Eine gute Nase

Schönheits-OPs sind meist unnötig. Viele sind dazu noch schädlich, weil die Operateure schlecht ausgebildet sind. Es gibt keine Qualitätsstandards. Das soll sich jetzt ändern

VON COSIMA SCHMITT

Sie kamen gesund und gingen als Kranke. Der Bauch voller Dellen. Die Brüste: schmerzende Hügel aus Fett und Silikonpolstern. Sie haben Münder, die nicht mehr lächeln können, Lippen, von denen der Speichel tropft.

Entstellt statt verschönt, so verlassen viele die Praxen der kosmetischen Chirurgen. Selbst nach dem Allerweltseingriff Fettabsaugen erkrankt jeder Zehnte. Auch, weil oft Halbwissende werkeln. Stümpern im OP, das ist Alltag in einem Land, in dem „Schönheitschirurg“ kein geschützter Beruf ist und sich viele in einer Boom-Branche tummeln: Der Hautarzt saugt Bauchspeck ab, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt strafft die Stirn, sogar Heilpraktiker dürfen Körper designen.

Die Ärzte wollen Ehrenrettung

Ein Missstand, der den Branchenruf schädigt, findet die Bundesärztekammer und sinnt auf Ehrenrettung. Ihre Idee: Künftig soll es einen „Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie“ geben. Der Operierwillige soll dann schon am Titel erkennen: Hier liftet der Experte. Bislang gibt es nur den Facharzt „plastischer Chirurg“. Der beherrscht zwar auch Fertigkeiten, die ihn zum Ästhetik-Operateur befähigen. Doch das wissen nur Eingeweihte, an seinem Namen ist das nicht zu erkennen. „Wir wollen die seriösen Fachkräfte von den selbsternannten Schönheitschirurgen abgrenzen“, so ein Sprecher der Ärztekammer.

Der neue Titel ist das Etappenziel eines Bündnisses: Der „Koalition gegen Schönheitswahn“. Ärzte, Kirchenvertreter, Promis und Politiker kontern die Allgegenwart der Busen-Industrie. Seit September streiten sie für die Einsicht, dass der Körper nicht formbar ist wie eine Kugel Knetgummi, ein Gesicht nicht entstellt mit ein paar Krähenfüßen. Kardinal Karl Lehmann mahnt: Das Schneiden und Straffen gefährdet die Menschenwürde. Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe will prüfen, ob nicht Berufsrecht bricht, wer vor laufender Kamera Busen polstert. Von „Schönheits“-OPs spricht er in Gänsefüßen. Ärzte dürften nicht dazu beitragen, dass „die sogenannte Schönheits-OP zum Jugendkult hochstilisiert wird“.

Die Koalition bekämpft einen schwer gerüsteten Gegner. Früher galt ein B-Körbchen als Ideal der Operierwilligen. Heute müssen C-Brüste wallen. Früher war Lifting eine Marotte alternder Millionärsgattinnen. Heute wünschen sich Mädchen zum 18. die Busen-OP. Gerade das Teenie-Ego wird gemartert von der medialen Allgegenwart der Melonenbrüste, Apfelhintern und Pfirsichwangen. Jeder zehnte Schönheitsoperierte ist nicht einmal zwanzig. Kaum mehr als verstaubendes Papier ist die EU-Empfehlung, Minderjährigen nicht die Brüste zu vergrößern. Zu profitabel ist das Milliardengeschäft Schönheitswahn. Und zu wirksam vermarktet sich die Branche, treibt gerade die Jungen und Schönen unters Chirurgenmesser. Mit 35 sollte frau das erste Lifting buchen, raten Ärzte – dann reicht ein bisschen Ziehen und Zurren, die Narben verheilen noch. Nutzlos, sich erst mit fünfzig den Beinspeck absaugen zu lassen. Dann werden die Schenkel schlank, aber hässlich, Gebirge aus Kratern und Hautlappen.

So formt sich ein Heer der OP-Chroniker. Ist der Busen erst silikongepolstert, spart frau für einen neuen Po. Ist die Stirn geliftet, stören die Krähenfüße. Misslingt dann der Plan, den Körper zurechtzuschneiden wie eine zu weite Hose, zahlt die Solidargemeinschaft. Zwar muss man eine rein kosmetische OP aus eigener Tasche berappen. Für die Folgekrankheiten aber zahlt die Kasse.

