Polen ist wieder im Bush-Fieber

Beifall für die Worte des US-Präsidenten in Lettland. Die Reise des polnischen Staatschefs Kwaśniewski zur heutigen Siegesfeier in Moskau ist höchst umstritten. Polen selbst feiert das Kriegsende in Breslau, der Stadt der Versöhnung

WARSCHAU taz ■ In Polen wird der amerikanische Präsident George W. Bush wieder einmal als großer Held gefeiert: Anders als die europäischen Staats- und Regierungschefs habe er den Mut, dem Präsidenten Russlands die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Fernsehen und Radio berichteten ununterbrochen und mit großer Sympathie vom Besuch des US-Präsidenten in Lettland.

Während Wladimir Putin nicht einmal in der Lage sei, sich von Stalin und dessen Verbrechen zu distanzieren, gebe Bush offen die Mitschuld Großbritanniens und der USA an der Teilung Europas in Jalta zu. Das sei ihm hoch anzurechnen. Vom „Verrat“ der Westalliierten an Polen will in diesen Tagen kein polnischer Politiker reden. Zu schockierend klingen die „Wahrheiten“ aus dem Kreml, die noch immer die Zusammenarbeit mit Hitler beschönigen, Mord, Verschleppung und jahrelange Unfreiheit der Satellitenstaaten leugnen.

So ist in Polen die Teilnahme Präsident Aleksander Kwaśniewskis an den Siegesfeiern in Moskau höchst umstritten. „Wenn unser Präsident auf der Ehrentribüne steht, der russischen Militärparade zuseht und den Worten Putins vom Sieg über die Nazi-Deutschen lauscht, sieht das dann nicht so aus, als wären wir mit unserem Nachkriegsschicksal einverstanden?“, heißt es. Auch der Enthüllung des Siegesdenkmals gilt Kritik. Denn das Denkmal soll die siegreichen Soldaten zeigen: Amerikaner, Briten, Russen und – Franzosen. Dabei kollaborierte Marschall Pétain schon kurz nach der Kapitulation Frankreichs mit Hitler. Dennoch war für Stalin, Roosevelt und Churchill Frankreich die vierte Siegermacht, nicht Polen. Dessen Schicksal war längst beschlossen. Polen war die Kriegsbeute Stalins von 1939.

Auch Polen feierte den 60. Jahrestag des Kriegsendes. Diesmal jedoch nicht in Warschau, sondern höchst symbolträchtig in Wrocław, dem früheren Breslau in Niederschlesien. Die Stadt der Vertriebenen, der Deutschen, die Breslau verlassen mussten, und der Polen, die eingesiedelt wurden, ist auch Polens Stadt der Versöhnung. 1965 schon hatte hier Bischof Kominek den später berühmt gewordenen Versöhnungsbrief an die Deutschen verfasst: Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz knüpfte daran an: „Wenn ich mir wünschen dürfte, was sich heute Polen, Deutschen, Juden und andere Nationen sagen sollten, so wäre dies jener Satz von damals: ‚Wir vergeben und bitten um Vergebung.‘“ GABRIELE LESSER