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Archiv-Artikel

Der Ellenbogen-Check

KARRIEREN Frauen kommen in deutschen Führungsetagen kaum vor. Ein Hamburger Projekt will Abhilfe schaffen und vermittelt die männlichen Spielregeln

Frauen müssen männliche Spielregeln beherrschen. Später können sie eigene etablieren – vielleicht

VON NIELS HOLSTEN

Auf den Chefsesseln der 100 größten Unternehmen in Deutschland sitzt keine einzige Frau. Von den 490 Vorstandsposten sind lediglich elf mit Frauen besetzt – das sind 2,2 Prozent. Selbst China steht mit acht Prozent besser da. Bei Spitzenreiter Schweden sind es 17 Prozent. Verschiebungen zu Gunsten der Frauen gab es in den letzten Jahren kaum – trotz Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft.

Beim Gehalt sieht es nicht besser aus. Im Schnitt verdienen Frauen in Deutschland ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen. In höheren Positionen, wo frei verhandelt wird, sind die Unterschiede noch größer.

„Da wird unglaublich viel Potenzial verschenkt“, sagt Susanne Dreas, Projektleiterin der „Hamburger Karriereschmiede“. Immerhin sind mindestens die Hälfte der Hochschulabsolventen in Wirtschaft und Jura weiblich. Unternehmen leiden unter Fachkräftemangel und zahlreiche Studien zeigen, dass Unternehmen mit Frauen in der Spitze erfolgreicher sind. Neben der Chancengleichheit gehe es somit auch um einen „knallharten wirtschaftlichen Aspekt“, sagt die 42-jährige Dreas.

Die Karriereschmiede versucht seit 2008, dem weiblichen Nachwuchs die männlichen Spielregeln im Karrierepoker zu vermitteln. Denn wer die nicht mitspielen mag, „ist als Führungskraft ungeeignet“, so Dreas. Jede müsse für sich entscheiden: „Was mache ich mit, wie weit verbiege ich mich.“

Geza Eckermann hat das Programm der Karriereschmiede, bestehend aus Workshops in Selbstmarketing, Persönlichkeitsentwicklung und Karriereplanung, Einzel-Coachings und Netzwerktreffen, durchlaufen. Sie ärgerte sich immer über die Männer in Meetings, die drei Mal das Gleiche erzählten, während sie längst weiter wollte. Es wunderte sie, wie Kritik an ihren männlichen Kollegen abprallte, während Frauen es schnell persönlich nahmen. „Frauen versuchen immer alle mit einzubeziehen, Männer hingegen nur die Wichtigen.“ Die Referentin einer Krankenkasse wollte verstehen, was da los ist. Durch das Programm habe sie gelernt, sich besser zu behaupten, sagt die 41-Jährige. Eine Führungsposition will sie trotzdem nicht. Ihr ist die Sacharbeit wichtiger, außerdem eine gute Work-Life-Balance, und nicht das Golfspielen nach Feierabend mit den Kollegen.

Dort liegt denn auch ein Grund, warum Frauenkarrieren vor der Chefetage enden: Männliche Spielregeln schrecken Frauen ab. Umgekehrt fühlen Männerzirkel sich von Frauen gestört und glauben, dass die harten Regeln nicht zu den Frauen passen.

Forscher der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg um Jörg Felfe haben noch etwas ausgemacht: Frauen fehlt es an Führungsmotivation. Trotz höheren Leistungspotenzials würden sie nicht im gleichen Maße nach Führungspositionen streben wie ihre männlichen Kollegen. Das liege an der Unvereinbarkeit von Arbeit und Familie, die oft mit Spitzenpositionen einhergehe. Aber Frauen treibe auch eher die Angst um, zu versagen und mit den Anforderungen nicht klarzukommen. Grund dafür scheint die immer noch unterschiedliche Erziehung von Jungen und Mädchen zu sein: Jungs werde von vorneherein beigebracht, Verantwortung zu tragen, Kampfgeist zu zeigen, und in den Wettbewerb zu treten, sagt die Psychologin Gwen Elprana aus dem Forscherteam. Mädchen hingegen sollten eher brav und bescheiden sein. Dies führe zu unterschiedlicher Führungserfahrung in der Kindheit und Jugend. Erfahrung, die Frauen später im Beruf fehle. Die Forscher haben einen Fragebogen entwickelt, mit dem sie Frauen helfen wollen, ihre verdeckten Führungspotenziale aufzudecken und so die „angezogene Handbremse“ zu lösen.

Die Karriereschmiede will ihren Teilnehmerinnen beibringen, wie die Spielregeln in den noch vorwiegend männlich besetzten Führungsetagen funktionieren. Die müsse man anwenden können und trotzdem bei sich selbst bleiben, sagt die Wirtschaftssoziologin Dreas. Frauen müssten lernen, sich „sichtbar zu machen“, und ihren eigenen Erfolg herauszustellen. Die Teilnehmerinnen bekämen durch das Programm „das letzte Rüstzeug für die Übernahme einer Führungsposition“. Und wenn denn einmal die kritische Masse erreicht ist, macht Susanne Dreas Hoffnung, dann gibt es vielleicht auch irgendwann einmal Frauenspielregeln.

Die nächste Staffel der Hamburger Karriereschmiede startet im April

www.hamburger-karriereschmiede.de