Zum Friseur? Zum Chirurgen!

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt tut, was sie eben tun kann als SPD-Politikerin, die nur einen Randparagrafen des Gesetzbuchs aufbieten kann gegen die Übermacht der Busen-Shows. Sie will Schönheits-OPs unter die Knute des Heilmittelgesetzes zwingen. So wie eine Krebspille kein „Heilt garantiert“ auf der Packung tragen darf, wäre auch irreführende OP-Werbung verboten. Das Vorher-nachher-Foto wäre dann ebenso untersagt wie „Mittags in den OP, abends in die Disko“-Slogans. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag das Gesetz durchwinken. OPs dürfen nicht alltäglich werden „wie ein Friseurbesuch“, sagt die Ministerin. Ihr Credo: Akzeptieren statt Operieren. Dass Falten dazugehören zum Seniorendasein, dass nicht jeder rank ist wie ein Model oder muskelbepolstert mit einem Waschbrettbauch.

Mit dieser Ansicht steht sie zunehmend alleine da. In einer Emnid-Umfrage bekannte 2004 jede Vierte: Hätte ich das Geld, ließe ich mich operieren. Jede Fünfte meinte: Wäre nur die Stirn geliftet, das Dekolletee gefüllt, dann hätte ich es leichter im Leben. Statistiker ahnen, wie ungebremst der Schönheitswahn wütet. Allein 700.000 Menschen pro Jahr legen sich unter die Messer der plastischen Chirurgen, sechsmal mehr als noch 1990, jeder vierte ohne medizinischen Grund. Doch das ist nur ein Teil des Kuchens, die Gesamtzahl der OPs unbekannt – weil ja diverse Feld-Wald-Wiesen-Ärzte unerfasst an Fettpolstern und Hängelidern schnipseln.

Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht, werden doch die Gefahren nach wie vor unterschätzt. In der Emnid-Umfrage bekundete jeder sechste Mann und jede achte Frau den Irrglauben: Das bisschen Saugen und Straffen, das ist doch gefahrlos.

Todesursache: Fettabsaugung

Eine Illusion mit Folgen. Fettabsaugen gilt als Routine-Operatiönchen, als etwas teurerer Weg zur Bikini-Figur. 250.000 Mal im Jahr entfernen Ärzte ungeliebte Fettpolster, Tendenz steigend. Dabei haben internationale Studien längst ergeben, dass knapp jede zehnte der OPs mit Komplikationen endet. Die Menschen infizieren sich mit Bakterien, erleiden Blutergüsse oder Blutgerinnsel in Lunge und Beinvenen. Vom unerwünschten Vorher-nachher-Effekt der Narben und Dellen einmal abgesehen. Eine Studie der Ruhr-Uni Bochum ermittelte, dass von 1998 bis 2002 in Deutschland mindestens 20 Menschen nach dem Fettabsaugen starben. 51 weitere verließen den OP-Saal schwerstversehrt. Die Studie fand aber auch heraus: Ganz so oft müsste das Saugen und Straffen nicht misslingen. Bei vier von fünf gescheiterten OPs fand sie vermeidbare Missstände. Mal war der Operateur schlecht ausgebildet, mal die Nachsorge lückenhaft, oft hat der Arzt eine Basis-Regel nicht eingehalten: Eine Frau, die stark übergewichtig ist und die Pille schluckt – für die ist das Saugen am Fettpolster lebensbedrohlich. Untragbar findet daher Hans-Ulrich Steinau, Initiator der Studie, dass „ein Crash-Kurs am Wochenende ausreicht, um sich mit der Aura des erfahrenen Lipo-Skulpteurs zu umgeben“.

Aber dies könnte ja künftig schwieriger werden, falls nach dem Bundestreffen die Länderärztekammern befinden: Ja, wir brauchen den neuen Facharzttitel. Er brächte zwar kein OP-Verbot für Halbwisser. Wohl aber ein wenig Klarsicht in einem wuchernden Markt. Zumindest für jenen Kreis der Sensibilisierten, die dem Möchtegern-Körperdesigner misstrauen und sich lieber unters Facharzt-Messer legen. Die Arztlisten wälzen, damit der Busen prall wird und nicht schmerzend, der Bauch straff und kein Bakterienherd. Und die sich einen Arzt wünschen, der auch mal abrät und sie aufklärt: Glück, das ist keine Frage der Körbchengröße.