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Archiv-Artikel

Frieden all inclusive

Troia wird zur touristischen Friedensregion. Daran zumindest arbeiten Archäologen, türkische Lokalpolitiker und Tourismusmanager. Troia steht für Krieg, aber auch den Beginn der abendländischen Zivilisation. Eine Spurensuche vor Ort

VON WALTRAUD SCHWAB

Troia, das ist ein Hügel in der Türkei. Der Ort, der dort vor 5.000 Jahren blühte und wo zeitweise 10.000 Menschen lebten, hat Zukunft. Seine Renaissance hat allerdings nichts mit Wiederauferstehung zu tun. Häuser wird hier niemand mehr bauen. Vielmehr gilt: Der Name der untergegangenen Stadt soll touristisch besser vermarktet werden. Denn er weckt Assoziationen und bietet für jeden Geschmack etwas. Für einige etwa steht er als Metapher für Frauenraub, andere glauben, dass er eine Zeitenwende markiert. Wieder andere interessiert nur die Geschichte. Vielen fällt bei Troia zuerst auch die List mit dem Holzpferd ein. Natürlich steht der Ort zudem für Anfang und Ende von Zivilisation. Vor allem aber für Krieg, für sinnloses Gemetzel und damit – dank Homer – sogar für den Beginn der abendländischen Kultur.

Es bedarf nicht der Logik eines Kantianers, um aus dem, was als Inbegriff des Krieges gilt, abzuleiten, dass es in Wirklichkeit für Frieden stehe. Kein Tag ohne Nacht. „Für Homer war die Ilias ein Pamphlet für den Frieden“, meint Manfred Korfmann, der seit fast 20 Jahren die Ausgrabungen in Troia leitet und sich in der vielfachen Zerstörung und dem immer neu erfolgten Wiederaufbau der Stadt über 3.500 Jahre hinweg wie kein anderer auskennt. Ob dieser archäologischen Leistung hat der Tübinger Professor die Staatsbürgerschaft der Türkei verliehen bekommen. Manfred Osman Korfmann heißt er nun. Er kommt leger daher; die Ausgrabungsstätte allerdings leitet er mit preußischer Strenge.

Die Idee vom Frieden hat in der Troas, der Region um Troia, ganz neue Anhänger gefunden. Die Gegend südöstlich des Eingangs zu den Dardanellen will in Zukunft auch aus touristischer, kommunaler und marketingtechnischer Sicht auf „Bariș“ (Frieden) setzen. Archäologen, Touristikunternehmer, Kommunalpolitiker haben sich darauf verständigt. Obwohl jeder seine eigenen Interessen verfolgt, klappen könnte es trotzdem.

Troia, das vor 5.000 Jahren in einer heute versandeten Bucht am Meer lag, wurde immer wieder aufs Neue besiedelt. Solange es die Bucht gab, konnten Schiffe anlegen, die auf „Meltem“, den Wind aus dem Süden, warteten, um die Dardanellen zu durchqueren. Manchmal lagen sie Wochen hier. Die starke Gegenströmung der Meerenge und der vorherrschende Nordwind machten eine Durchfahrt für unmotorisierte Schiffe ohne Meltem unmöglich.

„Schutz und Versorgung der anlegenden Schiffe gegen Tribut“, so etwa müsse man sich den Vorteil Troias vorstellen, meint Korfmann. Die Reisenden mussten was abgeben von ihrem erbeuteten oder erworbenen Gut. Fundstücke, die noch immer ausgegraben werden, zeigen, dass in Troia Dinge im Umlauf waren, die aus weit entfernten Orten kamen. Lapislazuli aus Afghanistan, Bernstein von der Ostsee, Gold aus dem Kaukasus. „Strategisch günstig und reich, aber gefährdet“, fasst Korfmann die Lage der Stadt zusammen. Dass in Troia schon früh serienmäßig Waffen geschmiedet wurden, spreche dafür.

