: Unter der Stadt ist der Teufel los
VERSCHIEBUNGEN In Staufen lief es bestens. Dann wurde gebohrt, um aus Erdwärme Energie zu gewinnen. Es tauchten Risse auf, es bröckelte. Mehr und mehr wird ein Desaster offenbar
1 Störung der Idylle: Staufen ist ein südbadisches Städtchen mit historischem Stadtkern. Die 8.000-Einwohner-Gemeinde liegt am Fuße des Schwarzwalds. Im Jahr 2007 wurde entschieden, das Rathaus mit Erdwärme zu heizen – sauber und klimafreundlich. Dafür musste tief gebohrt werden, um Sonden zu verlegen. Seither hebt sich die Erde unter der Altstadt.
2 Schleichende Katastrophe: Inzwischen hat sich die Erde mehr und mehr gehoben. Ums Rathaus herum schon etwa zwanzig Zentimeter. Monat für Monat tauchen neue Risse in den Gebäuden der Stadt auf. Experten streiten, was genau bei den Geothermiebohrungen schiefging. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass durch die Erdsondenbohrungen sowohl Gipskeuperschichten mit noch quellfähigem Material als auch wasserführende Schichten durchstoßen wurden. Durch den Wassereinschuss wird aus dem eingelagerten Anhydrid Gips. Der dehnt sich dabei aus und drückt nach oben.
3 Die Zukunft: Von der Entwicklung unter der Erde, der Statik der Gebäude und natürlich von Gegenmaßnahmen hängt es ab, ob irgendwann Häuser einstürzen. Der Fall Staufen wirkt sich auch auf die weitere Entwicklung der Geothermie, der Gewinnung von Energie aus Erdwärme, aus. Vor dem Desaster warnten Baden-Württembergs zuständige Behörden nicht davor, Gipskeuperschichten zu durchbohren. Jetzt empfehlen sie, dies lieber zu unterlassen.
VON WALTRAUD SCHWAB (TEXT) UND STEFAN PANGRITZ (FOTOS)
Im Haus der Jungwirtin vom Gasthof Zum Bahnhof in Staufen platzen die Marmorplatten. Es ist ein hartes Geräusch, wenn sie reißen – ohne dass einer was fallen lässt drauf. Wenn die Kraft, die wirkt, die Platten in sich sprengt. Ein kurzes Klacken. Wie Glas, das springt. Nur stumpfer – weil die Platten dicker sind. Irrsinnig die Macht, die so auf sie wirkt, dass sie Risse bekommen. Nachts, wenn die Staufenerin im Bett liegt, dann meint sie, es knallt. „Da krieg ich es mit der Angst.“ Westlich von Freiburg liegt ihr Städtchen. Ein schöneres gibt es in der Gegend nicht. Zum Anschauen schön.
Die Jungwirtin, resolut, beherzt, spricht aus, was sie denkt. Trotzdem, ihren Namen, den behält sie für sich. Auch aufs Foto soll lieber die Mutter. „In Staufen muss man aufpassen, was man sagt.“ Ob man Risse hat. Oder nicht. Ob man Angst hat. Oder nicht. Ob man wütend ist. Auf die Geologen, den Bürgermeister, die Stadträte. „Nur gesiebte Luft kommt von denen“, schimpft sie.
Dabei hat die Stadt seit zwei Jahren ein Problem, das nach starken Worten verlangt: Die Erde unter der Altstadt hebt sich – ums Rathaus schon bald zwanzig Zentimeter. Jeden Monat kommt einer dazu. In Staufen kann man sehen, was passiert, wenn sich die Umwelt ganz langsam verschiebt.
Angefangen hat die Unruhe im Boden, nachdem die Stadt hinterm Rathaus mit seinen Rundbögen, seinem Geranienschmuck, seinen Wappenverzierungen Löcher in die Erde bohren ließ, 142 Meter tief. Das historische Gebäude sollte mit Erdwärme beheizt werden. So hatte es der Gemeinderat einstimmig beschlossen, Landratsamt und Regierungspräsidium bewilligten den Plan. Wärmedämmung am Rathaus hatte das Denkmalamt ja untersagt. Und Sonnenkollektoren sind in der Altstadt nur erlaubt, wenn niemand sie sieht. Im Herbst 2007 waren die sieben Erdsonden versenkt. Kurz danach tauchten erste Risse auf. Die beunruhigten noch niemanden. Schnell wurden es mehr.
