Der kriminelle Norden

STATISTIK Soziale Indikatoren erklären auch nicht zuverlässiger als geografische, warum in Bremen die Zahl der Einbrüche hoch bleibt – in Leipzig hingegen niedrig

Wenn Werder schlecht spielt, hat die Polizei mehr Zeit für die Bekämpfung von Kriminalität

Statistik ist eine Wissenschaft für sich. Fünf Morde hat es im vergangenen Jahr gegeben, rund 12.000 Autoaufbrüche und Fahrraddiebstähle – das macht in der Statistik zusammen 12.005. Wenn man etwas über die Kriminalitätsentwicklung wissen will, muss man also sehen, welche Zahlen sich sinnvollerweise vergleichen lassen und welche nicht.

Die Zahl der Wohnungseinbrüche etwa ist gestiegen – das war in den vergangenen Wochen Thema in Bremen. Die Zahl für 2011 liegt bei 2.800, 2009 waren es mehr – 2.900 – und 2010 deutlich weniger – 2.260. Um einen Trend zu erkennen, so sagt Innensenator Ulrich Mäurer, muss man die Zahlen über mehrere Jahre betrachten – seit 2005 sind die Zahlen steigend. Aber: Die Einbrüche in Tankstellen, Spielhallen und PKW sind zurückgegangen: Einerseits wegen besserer technischer Schutzvorkehrungen, andererseits sind Autos wegen des Preisverfalls der Navigationsgeräte sicherer geworden. In den Wohnungen sind die Vorkehrungen weiterhin schlecht.

Vor allem aber nimmt zu, was die Polizei „Plünderer“ nennt: Menschen, die in ihrem Stadtteil sozusagen einem Hartz-IV-Empfänger seinen neuen Fernseher klauen. Paradox: Stadtteile mit problematischer Sozialstruktur haben deutlich mehr mit Einbruchs-Delikten zu tun als offensichtlich reichere Stadtteile.

Bei den Bemühungen um Aufklärung hilfreich, für die Bekämpfung der Kriminalität belastend ist der hohen Anteil von „Intensivtätern“. Dass Gefängnisse keine Re-Sozialisierungsfunktion haben, sei bekannt, sagte Polizeipräsident Lutz Müller.

Wenn jemand zwei Jahre im Gefängnis säße, dann stünde er diese Jahre zumindest nicht als Täter zur Verfügung, so nüchtern sieht der Polizeipräsident die Wirkung der Strafe. Die Frage sei, wie man solche Intensivtäter überhaupt erreichen könne. Derzeit werde in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe auch mit der Justiz geklärt, ob es verbesserungsfähige Abläufe geben kann.

35 Prozent der Delikte ordnet die Polizei dem Drogen-Milieu zu, also der „Beschaffungskriminalität“. Der Anteil der Täter mit Migrationshintergrund ist geringer, als oft in der Bevölkerung geschätzt, sagt der Polizeipräsident, nämlich nur rund 50 Prozent. Die überwiegende Zahl dieser Tätergruppe hat dabei einen deutschen Pass. Ausländer im staatsrechtlichen Sinne sind die wenigsten.

Richtig froh ist der Innensenator, wenn es keinen „Tag der Deutschen Einheit“ in Bremen gibt, keine Castor-Transporte und keine großen Werder-Spiele – das spart der Polizei viele Sondereinsätze und damit Überstunden. Das mit Werder sage er nicht als Sportsenator, korrigierte sich Mäurer.

Wenn man über die Bremer Stadtgrenze hinausschaut, dann werden die Statistiken noch interessanter: In München etwa gibt es fünfmal weniger Wohnungseinbrüche pro 1.000 Einwohner als in Bremen. „Fragen Sie mich nicht, woran das liegt“, sagt Mäurer dazu. Ungefähr auf Höhe von Frankfurt beginne das klare Nord-Süd-Gefälle: Die Nordlichter sind deutlich krimineller. Jeder, der zur Erklärung aufs größere Armutspotenzial im Norden verweisen will, wird von der Statistik ausgebremst: In Leipzig etwa ist die Zahl der Wohnungseinbrüche noch niedriger als in München. KAWE