Die Archäologen können für die 3.500 Jahre der Besiedlung des Hügels Hisarlik neun Siedlungsepochen benennen. Das griechische Ilion ist Troia VIII. Das römische Ilium ist Troia IX. Danach verliert die Stadt ihre Bedeutung. Als Heinrich Schliemann 1871 auf dem Hisarlik anfing zu graben, war dieser mit Bäumen überwuchert. Schafherden weideten dort. Der Schatz, den Schliemann fand und der griechischen Zeit zuordnete, war mehr als 1.000 Jahre älter. Als Korfmann vor 20 Jahren kam und die verlassene Ausgrabungsstelle neu belebte, weideten zwischen den Mauerresten schon wieder die Tiere.

Über Jahrhunderte hinweg baute in Troia eine Kultur ihre Häuser, Tempel, Stadtmauern, Wehranlagen auf die vorhergehenden auf. Deshalb befindet sich, wer die Ausgrabungsstätte besucht, in einem komplizierten Labyrinth aus alten Mauern. Vor Enttäuschung werden die Besucher gewarnt. Die freigelegten Reste offenbaren nur in der Fantasie ihre imposante Geschichte.

Korfmann, der Archäologe, denkt trotzdem zukunftsorientiert. Weil das Spektakuläre des Ortes vor allem ein Ideelles ist, braucht die Ausgrabungsstätte einen ideellen Kontext, um dauerhaft gesichert zu sein. Denn würde das Geld eines Tages versiegen, holte sich die Natur andernfalls den Hügel wieder zurück. Korfmann tut alles, damit die Grabungsstätte deshalb von dauerhaftem historischem, aber auch touristischem Interesse bleibt. Dafür bietet sich „Frieden“ an. „Frieden mit der Kultur“, sagt der Archäologe. Immerhin haben Korfmann, seine Mitstreiter und Unterstützer es geschafft, dass Troia 1998 UN-Weltkulturerbe wurde.

Die Pläne des Ausgrabungsleiters aber gehen weiter. „Wir holen Geschichte samt ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhänge aus der Erde“, sagt er. Die Archäologen erfahren bei ihren Ausgrabungen nicht nur, wie die Leute gewohnt haben, sondern auch welche Nahrungsmittel früher hier angebaut, welche Tiere gejagt wurden. Seine Idee ist nun, dies alles wieder sichtbar werden zu lassen. Hier soll neu angepflanzt werden, was damals wuchs.

Mehr als sechs Jahre lang machten Korfmann und sein Team deshalb Lobbyarbeit dafür, dass die Gegend um Troia zum Naturschutzgebiet erklärt werde. Im Sommer 2004 war es so weit. Denn die zweite Vision des Ausgrabungsleiters lautet: „Frieden mit der Natur“. Jetzt gibt es Auflagen bei der Bebauung und der Bewirtschaftung. Biologische Landwirtschaft sieht Korfmann nun auf dem Vormarsch. Er ist überzeugt, dass es dafür einen Markt gibt. „Made in Troas“ soll zum politisch korrekten Label werden. Die Bauern müssen noch überzeugt werden.

Korfmann steht nicht alleine mit seiner Idee. Der Bürgermeister von Canakkale, Ülgür Gökhan, unterstützt ihn. Von Troia aus ist es die nächste größere Stadt. Die Bewohner von Canakkale fühlen sich als rechtmäßige Nachkommen der Troianer.

Bisher reisen Touristen meist nur durch Canakkale, das direkt am Eingang der Dardanellen liegt, durch. Sie bleiben statistisch gesehen eine Nacht. Das Ziel der Verwaltung: daraus zwei Nächte zu machen. Die Stadt mit ihren nahezu 70.000 Einwohnern unweit Troias hat dabei die Friedensidee als ernsthaft betriebene Mischung aus Marketing und Politik angenommen. Nicht nur wurde das Pferd aus Spielbergs Troia-Verfilmung, das Canakkale geschenkt wurde, im Zentrum aufgestellt, Canakkale liegt zudem gegenüber dem riesigen, bis heute zu besichtigenden Schlachtfeld Galipoli aus dem Ersten Weltkrieg. Die Fähre verbindet die Orte.