Risse, das ist das Thema seither. Auch in der Bahnhofswirtschaft. An den Tischen dort sitzen die Einheimischen. „Man hätte nicht bohren dürfen“, sagt ein Gast. „Die hätten doch wissen müssen, dass Kalk, wenn er nass wird, aufgeht wie Hefe“, antwortet seine Begleiterin. „Jeder weiß, der Oberrheingraben ist Erdbebengebiet“, sekundiert ein Dritter mit Schildkappe auf dem Kopf. Experten alle. „Wer sagt, er hätte keine Risse, der will verkaufen“, kommt es über den Tisch. Da ist etwas dran. Denn in Staufen sind die Häuser nichts mehr wert. Hypotheken, Altersversorgung, Mieteinnahmen – nichts geht mehr. „Hast du auch schon einen Sprung“, fragt die Wirtin einen Gast an der Theke, der nach dem einen Bier das nächste verlangt. „Ja, in der Schüssel“, sagt der.
Aber der Schaden ist da. Zuerst zeigt die Mutter der Jungwirtin, wie sich die Deckenbalken des Fachwerks in der Jägerstube der Wirtschaft heben. Das Fachwerk im alten Haus arbeitet mit. Im vor 17 Jahren neu gebauten Haus ihrer Tochter hinter der Wirtschaft dagegen, da helfen keine Holzbalken. Die Junge führt über den Hof ins marmorgeflieste Wohnzimmer mit seinen Plüschsesseln, Glasvitrinen, Puppen, um es zu zeigen.
Kaum im Zimmer, werden die Schritte der sonst so Resoluten vorsichtig und tänzelnd, als spürte sie eine Gefahr unter den Sohlen. „Da und da und da“, sagt sie und deutet auf die feinen Risse im Marmorboden. Das Beherzte an ihr ist wie weggefegt. „Da und da und da.“ Sie bewegt sich, mal hin, mal her, wie eine, die ein Unglück sieht, und nicht weiß, was sie tun soll. „Wie ein Spinnennetz sieht’s aus“, sagt sie. Sie ist die Beute.
Dann führt sie ums Haus, zeigt auf die Fenster, auf den Wintergarten, auf die Brüstung des Balkons. Überall feine Risse. Kaum zu erkennen im weißen Putz. „Und das soll alles nur Pfusch am Bau sein?“ Der Boden unter der Eingangstreppe hat sich auch verschoben. Unter der untersten Stufe klafft ein Spalt. „Das regt mich am meisten auf, dass sich die Erde bewegt.“ Dass sich die Erde bewegt, das ist ja das Unheimliche an dieser Geschichte. Dann sagt die Jungwirtin noch: „Wenn es nicht schlimmer kommt, kann ich damit leben. Aber um unser Städtle, da hab ich richtig Angst. Das stolze Staufen.“
Mit dem Städtle meint sie die Altstadt. Die Schöne. Die Restaurierte. Sie beginnt zweihundert Meter weiter südlich hinter der Stadtmauer. Mittelalter ins 21. Jahrhundert gerettet. Dreistöckige schmale Häuser aneinandergebaut, Fensterläden, Laternen, Blumenschmuck. Enge kopfsteingepflasterte Gässchen dazu. Keine Supermärkte, kein Ramsch, keine Reklame – Werbung in der Altstadt ist verboten. Stattdessen dekorative Beschriftungen an den Häusern. Beim Kornhaus, an der Krone, bei Haushaltswaren Herbig auch.
Auf der Fassade des 1407 erstmals erwähnten Gasthauses Löwen steht die Geschichte vom Dr. Faustus. Beim Versuch, Gold zu machen, soll er 1539 dort von Mephistopheles geholt worden sein. Goethe hat Faust ins Aufgabenheft jedes Kindes geschrieben.
Drin in der Wirtsstube des Löwen ist alles holzvertäfelt. Die tiefliegenden Deckenbalken durchgebogen. Die Holzsäule in der Mitte mit Ornamenten verziert. „Das hier hat schon einiges ausgehalten. Oder sehen Sie was?“, fragt die Pächterin Edeltraud Pilz. Sie habe gar keine Zeit, sich um die Risse zu kümmern. Sie muss einen Betrieb leiten mit 20 Mitarbeitern. Und sowieso die Journalisten – was Gutes hätten die bis jetzt nicht bewirkt.
Der Löwen ist das In-Hotel am Ort. Das Faustzimmer ausgebucht. Da setzt sich die Pächterin, die nichts sagen wollte, aber doch mit an den Tisch und holt aus. „Fröhlich Löcher zu bohren, das kann kein Umweltschutz sein. So ohne sind die Dinger auch nicht.“ Und dann greift sie an: „Geothermie, das ist doch ein Eingriff in die Erde. Das ist Arroganz der Umweltschützer. Und die CDU darf sich ein grünes Mäntelchen anziehen.“ Sie selbst wollte sich im Juni in den Gemeinderat wählen lassen. Auf der Liste der Freien Wähler. Es hat nicht geklappt.
