berliner szenen: Kumpel-loseZähne
Der hat keinen Kumpel, verstehen Sie?“, sagt Frau K. und meint damit „den Zahn dahinter“.
Bei der Vorstellung eines kumpellosen Zahnes muss ich bei weit geöffnetem Mund laut lachen. Auch wenn das Lachen bei ihr riskant werden kann, tue ich es bei ihr gern. Seit ich bei Frau K. Patientin bin, macht der Zahnarztbesuch Spaß.
Sechs Monate lang war ich vor diesem Kontrolltermin nicht in ihrer Neuköllner Praxis. Wegen eines Kreuzbandrisses war ich stattdessen in vielen anderen Arztpraxen – und dort war wenig zu lachen.
In der Zwischenzeit sind Frau K.s graue Haare länger geworden. Da sie sie sonst immer sehr kurz trägt, fällt das sofort auf.
„Oh! Lange Haare“, sage ich, und an ihrem Lächeln merke ich, dass sie diesen Kommentar ständig zu hören bekommt. „Kommentieren das alle, oder?“, frage ich. Sie wird rot und nickt.
Während sie meine Zähne bohrt, poliert und etwas Zahnstein davon entfernt, beobachte ich, wie immer, wenn ich da bin, das Treiben der Tauben über den Dächern des Schillerkiezes.
Im Sommer stehen die Fenster offen, und ich höre ihre Gurren und den Flügelschlag, vermischt mit Blaulichtsirenen und Hupen von der nahegelegenen Karl-Marx-Straße.
Plötzlich zuckt etwas in einem Nerv, Frau K. stoppt sofort und auch die Assistentin hält inne. Sie legt eine Hand aufs Herz und entschuldigt sich.
Das habe ich bei keinen nderen Ärzt*innen je erlebt. Danach fährt sie behutsamer fort. Der Schmerz bleibt aus.
Bevor ich gehe, vereinbare ich einen neuen Termin – „für den kumpellosen Zahn“, wie ich der Rezeptionistin sage und sie scheint zu verstehen, worum es geht. Dann lache ich auf dem ganzen Rückweg nach Hause darüber. Luciana Ferrando
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