: Die Bürger entdecken ihr Bürgersein
TEILHABE Die Zahl der Volksbegehren nimmt immer weiter zu. Meist geht’s um Lärm und Verkehr
BERLIN taz | Bürger wehren sich. Gegen Fluglärm, Schulreformen oder ungeliebte Bahnhöfe. Manchmal haben sie damit sogar Erfolg. Das Mittel, das ihnen Gehör verschafft, nennt sich Volksbegehren. Bislang gibt es diese in Deutschland nur auf Landesebene, die Bürger machen aber immer häufiger davon Gebrauch, resümiert der Verein „Mehr Demokratie“, der am Mittwoch in Berlin die Zahlen zu den Volksbegehren des letzten Jahres vorgestellt hat.
„Die direkte Demokratie in den Bundesländern wird immer lebendiger“, fasst Michael Efler, Vorstandssprecher des Vereins, die Ergebnisse zusammen. 18 neue Volksbegehren waren 2011 gestartet, drei mehr als im Durchschnitt der letzten 15 Jahre. Insgesamt wurden 13 abgeschlossen, vier davon erfolgreich. Meist ging es um Themen aus den Bereichen Bildung, Kultur, Innenpolitik und Verkehr.
Ein Volksbegehren kann aus bis zu drei Verfahrensstufen bestehen. Vier Verfahren haben im letzten Jahr die zweite Stufe erreicht. Erfolgreich waren die Bürger zum Beispiel in Hamburg mit ihrer Forderung nach Rekommunalisierung der Energienetze. In Berlin scheiterte hingegen ein Volksbegehren für eine verbesserte Hortbetreuung daran, dass zu wenige Unterschriften gesammelt wurden. Zu einem Volksentscheid, die dritte Stufe, kam es dreimal. Prominentester Fall ist Stuttgart 21.
Für die stetig wachsende Zahl der Bürgerbegehren macht der Verein „Mehr Demokratie“ zum einen die Reformen der Landesregierungen verantwortlich. Bürokratische Hürden, etwa hohe Unterschriftenquoren, kurze Sammelfristen oder Amtseintragungen, werden nach und nach beseitigt. Aber auch bei den Bürgern selbst findet ein Umdenken statt. „Die Menschen entdecken ihr Bürgersein. Sie wollen sich in ihre eigenen Belange selber einmischen“, erklärt Vereinsvorstandssprecher Ralf-Uwe Beck.
Um die direkte Demokratie zu stärken, fordert der Verein weitere Verfahrensreformen. Zudem sollen künftig auch finanzwirksame Bürgerbegehren zugelassen werden. Alles andere wäre ein Zeichen des Misstrauens der Politik gegenüber den Bürgern, findet Beck: „Wir empfinden es als zynisch, dass gerade die, die für die Finanzkrise verantwortlich sind, den Bürgern vorwerfen, sie könnten nicht mit Geld umgehen.“ ANNE KOARK