Eingriff in die Erde
Auch wenn die Pächterin den Schaden am Löwen herunterredet, von außen sind die Risse nicht zu übersehen. Ganze Steine unter den Fenstern sind gesprungen. Die Einheimischen schauen nicht gern hin. Die Touristen schon. „Bei uns schreibt man Tourismus mit doppeltem S.“ Auf den Satz haben sich die Staufener geeinigt. Nicht Touris-muss. Tou-riss-mus. Der Ärger über die Schaulustigen ist ein Ventil. Für die Angst. Für die Wut. Für die Ohnmacht. Für die gesiebte Luft. „Uns sagt doch keiner was“, erklärt eine Staufenerin, die ihr Fahrrad über das Kopfsteinpflaster der Hauptstraße schiebt. Wie in Freiburg fließen Bächle entlang der Hauptstraße. Mittlerweile sind sie abgestellt. Das Wasser versickert.
Unter der Stadt ist der Teufel los. Die Kraft, die freigesetzt wird, drückt nach oben, verschiebt alles. Man kann’s kleinreden. Mit Mörtel und Farbe drübergehen. Oder auch nicht. Hinterm Rathaus, direkt neben den Bohrlöchern, ist das Bauamt. Es sieht nicht gut aus. Die Fensterlaibungen rutschen ins Parallelogramm. Schwere Balken stabilisieren nun den Rahmen. Und drinnen in den mit Baumstämmen gestützten Räumen sind so breite Spalten in den Wänden, dass jeder durchsehen kann. Rund um den Türrahmen im Erdgeschoss ist ein zweiter Durchgang entstanden, durch den sich Katzen zwängen könnten. Die Grundbücher, die im Bauamt lagen, sind schon weggebracht.
Das Rathaus ist kaum besser dran. Der angebaute Turm hebt sich und dreht sich vom Gebäude weg. Von draußen sieht man den Spalt, drinnen aber haben die Stauchungskräfte schon begonnen, die Stufen der Wendeltreppe zu zermalmen. Einen anderen Weg hinauf in den ersten Stock gibt es nicht. Dort sitzt der Bürgermeister.
Bürgermeister Michael Benitz
Desaster ohne Lösung
Michael Benitz heißt er. „Ich liebe die Stadt“, sagt er und zählt auf, was alles richtig gemacht wurde. Die Altstadt saniert, für Kindergartenplätze gesorgt, die Umgehungsstraße geplant, den Haushalt ausgeglichen, den Klimawandel berücksichtigt, Stadtwerke gegründet. „Wir haben es richtig gemacht.“ Die Erdwärmebohrung, das sagt er dann aber doch auch, hat sich zu einem Desaster entwickelt. Eine Sekunde lang verliert er die Contenance: „Der Weg zur Hölle ist eben mit guten Vorsätzen gepflastert.“
Eine Lösung fürs Desaster gibt es nicht, solange man die Ursache nicht kennt. Auf diese Sicht der Dinge haben sich Gemeinderäte, der Bürgermeister, aber auch die Sachverständigen des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg verständigt. Ohne Ursache auch keine Verantwortlichen.
Mittlerweile haben sich die Geologen auf eine Hypothese geeinigt: Entlang der Erdwärmesonden sickert Wasser in Gipskeuperschichten. Das darin lagernde Anhydrid quillt auf und wird zu Gips, wenn es feucht wird. Seit Wochen versucht man durch eine Erkundungsbohrung erst mal rauszukriegen, ob die These auch stimmt. Und dann?
Benitz hat schnell begriffen, dass die Stadt allein das Problem nicht lösen kann. Das Land, der Bund müssen helfen. Der Schaden? Ein Gutachten schätzt ihn derzeit auf 41 Millionen Euro. Den Verlust an Kultur nicht mitgerechnet. Eine Stunde redet der Bürgermeister. Er redet und redet. Minutiös erklärt er Fakten, die nichts ändern am Bild. Jeden Monat gibt er ein Bulletin heraus. Mit neuen Daten. Im neuesten steht: „197 private Eigentümer haben Schäden gemeldet.“ Sieben städtische Gebäude kommen dazu.
