: Chimären aus dem Labor
Göttinger Stammzellforscher kreieren Mischwesen aus Mensch und Tier. Hier werde eine ethische Grenze überschritten, warnt der Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, Spiros Simitis. Er hält diese Experimente für „absolut inakzeptabel“
VON WOLFGANG LÖHR
Harsche Kritik musste sich der Biochemiker Ahmed Mansouri aus Göttingen diese Woche von berufener Seite anhören. Die Stammzellexperimente, die der Professor dort seit drei Jahren am Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie durchführt, seien „absolut inakzeptabel“, sagte der Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, Spiros Simitis, gegenüber dem Spiegel. In seinen vom Berliner Robert-Koch-Institut genehmigten Experimenten überträgt der Göttinger Professor menschliche embryonale Stammzellen in das Gehirn von Affen. Kritiker befürchten, dass so Mischwesen aus Mensch und Tier, sogenannte Chimären, entstehen können, die ein menschliches Bewusstsein entwickeln können.
Simitis kündigte an, dass er dem Nationalen Ethikrat vorschlagen werde, sich eingehender mit den Chimären zu befassen. Zunächst aber müsse sich der Ethikrat am 23. Juni neu konstituieren. Nach Ansicht Simitis’ ist aber Eile geboten, denn „in den Laboren passiert sowieso schon mehr, als wir wissen“. Die Stammzellforscher forderte er auf, zu den Versuchen Stellung zu nehmen.
Mit den Versuchen sei keine Züchtung von Mischwesen aus Mensch und Tier beabsichtigt gewesen, verteidigte der MPI-Sprecher Christoph Nothdurft die Experimente. Konkret seien zwei Affen aus dem Deutschen Primaten-Zentrum in Göttingen Nervenzellen menschlicher Embryonen eingepflanzt worden. Die genehmigten Versuche hätten der Erforschung der Parkinson-Krankheit gedient. Fünf Wochen durften die beiden Weißbüschelaffen nach dem Eingriff noch weiterleben. Dann wurden sie eingeschläfert.
Professor Mansouri, unter dessen Regie die Versuche durchgeführt wurden, betonte, dass es sich nicht um Stammzellen handelte, die noch das Potenzial hatten, sich zu einer beliebigen Körperzelle zu entwickeln. Derartige Versuche hätten nach dem deutschen Stammzellgesetz auch nicht durchgeführt werden dürfen. Nach dem Gesetz darf nur mit Zellen gearbeitet werden, die nicht mehr das gesamte Entwicklungspotenzial besitzen – so genannten Stammzelllinien, die schon länger in Reagenzgläsern kultiviert worden sind. Auch dürfen diese Zellen hier nicht aus Embryonen gewonnnen werden.
Die auf die Affen übertragenen menschlichen Zellen haben sich dort im Gehirn zu Nervenzellen entwickelt. Dass sich das Affenhirn dadurch dem Menschen angenähert habe, schließen die Wissenschafter jedoch aus. „Diese wenigen Zellen“, so Professor Masouri, „sind nur wie Sandkörner in einem Ozean.“ Zudem hätten die Affen das Experiment sowieso nicht überlebt, denn wie sich nachträglich herausstellte, hatten sich bei ihnen Tumore entwickelt.
Auch das Robert-Koch-Institut, das nach dem Stammzellgesetz alle Versuche mit embryonalen Stammzelllinien begutachten und genehmigen muss, verteidigt die Göttinger Experimente. Dass die Zellen in der verwendeten Anzahl am Verhalten der Tiere etwas verändern könnten, „das kann man ausschließen“, sagte Andreas Kurtz, Leiter der RKI-Zulassungstelle für Stammzellforschung. Außerdem sei es nicht neu, dass menschliche Nervenzellen für die Forschung in die Gehirne von Mäusen, Ratten oder Affen injiziert würden: „Das passiert seit Jahren.“
Auch der Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle hat bereits menschliche Zellen in das Gehirn von Tieren übertragen. Bisher nutzte er jedoch Ratten. Der Spiegel berichtet, dass er auch menschliche Nervenvorläuferzellen auf embryonale Ratten übertragen wolle. Hier besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich die Nervenzellen weiter verbreiten. Doch dass daraus eine Ratte mit menschlichen Eigenschaften ensteht, wird selbst von den Kritikern dieser Versuche so gut wie ausgeschlossen.
Die Diskussion über die Chimären aus dem Stammzelllabor findet nicht nur hierzulande statt. In den Vereinigten Staaten legten vergangene Woche erst die National Academies of Science Leitlinien für das Arbeiten mit embryonalen Stammzellen vor. Sie lehnen zwar das Übertragen von menschlichen Stammzellen auf Tiere für Forschungszwecke nicht grundsätzlich ab, fordern aber eine Beschränkung. So sollen grundsätzlich keine embryonalen Stammzellen des Menschen auf frühe Embryonen von Affen übertragen werden.
Auch umgekehrt soll das Züchten von Tieren unterbleiben, die menschliche embryonale Stammzellen übertragen bekommen haben.