Ameisen im Untergrund

Das Kennedy-Attentat, Cadillacs in der Wüste, brennende Fernseher: Das Karlsruher ZKM zeigt die Geschichte der amerikanischen Aktions- und Architektenkünstlergruppe „Ant Farm 1968–1978“

„Cadillac Ranch“ ist „ein wahres nationales Monument“, zeigt die Essenz des amerikanischen Denkens: im Sand vergrabene Mobilität

VON GEORG PATZER

Immer wieder fährt die offene Limousine über den Platz. Der Präsident winkt in die Menge, jung und strahlend, ein Held, der das Land gerade durch eine tödliche Krise geführt hat. Jetzt fährt er durch Dallas, Texas. Seine Frau, ebenso strahlend, eine amerikanische Medien-Vorläuferin von Lady Di, sitzt neben ihm. Da fallen Schüsse, John F. Kennedy ist getroffen, Jacqueline wirft sich über ihn. Es ist eines der größten Medienereignisse gewesen und der größte Schock in der amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Unaufgeklärt bleibt der Mord an Kennedy ein Mythos. Auch ein Fernsehmythos.

Jetzt fährt der Wagen wieder über den Platz. Doch nun handelt es sich um eine Aufnahme von 1975: Eine kleine Gruppe von Schauspielern hat die Fahrt nachgestellt, exakt zwölf Jahre später. Die Touristen, die an dem schönen sonnigen Novembermorgen durch Dallas flanieren wollen, sind geschockt, manche brechen in Tränen aus. Es ist der pure Horror. Und immer wieder fährt der Wagen, bricht der Präsident zusammen, springt der Agent auf den Wagen, wirft sich Jacqueline über ihren Mann.

Zehn Jahre lang– von 1968 bis 1978 – hat die Gruppe „Ant Farm“ solche Aktionen durchgeführt wie „The Eternal Fame“ und rüttelten an nationalen Mythen. Für die „Cadillac Ranch“ grub sie zehn verschiedene Cadillacs mit der Schnauze nach vorn in den texanischen Sand, sodass die Schwanzflossen schön in die Luft ragten, direkt an der mythischen Route 66. Noch heute kann man die Autos in der texanischen Wüste bei Amarillo stehen sehen. Ein preiswertes Projekt, sagt Chip Lord, einer der Gründer von „Ant Farm“, heute. Für die zehn Autos haben sie nur 3.000 Dollar ausgegeben: Cadillacs waren billig in Texas. Es ist „ein wahres nationales Monument“, zeigt die Essenz des amerikanischen Denkens, die amerikanische Mobilität im Sand vergraben, in den Sand gesetzt, und die Formschönheit des Autos noch im Missbrauch: „standard of the world“ hieß es in der Werbung 1952.

„Ant Farm“ konnte aber auch böser sein: In der Aktion „Media Burn“ fuhren sie am 4. Juli 1975 mit einem Auto in eine Pyramide von brennenden Fernsehapparaten. Zwei gepolsterte und mit Helmen geschützte Fahrer wurden dabei gefilmt, eine riesige aufmontierte Heckflosse barg eine Kamera, die Fahrt wurde quasi als Raumfahrtspektaktel inszeniert, das Desaster von Apollo 13 war noch in guter Erinnerung. Und auch dieser Absturz wurde aus verschiedenen Perspektiven, sogar von innen, aufgezeichnet: ein paradoxales Schwingen zwischen medialer Inszenierung und Zerstörung der Medien. Der immer wiederkehrende Aufbruch der amerikanischen Nation, nach jenseits des Horizonts, die Mauern durchbrechend, sich durch keine Schranken halten lassend: Hier wurde er gleichzeitig zelebriert, destruiert und dekonstruiert.

Die kleine Ausstellung zur Geschichte der „Ant Farm“, die das Karlsruher ZKM anhand von Videos, Briefen, Plänen, Blaupausen, Fotos und Büchern, aber auch einem Cadillac-Horn und der schmutzigrosa Mütze von Jacqueline Kennedy zeigt, bietet einen glücklichen Ausblick in einen anderen „american way of life“. Benannt hat sich das Künstlerkollektiv nach einem Kinderspielzeug: einem Plastikhaus, in dem lebende Ameisen ihr produktives, kollektives, schöpferisches Leben führten, quasi im Untergrund.

Eigentlich waren die Mitglieder der Gruppe, wie ihre Gründer Chip Lord und Doug Michels, Architekten, „underground architects“. Also bauten sie auch in ihrer „Ant Farm“-Zeit Häuser. Biomorphe Gebilde, riesige, an jedem Wüstenort aufblasbare Häuser aus Vinyl, runde, pflanzenartige, kuppelartige, aber auch feste wie das „House of the Century“, das mit seinen blasenartigen Strukturen und Gucklöchern aussieht wie die Lightshow eines Grateful-Dead-Konzerts. Sie machten sich Gedanken über zukünftiges Leben, entwarfen Gebäudekomplexe für Communities, für die Pariser Biennale 1969 etwa die „Electronic Oasis“ oder den „Living Room of the Future“. Und schon Jahre vor Warhol bauten sie eine Zeitkapsel. Ironie der Geschichte: Sie durfte am vorgesehenen Zeitpunkt nicht geöffnet werden, weil die Erde um sie herum kontaminiert war.

Karlsruhe ist die einzige europäische Station dieser historischen Ausstellung über eine Gruppe, die schon sehr früh Videokunst, Medienkunst, Architektur und Politik in ihren Werken vereinigt hat. Sie passt sehr gut zum ZKM, das sich kontinuierlich um die Historisierung und Archivierung der Medienkunst bemüht. Die stringent aufgebaute Ausstellung mit viel Papier und einigen Artefakten beinhaltet viele anregende Gedanken. Ein Blick in die anderen Abteilungen des ZKM zeigt, wie manche „Ant Farm“-Gedanken in die Medienkunst und sogar in die Architektur (Coop Himmelb(l)au, Bionik) eingegangen sind.

Bis 24. Juli, Katalog (in engl. Sprache) 28 €