Claudia Herbig, eine Geschädigte vom Haushaltswarengeschäft, bringt auf den Punkt, was der Bürgermeister nicht sagt: „Die Wissenschaftler haben keine Ahnung. Für die ist das Forschen.“ Derweil mussten in ihrem Haus schon die Decken gestützt werden. Und im Warenlager erlebt sie gerade, dass alles im Fluss ist. Erst gab es einen Riss, jetzt geht der wieder zusammen und staucht schon den Estrich. Verloren steht sie zwischen Tassen, Gläsern und Töpfen und versucht Worte zu finden dafür, dass alles anders geworden ist. „Vielleicht“, meint sie, „musste das Staufen passieren, damit man aus dem alten Sumpf rauskommt.“ Welchem alten Sumpf? Gleichgültigkeit, Oberflächlichkeit,Vorteilsdenken zählt sie auf. „Für mich hat die Katastrophe was sehr Bewusstwerdendes der Gemeinschaft gegenüber.“
Draußen auf dem Marktplatz sitzen zwei Lokalpolitiker von der Umweltliste. Physiker die beiden. Endfünfziger. „Die Hebungskurve ist linear“, sagt der Wortführer. Ein weißhaariger Bär von einem Mann. Linear – das Wort klingt so zuverlässig. „Man muss die Kausalität klären.“ Ganz sicher allerdings klingt er nicht. Denn mit Blick auf den Löwen hängt er den unfertigen Satz „hier steh ich nun“ gleich dran. In Baden-Württemberg gibt es über 14.000 Erdwärmeanlagen. Ein Dutzend davon in Staufen. „Geothermie, das ist doch ein Weg, CO2 zu sparen.“ Dass ausgerechnet die Anlage hinterm Rathaus zum Problem werden muss. Trotzdem, die Physiker glauben, dass man das noch in den Griff kriegen kann. Noch sind sie optimistisch. „Wenn Sie den Blues wollen, dann müssen Sie zum Hermann“, sagt der zweite Physiker.
Claus Hermann lebt in der Altstadt. Gegenüber dem Bauamt steht sein Haus. Als Hermann im Herbst 2007 den ersten Sprung in einer Fußbodenplatte sah, dachte er: „Wer war’s?“ Hermann, mit scharfen Gesichtszügen und stahlblauen Augen, kann schneidig wirken. Als immer mehr Risse kamen und niemand was tat, da hat er gewütet. Und als Einziger die Stadt verklagt. Jetzt allerdings ist das Schneidige von Hermann etwas Weicherem gewichen. Dafür gibt es Gründe.
Hermann hat das Haus seiner Eltern und Großeltern renoviert. Ein alter Fachwerkbau. Wie alt genau? Ein paar hundert Jahre. Hermann hat es mit Liebe getan. Die überdeckten Eichenbalken hat er wieder rausgeholt. Die alten Bruchsteine. Ockerfarben. Unregelmäßig. Die Oberfläche der Mauern hat er uneben gelassen, leicht nur, so als wären sie aus Lehm. „Ich habe meine Vorstellung von Wohnen in diesem Haus verwirklicht“, sagt er. Es klingt weich. Wie ein Traum, der jetzt, fast zwei Jahre nach dem ersten Riss, keiner mehr ist.
Die Wohnung, das sollte sein Vermächtnis ans Schöne sein. Auch an Afrika. „Ich war so gern dort.“ Er war noch nicht ganz fertig, da sah er den ersten Riss im ungeschliffenen Marmorboden seines Lieblingszimmers. Dem mit der Fußbodenheizung, die nun kaputt ist. Das Zimmer geht auf den Innenhof. Einem, der wie in Nordafrika hinter den Mauern sich auftut. Aus dem Riss ist ein Spalt geworden. An einer Seite neigt sich der Boden. An einer anderen Stelle drückt die Erde die Marmorplatten aneinander und zermahlt sie. Die Fenster gehen auch nicht mehr zu. „Jetzt sitze ich nicht mehr gern dort“, sagt der hagere, braungebrannte Mann. Und: „Sie müssen ein Gläschen Wein mit mir trinken.“
Es gibt Katastrophen, die kommen schleichend. Die Finanzkrise zum Beispiel. Oder Krebs. Vor einem Jahr wurde er bei Hermann festgestellt. Seither dreht sich sein Leben: Weg vom Haus hin zu den Menschen. Auch den Klimawandel, den spürt man doch nicht. Trotzdem reden alle davon. Aber im Alltag, wer nimmt den da wahr? Der Wein aus Staufen, der wird doch nur besser davon. Hermann gibt seinem Haus noch ein Jahr. Dann ist die Statik hin. Dem Haus und ihm läuft die Zeit davon.
