PETER UNFRIED NEUE ÖKOS
: Das CO2-Massaker

IN DEN URLAUB MIT DEM FLUGZEUG? NACH KALIFORNIEN? UND DORT WEITER IM AUTO? WENIG MACHT MITMENSCHEN GLÜCKLICHER, ALS EINEN KLIMASTREBER BEIM REGELBRUCH ZU ERWISCHEN. DAS HAT ETWAS GUTES

Ich kenne einen Neuen Öko, der … – wissen Sie, was der macht? Halten Sie sich fest: Dieser Typ fliegt im Urlaub interkontinental an die amerikanische Westküste. Dort hat er einen „umweltfreundlichen“ Prius gemietet. Und mit dem fährt er dann tausende Meilen die Küste rauf und runter. Pervers.

Dieser Typ bin ich.

Selten habe ich meine Freunde und Mitmenschen so glücklich gemacht wie mit diesem bevorstehenden CO2-Massaker.

Es läuft immer gleich. Schnitzelteller werden abgetragen. Gespräch kommt auf Urlaub. Die anderen sind gerade aus China zurück oder aus Sizilien oder aus Indien. Nun wägen sie mit fröhlichem Ernst die Reiseoptionen für den Herbst hin und her.

Irgendwann kommt die Frage (routiniert): „Und ihr?“

Ich (betont beiläufig): „Kalifornien.“

Die (leicht tadelige Stimme): „Ach?“

Ich (tue ahnungslos): „Was, ach?“

Jetzt kommt traditionell der wahnsinnig witzige Einschub: „Mit dem Schiff?“ (Wie oft habe ich das jetzt schon gehört?) Und dann kommt der Satz: „Ich dachte, ihr fliegt nicht mehr.“

Die Worte werden vorgetragen mit gebührender Wusste-ich-es-doch-Befriedigung in der Stimme. Wusste ich es doch, dass er ein scheinheiliger Sack ist. Seine plötzliche Begeisterung für die Umwelt war mir von Anfang an suspekt. Und ich aufrechter Mensch habe doch tatsächlich Skrupel wegen meines China-Fluges gehabt. Wegen dem und seinem selbstgefälligen Getue. Und der verfliegt sechseinhalb Tonnen, um ein Auto zu mieten, das nur 104g/CO2 pro Kilometer ausstößt.

Hallooo?

In diesem Moment sieht man ihre seelische Entlastung. In ihren Gesichtern steht: Das wird mir eine Lehre sein, darüber nachgedacht zu haben, auch was zu ändern. Überhaupt müssen die Entscheidungen in den Parlamenten und in der internationalen Klimadiplomatie fallen, wo ja auch Tausende ständig durch die Gegend fliegen, vor allem Al Gore und Hermann Scheer. Und am Ende kommt wieder nichts raus. Wenn ich da jetzt auch noch rumpfusche, denken sie, ist das nur kontraproduktiv. Richtig beschwingt sind sie, wenn sie nach solch einem Abend im Taxi davonrauschen.

Dazu kann ich nur sagen: Scheiß auf meinen Flug. Es geht hier nicht um die individuelle Ausstellung eines tugendhaften Lebens. Wir sind am Anfang einer Bewegung, mit der mündige Bürger angesichts des Klimawandels und anderer Entwicklungen über neue Formen von Mobilität, Ernährung und Energiegewinnung streiten und dabei neu definieren, was ein gutes Leben ist – individuell und global. Von allein wird „die Politik“ das nicht machen – und nicht machen können. Erst wenn die neue gesellschaftliche Klimakultur herausgearbeitet ist, auch in ihren Konfliktlinien, wird sie politische Repräsentanten finden oder selbst welche stellen.

Ich glaube, dass die Reaktion meiner Freunde etwas Gutes enthält. Die psychische Entlastung entsteht ja dadurch, dass sie meinen Flug als Bruch und damit Infragestellung einer neuen Norm und einer neuen Welt sehen, von der sie noch nicht wissen, ob und wie sie sie wollen. Im Prinzip aber haben wir das Nichtfliegen bereits als neue Kultur definiert.

Als Nächstes kommt das Schnitzel dran.

■ Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber