bagdad weist den US-Report in allen relevanten Punkten zurück. Letzterer liegt inzwischen auch ohne geschwärzte Stellen vor – dank einer einfachen Computeroperation

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Hat nun der amerikanische Maschinengewehrschütze Mario Lozano draufgehalten, weil er im dunklen Bagdad voller Angst an seine kleinen Töchter dachte – oder ist der am Steuer sitzende italienische Geheimdienstmann Andrea Carpani achtlos auf den Kontrollposten zugerast, weil er durchs Handy abgelenkt war?

Mit der Vorlage des italienischen Berichtes zum Tode des italienischen Agenten Nicola Calipari am 4. März in Bagdad, unmittelbar nach der Befreiung der Journalistin Giuliana Sgrena, liegen alle verfügbaren Informationen zu dem Vorfall vor. Am Wochenende war es bereits einem jungen Italiener mit einer simplen Computeroperation gelungen, alle Schwärzungen aus dem amerikanischen Rapport zu entfernen: Er hatte den Text einfach aus der Website kopiert und dann in ein Word-Dokument eingefügt – und alle vorher geschwärzten Stellen waren plötzlich in Klartext zu lesen. Deshalb ist jetzt die Zusammensetzung des 10-köpfigen US-Kommandos an der „Blocking Position 541“ ebenso bekannt wie die Namen des Schützen und des zweiten italienischen Agenten.

Nicht bekannt ist aber weiterhin der präzise Ablauf: Zwei Wahrheiten, die einander diametral widersprechen, liegen jetzt vor. Der italienische Bericht weist die US-Rekonstruktion – die Italiener seien schuld, weil sie die US-Kommandos über die Fahrt nicht informiert und zu schnell auf den Kontrollposten zugefahren seien – in allen relevanten Punkten zurück. Zunächst einmal halten die Italiener fest, dass nach den Todesschüssen keine Tatortsicherung und Spurenaufnahme erfolgt sei. Deshalb gibt es nur die Zeugenaussagen. Fest steht für die Italiener: „BP 541“ war als Kontrollposten direkt hinter einer Kurve aufgebaut; in der Dunkelheit war er nicht zu erkennen.

Die US-Soldaten hatten zudem – wegen der Kurve – den Wagen erst bei einem Abstand von etwa 120 Metern im Blick, während die Linie, ab der „Feuer frei“ galt, bei etwa 70 Meter Entfernung von der Streife lag. Keine Zeit gab es deshalb selbst bei moderater Geschwindigkeit, ein sichtbares Haltegebot zu erteilen. Dennoch: Der italienische Wagen sei mit moderater Geschwindigkeit gefahren, er habe ja die 90-Grad-Kurve, die zudem unter Wasser stand, bewältigen müssen. Als der Wagen auftauchte, habe – so der italienische Bericht – Mario Lozano eine, maximal zwei Sekunden Zeit gehabt; nach eigner Zeugenaussage habe er an seine kleinen Töchter gedacht – und abgedrückt.

Verantwortlich für den Tod Caliparis ist in dieser Sicht der Dilettantismus der US-Einheit, die aus Reservisten bestand. Deshalb habe es auch nichts genützt, dass die US-Kommandos sehr wohl von der Mission Caliparis in Bagdad wussten: Calipari hatte am Nachmittag einen Passierschein erhalten, und 20 Minuten vor den Todesschüssen hatte er im Flughafen angerufen, um die Ankunft seines Fahrzeugs anzukündigen. Eine spezifische Information sei im Übrigen in Bagdad gar nicht üblich: „Es wäre ziemlich merkwürdig, wenn man behaupten wollte, dass ein US-Kontrollposten nur dann in Sicherheit passiert werden kann, wenn dieser Tatbestand vorher den militärischen Kommandos mitgeteilt (…) wird; dies läuft unter anderem auf das Eingeständnis der diesen Kontrollposten innewohnenden Gefährlichkeit für jeden, der ihnen begegnet, hinaus.“

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