Staufen hat nichts von seiner Beschaulichkeit verloren. Brütend liegt es in der Sonne. Dass die Leute mehr zu Hause bleiben als früher, dass sich eine traurige Stimmung über das Städtchen mit seinen 8.000 Menschen gelegt hat, das sagt nur die Wirtin vom Bahnhofsgasthaus. „Jetzt kann ich um neun Uhr die Tür abschließen. Das war früher nicht so.“
„Bombensicher war das Leben bei uns“, sagt Elmar Bernauer. Der Vermessungsingenieur hat eine Kunstgalerie gleich hinterm Rathaus. „Fluchtstab“ heißt sie. Als er sie vor 17 Jahren so nannte, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass das mal eine Bedeutung hat. Mit Fluchtstäben vermessen die Vermesser das Land. Alle vierzehn Tage kommen sie jetzt nach Staufen, nur um festzustellen, dass sich die Erde wieder hob. Das Rathaus, das Bauamt, Hermanns Haus, die Galerie – sie stehen im Epizentrums dieses Bebens, das so nicht genannt werden darf. Der Katastrophenfall wird nicht ausgerufen, entschied das Regierungspräsidium in Freiburg. Dafür verlaufe die Katastrophe zu langsam. Der Gasversorger allerdings hat das Gasnetz schon in kleinere Segmente unterteilt. „Der würde das nicht machen, wenn die Gefahr nicht real wäre“, sagt Bernauer.
Immerhin das Wort Katastrophe wird nun benutzt. Bernauer meint, er habe sich als Erster getraut, es zu sagen. Er steht in seiner Galerie. Nein, stehen ist falsch, wie die Jungwirtin treibt es ihn hin und her. Vorbei an den düsteren Bildern des Künstlers. Gela Samsonidse heißt er. Schwarz hat der übermalt, was einst darunter war. Nur schemenhaft erkennt man noch die Konturen der Menschen. Dass die ausgestellten Bilder etwas Orakelhaftes haben, weist Bernauer von sich. „Das hat nichts mit der Situation hier zu tun.“
Bernauer hat die Interessengemeinschaft der Rissgeschädigten in Staufen mitgegründet. Er will, dass mit den Leuten kommuniziert wird, das nämlich macht die Verwaltung nur spärlich. Dramatisieren will er nicht. „Wir müssen hier doch leben.“ Nur, mit jedem Monat, der verstreicht, wird die Situation dramatischer. Was die Erkundungsbohrung, die sich viel zu lang hinzieht, bis jetzt zu Tage fördert, ist nicht gut. Die quellfähige Schicht fing bei 62 Metern Tiefe an. Bei Meter 95 wurde sie allmählich verlassen. Jetzt müsse noch berechnet werden, wie viel Anhydrid, das zu Gips wird, wenn es nass wird, und wie viel Ton in der quellfähigen Gipskeuperschicht ist, sagt der Leiter des Geologischen Instituts in Freiburg, Ralph Watzel. Um 60 Prozent kann Anhydrid sein Volumen vergrößern, wenn es aufquillt. Solange die Menge an quellfähigem Material nicht bekannt ist, gibt Watzel Prognosen darüber, wie hoch die Erde sich noch heben kann, nicht ab. Gerade würden Machbarkeitsstudien erstellt, wie man die 142 Meter tiefen Erdwärmebohrungen sanieren kann, sagt er. Machbarkeitsstudien – wo Hexenwerk nötig ist.
Die Erde wird sich heben
Bernauer, einer, der in den Achtzigern gegen Atomkraft demonstrierte und später gegen das Solardachverbot, war bis vor Kurzem um Haltung bemüht. Jetzt spricht er aus, was der Geologe vom Amt nicht sagt: „Das mögliche Hebungspotenzial muss riesig sein.“ Von 80 Zentimetern war schon die Rede, aber auch von vier Metern. Und: Die Hebung kann Jahre anhalten. Das Bauamt, Hermanns Haus, das Rathaus – wenn nicht bald was passiert, dann sind die verloren.
Auch Hermann sieht das so. In zehn Jahren wird Staufen anders aussehen, meint er. „Das Herz der Stadt wird zerstört.“ Oben an der Treppe seines zerfallenden Hauses steht seine Lebensgefährtin. Sie lehnt sich übers Geländer. „Mephisto, mir wird ehrlich bang“, fängt sie an zu sprechen, als stünde sie auf einer Bühne, „hier bleib ich sicher nicht mehr lang. Bin überhaupt nicht drauf erpicht, dass meine Welt zusammenbricht.“ Über der Stadt aber, da thront schon eine Ruine.
■ Waltraud Schwab, Reporterin der sonntaz, ist in einem Dorf nahe Staufen aufgewachsen
■ Stefan Pangritz, Fotograf, lebt in Lörrach und hat schon einige Beben am Oberrhein erlebt