In einem fatalen Stellungskrieg, in dem tausende von Soldaten starben, haben die Türken hier die Franzosen und Briten vor dem Vormarsch auf Istanbul gestoppt. Galipoli, das im europäischen Teil der Türkei liegt, ist bereits Friedens- und Kriegsdenkmal sowie Naturschutzgebiet in einem.

Für die türkische Politik aber hat die Friedensidee noch eine weiter gehende Bedeutung, denn die Region liegt an der Schnittstelle zwischen dem europäischen und dem asiatischen Kontinent. Troia ist der Ort, der mit den großen europäischen Kulturen in Zusammenhang gebracht wird. Entwickelt hat sie sich auf anatolischer Erde. Bei der Diskussion um den Beitritt der Türkei in die EU wird Troia deshalb zu einem Sinnbild dafür, dass die Türkei europäisch ist.

Nur Politik ohne Investoren dürfte eine launische Angelegenheit bleiben. An dieser Stelle kommt Hüseyin Baraner ins Spiel. Er ist Touristikvorstand der MNG Holding, ein Tausendsassa mit 28 Jahren touristischer Erfahrung. Der in Deutschland aufgewachsene 48-Jährige hat – als Mann im Hintergrund – Öger Tours groß gemacht. Der wendige Unternehmer, CDU-Mitglied übrigens, gern in Anzug und offenem Hemd, hat dabei mitgewirkt, dass die Küste von Antalya zu einem verbauten Eldorado des All-inclusive-Tourismus wurde. Aber er findet: „So kann es nicht weitergehen.“ Die Geiz-ist-geil-Welle zerstöre zu viel. Es müsse gelingen, die Touristen aus den Bettenburgen herauszuholen. Tourismus habe mit Völkerverständigung zu tun. Tourismus habe mit Frieden zu tun. „Wir Unternehmer in diesem Feld müssen Vorschläge machen, wie der Reisende wieder in Kontakt kommt mit Land und Leuten.“ Er schlägt so etwas wie „regional all-inclusive“ vor. Anstatt ständig im Hotel am Buffet ihre Halbpension abzuessen, sollen die Gäste auch ein paar Gutscheine bekommen, mit denen sie in Restaurants in der Umgebung die regionale Küche probieren können. Das ist nur eine seiner Ideen.

Baraner ist in Canakkale geboren. „Ich bin Troianer“, sagt er. Er will mithelfen, dass die Region für den Tourismus attraktiver wird. Im August hat er deshalb in der Stadt zusammen mit den Archäologen und Politikern eine Konferenz mit initiiert zum Thema „Frieden und Tourismus“. Die Menschen wollen, dass das Leben wieder langsamer wird, sie suchen Natur, Umweltschutz, Kultur und damit Verständnis für das Andere, meint er. „Wir müssen den Touristen das bieten, was sie suchen.“ Der Reisende wiederum müsse begreifen, dass er nicht alles umsonst haben kann. Für alle gilt: „Sie können Friedensprozesse niemals delegieren.“

Eloquent schafft es der Mann, der den EU-Beitritt der Türkei leidenschaftlich unterstützt, das politisch Komplizierte auf eine einfache zwischenmenschliche Tourismusformel zu bringen: „Wir verstehen den Frieden im Tourismus als kompaktes Paket.“

Neueste Veröffentlichung zu Troia: Birgit Brandau, Hartmut Schickert, Peter Jablonka, „Troia. Wie es wirklich aussah“. Piper Verlag 2004, 176 Seiten. 19,90 Euro Neben All-inclusive-Urlaub bietet Bentour – das Unternehmen gehört zur MNG Holding, auf Anfrage eine Busreise quer durch die Westtürkei und das Taurusgebirge an. Von Antalya über Bursa, Troia, Pergamon, Ephesos und Pamukkale. www.bentour.de